Pavillon

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,,Freya, Liebes, hast du schon mal an eine Jacke gedacht?" Freyas Mutter, klein und mit genauso schwarzem Haar wie sie, steht im Türrahmen umd stemmt die Hände in die Hüften. ,,Ja, Mama." Freya steht gebückt über ihrem Koffer, einige Haarstränen fallen ihr trotz des Zopfes ins Gesicht. ,,Ich bin ja keine drei dreiviertel mehr." Ihre Mama verschwindet wieder in den Flur, ich kann ein ,,Manchmal könnt mans glaube" hören, bevor die Tür zur Küche ins Schloss fällt. Ich lache und lege ihren Zettel mit den unzähligen Stichpunkten, die sie vor ihrer Abreise noch erledigen muss, zur Seite. ,,Da gibts nichts zu Lachen, Lizzy!" ,,Oh doch." ,,Möchtest du mir irgentetwas mitteilen?" ,,Du packst dieses T-shirt gerade zum dritten Mal wieder ein, Schatzi." ,,Oh." Sie lässt sich neben mir auf ihr Bett fallen, vergräbt ihren Kopf in den Händen. Ich streiche ihr fürsorglich über den Rücken, bis sie wieder aufsieht. ,,Ich war noch nie in meinem Leben so aufgeregt." ,,Das sagst du öffter." ,,Diesmal ist es Ernst. Sieh dir nur mal an, was ich noch alles zu tun habe." ,,Da fehlt ein wichtiger Punkt." ,,Der wäre?" ,,Mit Jannis aussprechen." Sie lacht traurig. ,,Ich glaube nicht, dass das möglich ist." ,,Natürlich ist es das." ,,Ach ja?" ,,Ach ja." ,,Was hindert dich daran?" Sie steht auf, geht langsam zum Fenster. ,,Ich kann nicht Liz. Ich kann einfach nicht." 

***

Freya

Weg. Schnell fort, bloß nicht hier bleiben. Ich will ihn nicht sehen. Ich verabschiede mich nicht einmal von meinen besten Freundinnen, laufe schnell und zielstrebig nach draußen an die frische Luft. Ich sehe mich um, kann ihn nicht entdecken, atme endlich aus. Ganz ruhig. Wenige Atmenzüge später komme ich mir vor wie ein Grundschüler, der vor dem drohenden Lehrergespräch flüchtet. Was wäre so Schlimmes dabei gewesen, ihn wenigstens zu umarmen, um diese Distanz zu überbrücken, die sich zwischen uns aufgebaut hat? Ganz genau: Nichts. Außer sein Blick. Aber jetzt ist das wohl, zumindest für heute, durch. Ich mache mich auf den Heimweg, vorbei am Spielplätzen und Häuserblöcken. Nach 30 Minuten kann ich endlich den Schlüssel in Schloss schieben und mein Zuhause betreten, mich angekommen fühlen. Meine Mutter arbeitet noch, ich habe endlich einmal Ruhe. Ich werfe mich auf die Couch und bleibe erst einmal liegen, um meine Gedanken zu sortieren. Es gelingt mir nur halbwegs. Meine Gedanken fliegen immer und immer wieder um das gleiche Thema herum. Ich kann unser letztes Treffen nicht vergessen. Ich kann nicht und irgendwie will ich es auch nich, nicht mehr. Verdrängen ist ja bekanntlich keine Lösung. Ich muss wirklich einmal lernen dass ich Opfer bringen um wirklich erfolgreich zu sein; leider wird dabei wohl auch meine Beziehung endgültig auf der Strecke bleiben. Ich sehe auf mein Handy. Und dann steht es plötzlich wieder da: Jannis hat geschrieben. Ich bin nervös als ich die Nachricht öffne, was man mir sicherlich nicht verdenken kann. ,,Hey" steht da. Was schreibt man da zurück? Auch einfach Hey? Wie langweilig! Ich setzte mich auf. Egal, mir fällt nichts anderes ein. Ich schreibe ebenfalls ,,Hey" zurück. ,,Wir haben uns heute wieder nicht gesehen." Blitzmerker. ,,Ich will mit dir reden. Möchtest du dich mit mir treffen?" Will ich das? Wieder halte ich inne. Ich denke, ich werde einem Aussprechen nicht mehr aus dem Weg gehen können, egal wie sehr ich es versuche. Also schreibe ich ein ,,Gerne" zurück. ,,Hole Dich ab." schreibt er ,Bitte sei gegen 18 Uhr fertig". Ich lege mein Handy weg. Kein ,,hab dich lieb", ,,bis nachher" oder vielleicht eine Winzigkeit, ein Emoji dass mich darauf hinweist, dass er nicht ganz sauer auf mich ist. Was will er damit bezwecken? Ich werde es wohl herausfinden müssen. Genau deswegen stehe ich pünktlich 18 Uhr fertig gemacht im Flur unsere Wohnung und warte auf das Klingeln. Als es ertönt warte ich kurz, um den Anschein zu erregen, dass ich nicht schon seit 15 Minuten auf ihn warte. Ich lass ihn hinauf und als er vor der Tür steht, sehe ich ein letztes Mal in den großen Spiegel der neben unserem Schuhregal steht. Ich finde ich sehe gut aus, so gut wie ich es eben mit der Nervosität in den Fingern hinbekommen habe. Diese Nervosität bleibt als ich ihm die Tür öffne, verschwindet als ich sein Lächeln sehe. Die roten Haare sind verstubbelt wie immer, es steht ihm. Seine Umarmung ist kurz, aber herzlich und ich fühle mich direkt geborgen. ,,Komm, lass uns los gehen." Er nimmt meine Hand nicht und ist auch sonst etwas anders. Er erzählt etwas, ich kann ihm nicht genau folgen. Er scheint es zu bemerken und verstummt Seine Haltung verändert sich schlagartig. Er geht nicht mehr locker neben mir her, sondern vergräbt die Hände tief in den Taschen. Außerdem werden seine Schritte schneller und länger, ich komme nur mit Mühe und Not hinterher. Unterbewusst folge ich ihm, bis ich ganz genau weiß, wohin er will. Der Weg führt uns aus meinem Wohngebiet hinaus in den Park. Ich frage mich was er vorhat, hier gibt es kein Restaurant, nur den alten Pavillon ganz hinten. Liebend gern würde ich ihn fragen, doch ich unterlasse es wohl besser. Muss ich mich wohl überraschen lassen, von dem, was er vorhat und ihm nicht die Vorfreude nehmen. Tatsächlich geht es am Ententeich vorbei, vorbei an der riesigen Linde deren Blätter ins Wasser hängen und friedlich hin und her schwenken, vorbei an Spielgeräten die einsam und verlassen dastehen. Heute sind keine Menschen zu sehen, keine Kinder. Es ist nicht so wie früher, als ich noch klein war und hier mit meinen besten Freundin und meinem Cousin getobt habe. Wir waren hinterher total dreckig und nass, aber meine Mom hat es mir nicht verboten. Klar, sie war nie besonders begeistert aber sie hat es mir erlaubt wie so vieles von dem sie nicht viel hällt. Sie mag Jannis nicht besonders, aber sie akzeptiert ihn wenigstens. Für mein Papa ist es voll okay, dass ich einen Freund habe oder was auch immer er ist. Das ist auch so doof an dieser Unsicherheit: ich werde immer gefragt ,,Hast du einen Freund?" und ich weiß nicht was ich darauf antworten soll. Soll ich sagen ,,Ja" um dann Genaueres erzählen zu müssen, oder soll ich sagen ,,Nein" und die fast mitleidigen Blicke meiner Freunde und Verwandte ertragen? Jannis ist etwas dazwischen, momentan zumindest. Obwohl ich es gerne Beziehung nennen würde. Vielleicht ist es noch nicht das was man von einer Beziehung zwischen zwei fast Erwachsenen erwartet, aber ich hoffe sehr dass es im Endeffekt wieder so wird wie vorher. Jannis nimmt meine Hand und geht mit mir in den Pavillon. Es ist kälter geworden und auch gerade am Abend zieht ein Wind über die Parkfläche und lässt mich frösteln. Ich habe mir noch keine Jacke mitgenommen. Er bemerkt es und lächelt. Er selbst trägt keine sonst hätte er sie mir gegeben, wie er es schon so oft getan hat, eben weil ich manchmal planlos und verpeilt bin. Etwas was Jannis als einziger Mensch auf der Welt als niedlich empfinden kann. Okay, meine Freundinen sagen immer ich bin tollpatschig, aber niedlich ist ein Wort, das ich nur aus Jannis Mund jemals über mich gehört habe. Deswegen mag ich ihn so, weil er gerade raus sagt dass er denkt und dass doch so gut formulieren kann wie kein anderer Mensch. ,,Ich will mit dir reden." sagt er leise und Ich hebe die Augen. Ich mag seine Augen eine Mischung aus Braun und leichtem dunkelgrün. ,,Ich will auch mit dir reden." ,,Was denkst du denn gibt es zu bereden bei uns?" Ich schaue ihn erstaunt an. Ich denke er hat ein Thema dass er besprechen möchte? Jannis sieht mich an, als erwarte er dass ich beginne, ich weiß jedoch nicht wo ich anfangen soll und schweige. Es dauert, bis ich endlich die richtigen Worte finde. ,,Ich weiß dass du denkst dass du mir egal bist, aber das stimmt nicht. Du bist mir wichtig. Ich will dich nicht verlieren, aber so wie es im Moment ist kann es nicht bleiben.
Ich will nicht dass du mich ignorierst. Du spielst für mich noch immer eine sehr sehr wichtige Rolle." Er schaut mich an, ich sehe sowas wie ein Lächeln. ,,Das ist alles schön und gut, aber was tun wir jetzt? Ich will nicht dass du diesen Jungen küsst, ich will nicht dass du mit ihm intime Szenen drehst und ich will auch nicht dass wir solang voneinander getrennt sind. Ich brauche dich Freya, aber hier und nicht weit weg. Ich möchte dich sehen, ich möchte dich umarmen können wenn ich will und ich möchte auch sicher sein dass du mir treu bist. ,,Jannis ich hatten niemals vor dir untreu zu sein!" Meine Stimme wird lauter als gewollt. Ich springe auf, entziehe meine Hände seinen. ,,Du denkst von mir dass ich irgendetwas mit diesem Jungen angefangen könnte, nur weil ich nicht bei dir bin, denkst von mir dass ich dich verlassen würde und du denkst von unsere Beziehung dass sie eine zeitliche Trennung und örtliche Trennung nicht überstehen würde. Was machen wir dann noch hier? Warum sollte ich mit dir über eine Beziehung diskutieren die in deinen Augen schon längst verloren ist?" Er springt ebenfalls auf. ,,Freya ,so habe ich das niemals gesagt und das weißt du." Er hebt die Hände. ,,Du legst mir Wörter in den Mund ich so niemals gedacht oder ausgesprochen hätte. Ich glaube daran dass unsere Beziehung Bestand haben kann, für uns beide gemeinsam, aber ich glaube nicht dass es zum jetzigen Zeitpunkt für uns beide ein Happy End geben würde, würden wir genauso weitermachen wie bisher. Obwohl wir schon sowas wie zusammen waren, meine Liebe, kenne ich dich zu wenig. Zu wenig dafür, um dich meine Freundin nennen zu können. Viel weiß ich über dich, habe viel gehört. Von deinen Freunden, von meinen Freunden die dich ja auch kennen. Ich kenne jedoch nicht jenes Mädchen, welches sich in dir verbirgt. Ich glaube nicht dass ich dein Inneres kenne und dass ich weiß was wirklich in dir vorgeht. Du bist ein impulsiver Mensch und gleichzeitig so schüchtern, du brennst für Dinge und doch lässt du manchmal viel zu schnell nach." Sein Gesicht ist ernst. ,,Du trägst Selbstzweifel in dir, die du nicht nötig hast." Ein warmes Lächeln streift über das wunderhübsche Gesicht. ,,Selbstzweifel, die nicht nur an dir nagen, sondern an uns, an unsere Beziehung. Das was du Beziehung nennst. Ich würde es nicht mehr als Beziehung betiteln. Er schaut mich nicht an, steht auf und geht zum Rand des Pavillons. ,,Ich will von vorne anfangen, Freya, ich möchte dich noch einmal kennenlernen. Dich, nicht deine Hülle, aber dazu brauche ich Zeit." Er hebt den Kopf und stützt sich ab. ,,Wir brauchen Zeit." Ich stehe wie gelähmt da. Noch einmal von vorn? Sicher, es ging alles sehr schnell. Schulanfang, die erste Begegnung, der erste Kuss auf der Party; und dann plötzlich dieses riesengroße Wort Beziehung, welches wir beide falsch eingeschätzt haben. Ich bin fassungslos und sage nichts, bin nicht in der Lage etwas zu sagen. ,,Freya, schon als ich dich kennengelernt habe wusste ich dass du was Besonderes bist, aber wir haben uns zu zweit in die falsche Richtung entwickelt und deswegen..." Er streicht mir ein Haar weg, schiebt es hinter mein Ohr, ,,fangen wir wenn du wieder da bist von vorne an." Er nimmt seine Hand weg und damit auch die Wärme die sich in mir ausgebreitet hatte. ,,Ja, machen wir." sage ich leise. Er schaut mich an als wolle er noch etwas sagen, lässt es, bringt mich nach Hause. Als er auf der vorletzten Stufe steht die zu meiner Wohnung führt sind wir genau auf Augenhöhe. ,,Pass auf Dich auf." sagt er, beugt sich vor und haucht mir einen Kuss auf die Lippen, so leicht dass ich eigentlich nicht glauben kann dass er wirklich da war. Als ich wieder zu mir komme bemerke Ich, dass Jannis bereits durch die Vordertür verschwunden ist.

***

6 Monate , 3 Tage, 7 Stunden und 30 MinutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt