Lebenslinien

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Ich nicke. Was bleibt mir auch anderes übrig? Er drückt die Tür zu und ich höre bereits Toby und Summer. Sie lachen. Es lingt so fröhlich und unbeschwert. Allen kommt die Treppe hinuter. ,,Lizzy!" Sie läuft auf mich zu und zieht mich fest an sich. ,,Oh Lizzy!" Sie hällt mich eine Armlänge von sich. ,,Du wirst immer hübscher!" Ich sehe immer gleich aus. Denke ich zumindest. ,,Lizzy!" Rob ist hinter seine Frau getreten und reicht mir die Hand. ,,Hey." ,,Lizzzyyyy!" Summer und Toby rennen gleichzeitig auf mich zu und wefen mich, mit voller Absicht, um. Ich lache, weil sie anfangen haben mich zu kitzeln. Harry rettet mich aus den Fängen seiner Geschwister und zieht mich hoch. ,,Danke, keuche ich und grinse. David steht auf der Treppe, hinter ihm Maggie. Ihre Harre sind etwas länger und hellblau gefärbt, er trägt einen Dreitagebart. ,,Möchtest du zu ihr?" ,,Sie ist wach." setzt Maggie nach. Ich nicke, Harry nimmt meine Hand. Ich lege meine Hand auf die Klinke ihres Zimmers. Die Tür ist noch immer über und über mit Eintrittskarten, Fotos und Aufklebern beklebt, zeugen der fröhlichen und aktiven Tage in ihrem Leben. ,,Lily?" Das Zimmer ist noch so wie ich es in Erinnerung habe. Hellblaue Wände, Über dem Bett ein Balldachin aus weiß-glizerndem Tüll. Auf dem Boden der hellblaue Flauscheteppich, bei dem ich das Gefühl habe, zu versinken. Ich blieb stehen, als ich ihre Hände sehe. Die kleinen Hände sind blass, blaue Äderchen scheinen durch. Ich lasse Harrys Hand los und setzte mich vorsichtig hin, nehme ihre in meine. Sie fühlt sich ganz warm an. Ich fahre die Linien ihrer Handinnenfläche nach. Lebenslinien. Ich hebe den Blick, spüre Harrys riesige Hand auf der Schulter, er drückt sanft. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Sie trägt ein gelbes Top, ist bis zur Brust zugedeckt. Ihre Haut ist so weiß. Ihre Wangen sind eingefallen, nur die grünen Augen stechen munter und wach aus ihrem aschfalen Gesicht. Sogar die Sommersprossen sind noch zu sehen. ,,Liz!" Sie setzt sich auf, ich nehme sie in den Arm. Sie fängt an zu weinen, ich kann mich auch nicht mehr zurück halten und lasse den Tränen freien lauf. Ich weine wegen ihrem Schicksal, wegen der Situation, aus der ich sie nicht retten kann, aber auch aus Freude, sie endlich zu sehen. Ich drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. Lizzy, es ist so schön dich zu sehen." Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Hinter uns schnäuzt sich irgentjemand lautstark in ein Taschentuch. Ich drehe mich um und sehe die gesamte Familie Campbell hinter uns stehen, sie müssen gerade erst hinein gekommen sein. Henry lacht und greift mit seinen kleinen Händen in die Luft, als wolle etwas festhallten. Die nächsten Stunden verbringe ich, ohne auch nur einmal aufzustehen, an ihrem Bett, rede mit ihr und merke, wie viel wir uns noch zu sagen haben. ,,Deine Medikamente." Auf ihrem Tablett liegen einige Tabletten und Kapseln. ,,Liz, du kannst aus mal kurz Pause machen." Erst jetzt merke ich, das meine Füße kribbeln und ich dringend mal etwas trinken muss. In der Küche reicht mir David einen Smoothie. ,,Neues Rezept,sei bitte ehrlich!" Das Getränk ist leicht grünlich. Grün für dieHoffnung. ,,Wie soll er heißen?" ,,Schmeckt er?" Ich probiere.,,Ja." ,,Du darfst einen Namen aussuchen." ,,Da fühlt sie sich aber jetzt geehrt." Maggie trinkt auch einen Schluck, sie sieht erstaunt aus. ,,David, du wirst besser!" ,,Liz?" ,,Ich würde ihn Hoffnungsschimmer nennen." Er nimmt mir das Glas ab und grinst. ,,Finde ich gut." Ich lächle und sehe nach draußen in den wundervollen Garten. Bunte Blumen, kleine Büsche und riesige Bäume sind ohne eine erkennnbare Ordnung verteilt, dazwischen ist ein kleiner Weg angelegt, in dem Riesenhaften Kirschbaum hängen über verschiedene Höhen verteilt Schaukeln und Hängematten. Die Sonne spiegelt sich in dem kleinen Fischteich und der Springbrunnen, der versteckt hinter einem Busch steht, plätschert vor sich hin. Man könnte meinen, es sei ein kleiner Märchenwald. Oder dass Familie Campbell zu faul ist, sich ordentlich um ihren Garten zu kümmern. Aber das stimmt so nicht, sie lieben es einfach so verwildert und es macht viel mehr Freude in einen lebendigen Garten hinaus zu sehen als in einen, der strengen Mustern folgt und aus dem jede Schnecke entfernt wird. Zum Gemüsebeet kommt man, wenn man die kleine Steintreppe hinauf zur einen kleinen Torbogen mit Rosenraken geht. Es ist Davids ganzer Stolz, er liebt es, frisch zu kochen. Und ganz hinten, ganz am Ende, getarnt durch eine Kuppel aus Blättern, steht eine kleine Holzbank, der Platz, an dem ich hier am liebsten bin. Immer wenn man nachdenken will oder seine Ruhe braucht geht man dorthin, setzt sich und genießt die Stille. Niemand würde einen da stören, das ist hier ein ungeschriebenes Gesetzt. Ich öffne die Verandatür und gehe langsam den Steinweg hinab. ,,Liz, warte!" Harry läuft mir nach. ,,Ich begleite dich." Ich lächle ihn dankbar an und er geht in ein wenig Abstand zu mir ebenfals Richtung Bank. Ich bücke mich und halte meine Hand in den Fischteich. Einer der Kois kommt angeschwommen und knabbert an meinen Fingern. Er schwimmt weiter und wir gehen weiter, die Steintreppe hinauf und verschwinden endlich unter dem Blätterdach. Wir setzten uns nebeneinader und lassen unseren Gedanken freien Lauf. Ich lehne mich gegen ihn und er lächelt. ,,Wir schaffen das schon." Ich nicke.

Ich löffle im Eiltempo mein Müsli. Für ein ausgewogeneres Abendessen habe ich weder Zeit noch Hunger. Der Alltag hat sich wieder eingestellt, ich bin bereits 4 Tage wieder hier, und bis jetzt ging es ihr immer besser. Aber heute morgen konnte sie nicht mehr sprechen, das erste Anzeichen, dass es bald vorbei ist. Einerseits wünsche ich mir, dass sie noch so lange wie möglich bei uns bleibt, andererseits will ich, dass sie einfach einschläft. Ich will nicht dass sie Schmerzen hat. ,,Liz!" Harry steht auf der Treppe. Wir wechseln uns ab, sodass immmer jemand bei ihr ist. Er ist kreideweiß. Ich springe auf, folge ihm die Treppe nach oben. In Lilys Zimmer hat sich bereits die ganze Familie versammelt. Henry krabbelt gerade von Maggies Schoß und tapst zu Lilys Bett, kuschelt seinen kleinen Kopf in ihr mattes rotes Haar. Sie öffnet schwach die Augen und streicht ihrem Bruder über den Arm. Er gibt ihr einen klebrigen Kuss und tapst dann zurück zu Maggie. Er hat sich von ihr verabschiedet. Rob tritt zu ihr heran und stellt das Kopfende ihres Bettes hoch, sodass sie uns allle sehen kann. ,,Daddy." flüstert sie. Er beugt sich zu ihr herunter, Tränen laufe ihm die Wange hinunter. Er hällt sie fest. Lange. Er flüstert ihr etwas zu, streicht ihr das letzte Mal über den Kopf. ,,David." Er küsst seine kleine Schwester sanf auf die Wange, schluchzt auf. Sie streichelt ihm über den rücken. ,,Viel Glück!" flüstert sie. ,,Danke. Er lächelt schief. Sie hat ihm Glück für seine Prüfung gewünscht. Er löst sich von ihr. ,,Mags." Maggie schließt sie fest in die Arme, weint, nimmt ihr Gesicht in ihre Hände. Flüstert etwas in ihr Ohr, küsst sie. ,,Wir treffen uns da oben, warte auf mich, Lily." Lily nickt, lächelt schwach. Maggie tritt laut schluchzend zurück, wird von ihrer ebenfalls laut schluchzender Mutter in den Arm genommen. Harry ist an der Reihe. Er kniet sich vor sie, legt seinen Kopf an ihren Hals in flüstert ihr leise etwas ins Ohr. Lily läuft eine Träne die Wange hinunter. Er zieht einen kleinen Zettel, dicht mit seiner fast unleserlichen Schrift beschrieben, aus seiner Hosentasche. Sie konnte seine Schrift immer am besten lesen, konnte Wörter enziffern, die auch er nicht mehr erkennen konnte. ,,Das ist für dich. Nur für dich. Damit du dich da oben nicht so langweilst, bis ich zu dir komme." Er zieht sie noch einmal in seine Arme, bevor er Platzt für Summer macht. Er tritt benommen zurück, ich lege ihm meine Hand auf den Arm. Summer legt sich neben ihre Schwester, versenkt die Nase in ihrem Haar. Die beiden Schwestern liegen eine Weile so da, eng beieinander und sehen sich an. Sie verstehen sich ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Summer weint nich, sondern küsst ihre kleine Schwester und lächelt dann. ,,Danke, dass ich so viel Zeit mit dir verbringen durfe, ich habe dich so lieb, Lily, und ich will, dass du das weißt. Mir rollt eine Träne die Wange hinuter. Toby ist ganz anders als seine Schwester und doch sind sie sich so ähnlich. Auch er weint nicht, als sie aus Lilys Bett klettert, sondern setzt sich im Schneidersitz vor sie hin. Und dann beginnt er eine Geschichte zu erzählen. Er beschreibt einen wundervollen Strandspaziergang und malt mit Worten ein Bild. Er hat wirklich Talent. Und ganz zum Schluss, als seine Geschichte zu Ende geht, erzählt er eine Witz. Ich muss lachen, weil auch Lily lacht und strahlt. Er gibt ihr ein Küsschen auf die Stirn und springt aus dem Bett. Ich spüre, dass ich nun dran bin. Also knie ich mich vor ihr hin, um ihr in die wunderschönen grünen Augen sehen zu können. Ich habe lange überlegt was ich sagen könnte, habe über Formulierungen nach gedacht. Aber nichts von diesen Dingen drücken dass aus, was ich eigentlich sagen will. Als beuge ich mich nur vor und flüstere .,,Du bist so ein fantastisches Mädchen. Ich danke dir, dass ich dich noch einmal sehen durfte. Du bist für uns alle ein Geschenk des Himmels und du wirst für immer bei mir bleiben. Ich habe dich lieb." Sie lächelt. ,,Ich habe dich auch lieb, Liz!" Ich lächle, sie streicht eine meinener Tränen weg. Ich lächle, gebe ihr einen Kuss auf die weiche Wange und stehe auf. Sie lässt meine Hände los und Allen stürzt sich förmlich auf ihre Tochter. ,,Oh meine kleine Lily!" Schluchzt Sie. Harry nimmt mich in den Arm, ich weine leise. Sein T-shirt wird an der Schulter durch meine Tränen nass. Wir setzten uns alle ganz im Kreis um Lilys Bett. ,,Ich habe euch alle so lieb." flüstert sie, bevor ihr die Augen zufallen uns sie in Allens Armen einschläft.

6 Monate , 3 Tage, 7 Stunden und 30 MinutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt