Todeszeitpunkt 21.23 Uhr. Ich werde diese Uhrzeit niemals wieder vergessen. Mir wird jedes mal die Situation in den Kopf schießen. Allen lässt Lily los, dreht sich um, nickt. Dann bricht sie in Tränen aus. Harry weint leise, nun wird mein T-shirt nass, aber ich lasse es ruhig zu, dass er mich noch fester an sich drückt. Ich kann nicht mehr weinen. Irgentwie habe ich keine Tränen mehr übrig. Villeicht ist die Wahrheit aber auch noch nicht zu mir durchgedrungen. Die nächsten Stunden verbringe ich mit trösten, leise und gut zureden, und ich mache eine riesengroße Pfanne mit Bratkartoffeln und Eiern. David stellt sich irgentwann zu mir in die riesige Küche und würzt noch einmal nach. ,,Wie geht es dir, Liz?" Vorsichtig lehne ich mich gegen die Küchenzeile. ,,Ich weiß nicht. Ich bin traurig dass sie nie mehr da sein wird, aber es ist gut, dass sie einfach eingeschlafen ist. Ganz ohne Schmerzen, im Kreise der Menschen, die sie lieben und die Sie geliebt hat." Der Kochlöffel, den er die ganze Zeit über in den Händen gedreht hat, wird leise zur Seite gelegt. ,,Ja sehe ich auch so." Jemand sagt etwas im Wohnzimmer, unter Tränen. ,,Lass uns mal servieren." Er bringt ein freundliches Lächeln zustande, ich werde davon automatisch aufgemuntert. Ich halte Summer einen Teller hin, sie schüttelt den Kopf. Ich ziehe sie trotz ihrer gerade fast 12 Jahre auf meinen Schoß. ,,Mund auf!" befehle ich mit einem Lächeln. Wiederstrebend gibt sie nach, lässt sich füttern. Nach der dritten Gabel nimmt sie mir den Teller und die Gabel aus der Hand und isst mit neu gewonnem Appetit ihre Portion. ,,Ist noch was da?" ,,In der Küche." Sie springt auf und verlässt das Wohnzimmer. Allen sitzt neben mir und versucht mit zitternden Fingern Henry mit ein wenig Kartoffelbrei zu füttern. Es will ihr einfach nicht recht gelingen. Ich ziehe Henry sanft zu mir und schiebe ihm mit dem blauen Plastelöffel etwas von seinem Brei in den Mund. Er lacht und zupft an einer Locke, die sich aus meinem unordentlichem Zopf gelöst hat. Nach weniger Zeit hat er keinen Hunger mehr und ich setzte ihn auf den Boden. Er tapst fröhlich glucksend zu seinem Spielzeug, dass überall verteilt liegt. In den letzen Tagen hat sich niemand die Zeit genommen, es aufzuräumen. Sie seufzt. Wir sehen uns an. ,,Ich bin froh, dass du da bist. Du hilfst uns allen." Sie nimmt meine Hand. ,,Wirklich." Ich lächle unsicher, sie erwiedert. Das erste Lächeln seid drei Tagen.
Diesmal fällt mir die Kleiderauswahl viel leichter als sonst. Da man zu einer Beeredingung nur schwarz trägt, grenzt das die Auswahl deutlich ein. Letztendlich wird es ein schlichtes, langärmliches schwarzes Kleid mit einem schwarzem Bolero und Schuhen mit leichtem Absatz. Maggie hat meine Haare zu einem einfachen Knoten im Nacken fest gesteckt, im Gegenzug habe ich ihr gestern das Haar von hellblau auf schwarz umgefärbt. Wir gehen bis zu den Autos und fahren eine halbe Stunde hinaus aus London, bis zu einem kleinen Friedhof. Es hat angefangen zu regen. Will der Tag heute wirklich alle Klischees bedienen? Wir stehen schweigent um ihr Grab herum. Harry hällt die Grabrede, die wir gestern gemeinsam verfasst haben. Er hat das Inhaltliche geleistet und ich habe es in Worte gefasst. Als wir zu dem Punkt kommen, sie ein letzes Mal zu sehen, spüre ich ein leichtes Unbehagen. Ich habe mich in den letzen Tagen irgentwie damit abgefunden. Alle Gefühle kommen bei mir nur wie durch eine dicke Nebelschicht an. Ich trete nach vorne und sehe vorsichtig in den mit goldenen Ornamenten verzierten Sarg. Sie sieht aus als würde sie schlafen, in ihrem hellgrünen Kleid mit den geschlossenen Augen. ,,Machs gut, Lily!" flüstere ich. Ich kann sie nicht berühren. Es geht nicht. Ich trete wieder zurück und stelle mich neben Harry. Er schaut mich traurig an. Ich nehme ihm eine der Lilien aus der Hand, und als der dunkelrote Sarg in der Erde verschwindet, werfen sie alle Gäste gleichzeitig auf die Sargdecke. Es sind viele Lilien. Die Ironie daran ist, das Lily auf Lilien alergisch war. Aber das scheint die Person, die für die Blumen gesorgt hat, nicht gewusst zu haben. Wir sind die letzten, die den Friedhof wieder verlassen. Am Abend packe ich meinen Koffer für die Rückreise. Mein Ticket werfe ich in meine Tasche und setzte mich warscheinlich zum letzten Mal an den Tisch der Campbells. ,,Besuchst du uns mal wieder?" Ich kann darauf keine Antwort geben.
Beim Nächsten Halt muss ich raus. Ich packe meine Tasche zusammen und angle nach meinem Koffer. Der Typ neben mir lächelt mich zwar an, rührt aber keinen Finger. Natürlich nicht. ,,Bitte nach links aussteigen." Erklingt die monotone Stimme durch die Lautsprecher des Zuges. Es gibt eine Ruck und die Zugtüren öffnen sich. Ich hebe meinen Koffer auf den Bansteig und schultere meine Handtasche. Meine Jacke ist schwarz, mein T-shirt, meine Hose und meine Sneaker ebenfalls. Schwarz, die Farbe der Trauer. Das einzige Farbige an mir sind meine Haare, die ich zu einem einfachen, hohen Pferdeschwanz zusammengebunden habe. ,,Liz!" Elena nimmt mich in den Arm, ich spüre zum ersten mal seid ungefähr fünf Tagen irgentein Hauch von Emotionen. ,,Hi!" Freya und Selina sind auch da, nehmen mich nacheinander ebenfalls in den Arm. James steht etwas abseis, schließt mich auch in eine Umarmung. ,,Wie geht es dir?" fragt er. ,,Ich weiß es nicht. Irgentwie ist das noch nicht so ganz zu mir durchgedrungen, glaube ich." Sie lächeln. Irgentwie heitern sie mich auf. Auf dem Weg zu James Auto kann Elena es nicht mehr für sich behalten. ,,Übrigens...Ich bin mit Noah zusammen." Sie sagt das so ganz nebenbei, als würde es nichts besonderes sein. Ha! Da hat sie aber nicht mit mir gerechnet. Meine Laune ist auf einen Schlag viel besser. Ich nerve sie so lange, bis sie mir in allen Einzelheiten von ihrem letzten Date erzählt. Wie unglaublich süß. Selina und Freya scheinen die Geschichte schon zu kennen, denn beide unterhalten sich lieber über eine Band. Ich steige ein und bin froh, wieder etwas Abstand zu gewinnen. ,,Willst du reden?" James sieht mich fragent aus den braunen Augen an. ,,Noch nicht. Irgentwann villeicht."
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6 Monate , 3 Tage, 7 Stunden und 30 Minuten
RomanceEigentlich denkt man, es ist alles wie immer. Die Freunde sind die gleichen. Der Ort hat sich nicht verändert. Und ich fühle mich auch wie immer. Verrückt, ironisch, optimistisch, heillos romantisch. Aber es ändern sich Dinge. Menschen ändern sich...