Ich hasse Menschen

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,,Was wird das?" Selina schaut uns nacheinander an, als wären wir nicht mehr ganz dicht. ,,Stell dich nicht so an!" Freya hällt ihr das Tuch hin. ,,Ihr entführt mich bestimmt in irgenteinen dunklen Wald. Mit Spinnen, Bären, irgentwelchen undefinierbaren Spezies, lasst mich zurück und ich muss mich von Pilzen und Giftpflanzen ernähren. Oder in ein Stadtviertel mit fiesen Vergewaltigern." Elena lacht nur bei dieser Vorstellung. ,,Los jetzt!" kommandiere ich. ,,Umbinden, Einsteigen, Klappe halten." Selina verdreht genervt die Augen. ,,Und sowas muss ich mir an meinem Geburtsatg antun. Warum kann ich keine normalen besten Freundinnen haben?" Elena bindet ihr vorsichtig das Tuch um die Augen, ich nehme ihre Hand und dirigiere sie zu meinem Auto. ,,Achtung, Tür!" Elena hilft ihr beim einsteigen, so ganz gesund ist ihr Knöchel ja noch immer nicht. Als ich den Motor starte, lehnt sie sich zurück. ,,Ich kenne euch. Lizzy, du stellst jetzt nicht Helene Fischer an!" ,,Vorzügliche Idee, Süße!" Ich suche nach meiner ,,Heute-ist-mir-alles-egal-ich höre-Schlager"-Playlist, tippe auf Play. ,,Athemlos durch die Nacht" trällert Helene durch mein Auto, ich fahre los und singe gemeinsam mit Elena und Freya lautstark, ohne jegliches Taktgefühl und so schief wie nur irgentwie möglich, mit. Nebenbei lachen wir uns kaputt. Selina rutscht tiefer in den Sitz. ,,Ich bin zwar noch kein Star, aber holt mich hier raus!" ruft sie Richtung Himmel. Als wir dann, nachdem wir schon zu mehreren Songs aus dem letzten Jahrhundert gesungen haben, erneut bei Helene und ,,Herzbeben" ankommen, ist Selinas Gesicht so düster, dass ich lautstark lachen muss und die Musik abstelle. ,,Ach Selina!" Elena tätschelt ihr von hinten den Arm. ,,So schlimm war es doch nicht." ,,Mh." Von ihrer Seite aus herrscht eisiges Schweigen. Freya beginnt, eine Melodie zu summen. Jene, die man immer im Zirkus oder auf einem Rummel hört. Ich schaue in den Rückspiegel, sehe, wie Elena sich ein Lachen verkneifen muss, und zwinkere Freya zu. Das ist alles Teil des Plans, der bis jetzt sehr gut läuft. ,,Nein!" Selina setzt sich wie von der Tarantel gestochen auf. ,,Bitte nicht auf einen Rummel. Oder in den Zirkus. Oder in einen Freizeitpark." Elena prustet los. ,,Ihr wisst doch, wie sehr ich sowas hasse. Menschen, die fünf Euro und achtundsechzig Cent für Zucker in Wolkenform ausgeben, sich auf dem Rücken von unecht aussehenden Plastetieren durch die Weltgeschichte schaukeln lassen, freiwillig einem Clown zu schauen, wie er sich einen Wassereimer über den Kopf schüttet, können doch nicht normal sein." ,,Clowns." Freya schüttelt es. Diese rotnasigen Gesellen sind für sie eine absulute Horrorvorstellung, dabei hat sie noch nicht einmal ,,Es" geschaut. ,,Ja, diese Menschen sind nicht normal." Ich lächle, biege nach links ab. ,,Aber jetzt mal im Ernst: Wir sind das auch nicht. Von daher..." Ich lasse meinen Satz unvollendet. ,,Elena! Du bist doch lieb? Zu mir doch immer, oder? Kannst du mir helfen?" ,,Tut mir wirklich sehr Leid, aber: Nö!" ,,Dann soll es eben so sein." Theatralisch wirf sie sich zurück. ,,Ihr lasst euch doch sowiso nicht umstimmen, oder?" ,,Nein." Freya lacht. 

Vierundzwanzig Minuten später halte Ich. ,,Wir sind da!" Verkünde ich überschwänglich. ,,Na, Freundin der Nacht, wie geht's uns denn so?" Freya und Elena lehnen sich nach vorn. ,,Mir fällt gerade auf, dass ich eine Geschichtstsunde dem Übel, dass mich da da draußen erwartet, vorziehen würde." ,,Wirst schon sehen, so schlimm ist es nicht." Ich öffne ihr die Wagentür, reiche ihr meine Hand und gebe ihre Hand dann an Elena weiter, sprinte zur Tür, schließe auf. ,,Ich höre schon einmal keine Rummelgeräusche." stellt Selina fest. In ihrer Stimme klingt Erleichterung mit. Vorsichtig bugsieren wir sie die Kellertreppe hinunter, ich gehe voran, bleibe vor der Tür stehen, an der ein Schild hängt. ,,Hobbyzimmer" steht in bunten Lettern darauf. So bezeichnet es mein Papa gerne, aber eigentlich ist da nur ein Raum, der da ist, weil sie noch Platzt im Keller hatten. Normalerweise wird er als Abstellmöglichkeit oder Ähnliches genutzt, aber seit gestern ist dass ganz anders. Ich öffne die Tür, schiebe sie sanft hinein. Die anderen beiden folgen ihr, Elena schließt sie Tür uns sieht sich zufrieden um. Ja, es sieht fantastisch aus.

***

,,Lizzy, würdest du mir das bitte mal abnehmen?" Mein Bruder steht auf der wackeligen Leiter unter dem Fenster und hällt mir die Gardienenstange hin. ,,Klar." Ich reiche sie an Freya weiter, die sofort beginnt,  die rosafarbenen Vorhänge aufzufädeln. Wir haben Montag, den ersten Oktober, stecken mitten in den Vorbereitungen für den morgigen Geburtstag, den von Selina. Die unzähligen Kartons und Boxen sind bereits aus dem kleinen, weiß gestrichenen Raum verschwunden, die leeren Wände lassen ihn deutlich größer wirken. Durch die beiden Fenster, eines geht zum Garten hinaus, das andere ermöglicht einen wundervollen Blick über unser Städtchen, strömt das Licht der Mittagssonne, die sich durch die dicken Regenwolken gekämpft hat. Vorhin war ein wundervoller Regenbogen zu sehen gewesen, sehr kräftig in den Farben. Statt der tristen braunen Umzugkartons ist nun an der hinteren Wand ein länglicher Tisch aufgestellt, über dem bereits eine schwarze Tischdecke ausgebreitet ist. Rechts ist ein Regal, in weiß gehallten, aufgestellt, in dem bereits einige DVDs stehen. Links steht auf einem kleinen Regal der Fernseher, der normalerweise im Schlafzimmer unserer Eltern seinen Platz hat. Gegenüberliegend davon und, trozdem mitten im Raum, ist Elena gerade damit beschäftigt, die große, schwarze, U-förmige Couch abzustauben, die sich unter all den Kartons verbarg. Sie wirft den Staubwedel weg, nimmt aus dem Wäschekorb, in dem sich die pinke und schwarze Kissen und Decken stapeln, die wir zusammengetragen haben, ein rosa Plüschkissen herraus, draphiert es geschickt in eine Ecke. Es folgen weitere Kissen und eine schwarze Decke, die sie über die Rückenlehne legt. Zum Schluss setzt sie einen kleinen grauen Elefanten auf das Sofa, betrachtet zufrieden ihr Werk. ,,Gemütlich!" Freya reicht Mo die Gardienenstange zurück, er befestigt sie mit wenigen, geübten Handgriffen und sucht dann das Weite, bevor ich ihn noch einmal zu mir zittieren kann, um ihm weitere Aufgaben aufzubrummen. Wir legen die Matrazen aus,hinter dem Sofa, an der Rechten Wand entlang gereiht, beziehen sie und das Bettzeug. ,,Wie süß!" Auf dem, das Elena gerade auspackt, sind lauter kleine Schmetterlinge zu sehen, natürlich in den schönsten Rosatönen. ,,Also, ich finde meines ja noch cooler." Freya deutet auf ihre Decke. ,,Ich hasse Menschen" ist darauf zu lesen. Wir lachen. ,,Ich glaube, das wird ihr gefallen." Ich knöpfe mein Kissen zu. ,,Fertig!" ,,Kommen wir nun..." Freya steht auf, geht zu ihrer Tasche und kehrt mit einer riesigen Papaiertüte zurück ,,Zum witzigen Teil dieses Tages." ,,Deko!" rufen wir im Chor, lachen. Es werden pinke, schwarze und rosafarbene Luftballons mit Helium aufgepustet, an lange Schnüre angeknotet, die wiederum an Büchern befestigt sind, die wir über den Boden verteilen. Die Ballons schweben nun in den unterschiedlichsten Höhen im Zimmer umher. Es werden Luftschlangen verteilt, Kerzen in die Fenster, auf das Regal und den kleinen Tisch neben dem Sofa gestellt. Um den Raum noch etwas wohnlicher zu gestallten, stelle ich Fotos von uns allen auf, die unsere gemeinsame Zeit porträtieren. Lauter witzige, in den perfekten Momenten geschossene Schnappschüsse sind dabei, solcghe, bei deren Anblick man beginnt zu lachen. Wir breiten einen großen, schwarzen Flauscheteppisch vor der Couch aus, verteilen alle Übrig gebliebenen Kissen darauf. Kleine Lampen und Lichterketen im ganzen Raum runden das Ambiente ab. Schaltet man sie alle ein, das große Licht aus und zieht die Vorhänge zu, so ergibt sich eine entspannte, beruhigende, in gewisser Weise auch romantische Atmosphäre. Das Rosa und Schwarz harmoniert sehr schön, die Couch mit den Kissen wirkt einladend und gemütlich. Man ist irgentwie in einer anderen Welt, und genau das war mein, unser Ziel. Wir lächeln uns an. ,,Mädels" ich schau sie feierlich an, ,,Das haben wir toll gemacht."

***

,,Darf ich es abnehmen?" Selinas Tonfall ist verändert. ,,Ja, bitte." Sie löst den Knoten am Hinterkopf, streift sich das Bandana von den Augen. Sie blinzelt, muss sich erst an das grelle Licht der Sonne gewöhnen, bevor sie beginnt zu strahlen, ihre Augen funkeln, als sie erkennt, um was es sich hier handelt. ,,Ihr seid so süß!" flüstert sie, bevor sie uns in eine Umarmung zieht.

6 Monate , 3 Tage, 7 Stunden und 30 MinutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt