dunkelrot

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Noah steht wie aus dem Boden gewachsen, ganz plötzlich vor uns. Ich lasse Freya los, sie schiebt mit einer schnellen Handbewegung das Blatt zurück in die Mappe. Ich zwinkere ihr verschwörerisch zu und stehe auf, schiebe mich an Noah vorbei. ,,Hallo?" Er hebt fragend die Hände, aber keine von uns gibt ihm eine Antwort. ,,Deinen Freundinnen schaffen mich!" Wendet er sich an Elena, die sich mit einem frechen Grinsen auf eine Stuhllehne stützt. ,,Ach!" Sie grinst und folgt uns. Noah schüttelt den Kopf und geht uns hinterher. Elena holt uns ein. ,,Alsooo?" ,,Ist ja okay." Freya dreht sich so abpruppt um, dass Elena in sie hinein läuft. ,,Mädel!" Sophie geht an uns vorbei. Ihr Blick sagt alles. Sie lacht hochnäsig, sie hat die Szene beobachtet. ,,Was könnt ihr überhaupt?" ,,Uns dämliche Kommentare verkneifen, sonst hätte ich dir gesagt, das deine Haare aussehen wie ein Vogelnest und dein dunkelroter Lippenstift verschmiert ist." Freya grinst triumphierend. Sophies Finger wander zu ihren Lippen, zu ihrem Haar, dann stöckelt sie so schnell sie kann den Flur entlang und verschwindet in der Damen Toilette. Ich verkneife mir das Lachen, so gut ich kann. Es gelingt mir relativ gut. Noah steht hinter uns. Elena lacht nicht. Sie denkt nach. ,,Was ist?" frage ich vorsichtig. ,,Nichts weiter, egal." Ihr Gesichtsausdruck sah nicht nach egal aus. ,,Was war denn jetzt?" Sie lenkt vom Thema ab. Freya erklärt es ihr. ,,Nein!" ,,Doch!" Noah sieht erstaunt aus. ,,Aha." Ich grinse. Sophie kommt aus der Tür und sieht uns böse an. Als ob wir für ihr zerstörtes Aussehen verantwortlich währen. Ich foge ihr mit einigem Abstand. ,,Sorry, darf ich mal?" Elias legt seine Hände an meine Tailie, schiebt mich zur Seite, um vorbei zu kommen. Ich drehe mich erstaunt um. Mein Blick fällt auf seine Wange, auf der ein schmaler, kaum zu erkenndender Streifen in einem satten dunkelrot zu sehen ist. Er grinst mich an. Sind wir schon an dem Punkt, an dem wir so tun als ob nichts gewesen wäre? Das letzte mal, als ich mit ihm gesprochen habe, flirtete er mit zwei Mädchen im Bikini. ,,Währst du so nett, mich loszulassen?" Meine Stimme klingt schärfer als beabsichtigt. Er reagiert nicht, nimmt seine Hände nicht weg. ,,Warum bist du ganz in schwarz gekleidet? Ist jemand gestorben?" Dumme Frage. Ich ziehe bei dem Gedanken krampfhaft Luft ein, um mich etwas zu beruhigen. ,,Ja!" bringe ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. ,,Das tut mir leid. Willst du darüber reden?" Ach, auf einmal wieder nett, ja? ,,Nicht mit dir." Ich schiebe seine Hände entgültig weg und entferne mich von ihm. Bis eben ging es mir noch einigermaßen gut, ja, ich hatte mir zum ersten mal seid ihrem Tod erlaubt, zu lachen und glücklich zu sein. Es fühlt sich falsch an, jetzt wieder gute Miene zu machen. Also lasse ich es bleiben. Meine Freunde merken sowieso sofort, wenn etwas nicht stimmt. Ich bleibe etwas entfernt von ihnen stehen. Sie sehen alle so glücklich aus. Ich drehe mich um und gehe, von allen unbemerkt, in Richtung der Sitzecken, die durch Blätterwände geschützt sind. Ich setzte mich im Schneidersitz hin und starre vor mich hin. Ichweiß nicht wie lang. Es klingelt. Ich erhebe mich wiederstrebend, bereit, noch einmal zwei Schulstunden über mich ergehen zu lassen. ,,Wo warst du?" Ein Wunder, dass es ihnen aufgefallen ist. ,,Ich musste einfach mal für mich sein." Noah sieht nicht so auch, als würde er mir glauben. Verständlich, im lügen bin ich, wenn ich es nicht mit voller Überzeugung tue, echt schlecht. ,,Liz, alles okay?" ,,Ja, Jannis, alles okay." Das aufgesetzte Lächeln scheint auch er mir nicht abzukaufen. Wo ist der Lehrer, wenn man ihn einmal braucht? ,,Liz, willst du dich nicht mal setzten?" ,,Doch." Ich ich lächle Freya erleichtert an.

,,Liz?" Mein Lehrer sieht mich über den Rand seiner altmodischen Brille hinweg an und räuspert sich. Elena legt ihren Finger unaufällig auf die Zeile, und ich lese bis zum Ende des Absatzes laut vor. ,,Danke." Sie schaut mich prüfend an. Kneift ihre Augen leicht zusammen. Ich versuche mich wieder zu konzentrieren uns stelle fest, das ich fast die ganze Stunde über unaufmerksam gewesen bin. Bis zum entgültigen Klingeln sind es noch sieben Minuten. Als auch die vorrüber sind, packe ich meine Sachen zusammen. Gerade als ich meinen Rucksack verschließe, hällt mir Elena meinen Hefer hin. ,,Danke." ,,Wenn du mich nicht hättest." Sie grinst leicht. Ich auch. Wir gehen gemeinsam bis zum Schultor, verabschieden uns von den anderen. Freya und Jannis gehen Hand in Hand in Richtung Bushaltestelle. Leon steigt von seinem Mototrad ab und hebt die Hand zum Gruß, bevor er Selina in den Arm nimmt. Noah zieht Elena in seine Arme, dann beugt er sich zu ihr herunter. ,,Was sind die süß." James hat sich unbemerkt von hinten angeschlichen und legt nun sein Kinn auf meine Schulter. ,,Hm." Ich wende mich zu ihm um. ,,Wie ist es gerade bei dir zuhause?" ,,Meine Mutter hat sich etwas abgeregt, mein Vater redet nicht mehr mit mir." Er grinst, es scheint ihn nicht weiter zu stören. ,,Und was gedenkst du jetzt zu tun? Ich meine, so kann das ja nicht weiter gehen." Er nickt. Ich besorge mir eine eigene Wohnung, mache mein Abi und erfülle mir dann meinen Berufswunsch, ganz einfach." ,,Ganz einfach." ,,Ja, da ist es gut, wenn man eine reiche Oma hat, die die allergrößte Antispießerin ist, die man sich nur vorstellen kann." ,,Das kann nicht sein, das ist nämlich meine!" Wir lachen. ,,Wo treiben die sich eigentlich gerade herum?" Ich denke an den Brief, der heute morgen, nach Salzwasser duftend, im Briefkasten lag. Meine Oma hasst Postkarten und schreibt immer Briefe. Meistens an mich. Und jedesmal sind diese bunten Briefe mit Briefmarken aus aller Herren Länder für eine Überraschung gut. In dem heutigen war eine kleine Tüte mit Sand und Muscheln sowie einem kleinen blauen Stein. Und einem vier Seiten langen Brief, aus handgeschöpftem Papier mit kleinen Blumen, dicht mit der unordentlichen Handschrift meiner Oma, wie immer mit Kugelschreiber, und mit der viel ordentlicheren Handschrift meines Opas, mit blauem Füller geschrieben. Mein Opa schreibt immer nur mit Füller, denn seiner Meinung nach kann man die schönste Schrift der Welt haben, durch Kuli werde sie zerstört. ,,Gerade sind sie in Italien und, O-Ton : ,,lassen sich die Sonne auf den Bauch scheinen, machen mal wieder richtig Party und knüpfen wie immer neue Bekanntschaften". ,,Die habens gut." ,,Ja." ,,Oh ich, muss los!" Er nimmt mich in den Arm, dann eilt er zu seinem Cabrio. ,,Bis morgen." Noah lässt Elena los, er lächelt sie an. Dann verabschiedet er sich und geht mit eiligen Schritten die Straße in richtung Innenstadt hinuter. Ich will mich ebenfals von ihr verabschieden und zu meinem Auto gehen, aber sie hällt mich zurück. ,,Oh Nein! Meine beste Freundin ist mies drauf und ich werde jetzt umgehend heraus finden, warum." Ich will protestieren, aber diesmal kennt Elena kein Erbarmen. Sie zieht mich hinter sich her, und keine fünf Minuten später finde ich mich in einem gemütlichen Korbstuhl wieder, unter einem hellgelben Sonnenschirm und mit dem Duft von frischen Blumen in der Nase. Okay, war wohl doch keine so schlechte Idee, ihr zu folgen. Immerhin habe ich jetzt einen guten Grund, Eis zu essen. Nachdem wir unsere Eisbecher ausgewählt und bestellt haben, beugt sie sich über den Tisch zu mir herrüber, wieder mit diesem Blick, den sie immer hat, wenn wir irgentetwas analysieren oder interpretieren müssen. Nur das sie diesmal versucht, ihre beste Freundin zu verstehen. Sie lehnt sich wieder zurück. ,,Na dann, Liz, was ist los?" ,,Mensch, ich weiß es doch selber nicht." ,,Warum glaube ich dir das nur nicht?" Ich streiche mir eine Haarsträne hinters Ohr. ,,Weil du mich einfach zu gut kennst." grinse ich zurück. Elena schmunzelt. Wir bekommen unsere Eisbecher. Und dann erzähle ich ihr von Lilys letzten Tagen. Bis jetzt habe ich mit niemandem darüber gesprochen, außer mit meiner Familie und den Campbells. Zwischendurch muss ich einige Male tief durchatmen und die Tränen weg blinzeln, und ich sehe, das auch ihr das Ganze nahe geht. Und ich erzähle ihr von der heutigen Begegnungen mit Elias. Sie versteht, wieso mich sein Kommentar so aufgewühlt hat, warum ich einfach mal kurz allein sein musste. Wir reden lange über all das was sie bewegt, was mich bewegt, worüber wir uns Gedanken machen. Es tut gut, sich mal wieder mit ihr allein zu unterhalten, sich Sachen einfach von der Seele zu reden. Am Ende sind die Eisbecher schon lange aufgegessen und wir reden immernoch und lachen mit einander. Es ist so schön, eine so tolle beste Freundin zu haben, der man einfach alles anvertrauen kann.


6 Monate , 3 Tage, 7 Stunden und 30 MinutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt