Ich habe ja gesagt,und wir haben uns für Freitag Nachmittag in dem kleinen Caffè verabredet, indem ich vor etwas mehr als einer Woche noch mit meinen besten Freunden meine Rückkehr gefeiert habe. Ich habe mich bereits darauf gefreut, auch wenn ich weiß, dass ich nicht richtig und vor allem nicht ehrenhaft gehandelt habe. Aber jetzt, zuhause auf meinem weichen Bett sitzend, kommt mir diese Verabredung noch etwas falscher vor als vorhin. Um mich von diesem Gedanken abzulenken, sehe ich mich genauer in meinem Zimmer um. Ich war eine lange Zeit weg, und trotzdem fühle ich mich hier immernoch unfassbar heimisch. Die Möbel sind grundsätzlich weiß, allerdings ist immer wieder hellbraunen Holz eingearbeitet, was das Ganze ein wenig gemütlicher macht und sich in meinem Boden aufgreift. In einem Regal gegenüber von mir steht eine kleine, rosefarbene Box, auf sie ich nun aufmerksam werde. Ich rutsch vom Bett und Knie mich vor das Regal, nehme die Kiste herraus. Gerade als ich den Deckel lüfte und bemerke, dass es sich bei dem Inhalt der Box um alte Fotos handelt, ploppt auf dem Bildschirm meines Laptops die Benachrichtigung zu einer Skypeanfrage auf. Ich beschließe, mich der Kiste später zu widmen und lasse mich erneut auf mein Bett fallen, welches mit Kissen übersät ist. Ich lehne mich bequem an an und ziehe meine Laptop auf meinen Schoß. Ich habe mich mit Harry zum skypen verabredet. Ich öffne das Fenster und wenige Augenblicke später Stahl er mir entgegen. ,,Hey Lizzy!" ,,Hey Harry!" Seine tiefe und kraftvolle Stimme beruhigt mich sofort. Wir tauschen Neuigkeiten aus und er erzählt mir, wie seltsam es ist, nicht jeden Tag viermal ins Zimmer platzen zu müssen, weil ich partou nicht aufstehen will. Bei der Erinnerung an dieses morgendliche Ritual wir mir etwas schwer ums Herz. Es gibt viel, was ich neben dem eingespieltem Tagesablauf mit den Campbells vermisse. Die endlosen Spaziergänge durch London, die Art, auf die sich der Himmel verändert, wenn ein plötzlicher Regenschauer über einen hereinbricht. Die Stadt von oben, vom London Eye aus betrachtet. Dort oben habe ich sogar meine Höhenangst vergessen und mich frei gefühlt. Ich bin Maggie noch heute dankbar dafür, dass sie mich da hoch geschleppt hat, auch wenn ich mich mir Händen und Füßen gewehrt habe. Wir schwelgen gemeinsam in Erinnerungen, bis er plötzlich ernst wird. ,,Du, es gibt neues in Bezug auf Lilys Diagnose." Sofort schiebe ich alle Träumereien beiseite und wende mich, nun ebenfalls erst schauend und hoch konzentriert, ihm zu. ,,Und?" Er schüttelt mit dem Kopf. ,,Ja." Mir kommen die Tränen. Meine kleine Lily. Lily ist acht Jahre alt und leidet an Leukämie, also Blutkrebs. Und zwar unter der akuten lymphatischen Leukämie, kuz ALL, die vor allem Kinder betrifft. Lilys Diagnose wurde vor knapp zwei Monaten gestellt. Es war für alle ein Schock, auch für mich, da ich irgentwie eine tiefe Verbindung zu ihr habe und die Campbells bereits eine zweite Familie für mich waren. Angefangen hatte alles mit sehr blasser Haut, appetitlosigkeit und schneller Erschöpfung ihrerseits. Als dann fest stand, was es ist, wurde sofort eine Chemotherapie angesetzt, die auch Anschlug. Lily war auf dem Weg zur Besserung, doch dann kamen die Symptome wieder. Als ich geflogen bin, war sie bereits wieder in einem Kritischen Zustand.Ich hoffe jeden Tag, dass sie es schaffen wird. Jeden Tag. Das Gespräch gerät ins Stocken. Wie gerne würde ich ihn jetzt einfach umarmen. Die Verbindung wird schlechter. ,,Wir skypen morgen nochmal, Lizzy, Okay?" ,,Ja,klar. Machs gut." ,,Du auch." sagt er und dann legt er auf. Ich sitze noch einige minuten einfach regungslos da, versuche, wieder runter zu kommen. Um mich abzulenken hole ich mir die Fotobox hoch und beginne, darin zu stöbern. Das Foto, dass ganz oben lag, zeigte mich mit meinen Mädels auf dem Bahnhof unserer Kleinstadt, an meinem Abreisetag. Fotos von Mädelsabenden, Fasching, meiner Familie. Der schnappschuss von Elena, die total genervt über ihre Sonnenbrille zu mir rüber schaut. Freya und Selina kriegen sich im Hintergrund vor Lachen nicht mehr ein. Ich lächle. Das nächste Foto zeigt mich und James nebeneinander auf seiner Couch sitzend, eine Schüssel Popcorn zwischen uns. Ganz unten finde ich das Foto von meinem ersten Schultag am Gymnasium, unser allererstes Klassenfoto. Wir strahlen alle, voller Erwartungen auf unseren neuen Alltag, auf die Leute, mit denen man ab jetzt die meiste Zeit des Tages verbringen würden. Wir sehen alle noch so jung aus, jeder hat sich verändert. Ich räume die Fotos zurück und trete ans Fenster. Mir kommt eine Idee, springe die Treppe nach unten und laufe prompt in Chris hinein. ,,Hey" er hällt mich fest, was mich sofort an die Szene heute morgen erinnert. ,,Hey Chris" erwiedere ich. Er grinst mich an, ich ziehe eine Augenbraue hoch und schiebe ihn von mir. ,,Papa, ich gehe nochmal kurz raus!" ,,Irgentwelche besonderen Pläne oder Verabredungen heute noch?" ,,Nö, ich will nur mal an die frische Luft!" Innerlich verdrehe ich die Augen. Ohne noch auf eine Antwort zu warten lasse ich die Tür hinter mir zufallen und verschließe somit auch meinen Kopf vor allen Gedanken an Lily, Elias und und unserem Treffen am Freitag.
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6 Monate , 3 Tage, 7 Stunden und 30 Minuten
RomanceEigentlich denkt man, es ist alles wie immer. Die Freunde sind die gleichen. Der Ort hat sich nicht verändert. Und ich fühle mich auch wie immer. Verrückt, ironisch, optimistisch, heillos romantisch. Aber es ändern sich Dinge. Menschen ändern sich...