Überfall

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Yoshi fühlte sich trotz seiner japanischen Wurzeln als ganzer Deutscher und war stolz in solch einem Land leben zu dürfen. Hier hatte er sich vor fünf Jahrzehnten ein neues Leben aufgebaut, nachdem er vor seinem Heimatland geflohen war. Nicht mit der Kultur zurechtkommend und täglich dem Stress der Gesellschaft ausgesetzt, hatte er sich nach etwas anderem gesehnt. Nämlich Freiheit!

Als junger Mann war er ausgewandert. Dorthin, wo ihn das Herz schon immer geführt hatte. Er sehnte sich nach diesem Land, welches nun sein neues Leben bot und er bereute nichts.

Schon immer war er von Deutschland fasziniert gewesen und so hatte er letzten Endes dann doch einen sehr gewagten Schritt gemacht. Ohne große Ideen war er hierhergekommen und führte nun ein wunderbares Leben. Es war ruhig und schön, ihm fehlte es an Nichts. Trotz der kleineren Schwierigkeiten, vor allem die Sprache machte ihn zu Anfang fertig, besaß er nun einen kleinen Buchladen mit dem er sein Leben finanzieren konnte. Seine Miete konnte er bezahlen und zusätzlich war es ihm erlaubt eine Angestellte, Tora, zu beschäftigen. Er mochte sie und sah in ihr seine Tochter, welche er nie haben durfte. Ja, der alte Mann war alleinstehend und bereute es nur ein bisschen. Manchmal saß er oft da und fragte sich, wie es anders gelaufen wäre. Was wäre wenn und doch war er stolz auf sein Leben.

Langsam bewegte er sich durch seine Wohnung, welche hauptsächlich alte Holzmöbel aufwies. Gemälde, welche verschiedene Landschaften zeigte, säumte seine Wände. Alles wirkte in einem älteren Stil und doch war jeder Gegenstand gepflegt.

Lediglich das laute Ticken seiner geliebten Standuhr durchbrach die vertraute Stille. Hier konnte er entspannen und auch wenn er diese Ruhe genoss, so wollte er niemals aufhören zu arbeiten. Schon längst hätte er in Rente gehen können, aber er wollte seinen Laden nicht alleine lassen und ebenfalls auch Tora nicht. Diese hatte niemanden. Es gab keine Verwandten, welche sie besuchten, stets war sie allein. Unverständnis machte sich in Yoshi breit, während er langsam zum schwarzen Ledersessel schritt, welcher im Wohnzimmer vor einem kleinen Fernseher stand. Er konnte einfach nicht verstehen, wieso niemand von Toras Familie etwas mit ihr zu tun haben wollte. Sie war nicht schwierig oder gar dumm. Im Gegenteil.

Tora war sehr hilfsbereit und lebte in ihrer eigenen Welt. Schon oft hatte der alte Mann ihren schweifenden Blick beobachtet, wenn sie in die Ferne sah und scheinbar in eine andere Welt eintauchte. Daher liebte sie auch die Welt der Bücher, welche ihre Fantasien fütterten. Wenn man schon Keinen im echten Leben hatte, so suchte man eben eine Alternative. Und wenn es sie glücklich machte, so würde Yoshi es nicht verhindern. Zudem war es genau das, was sie ausmachte. Dies und ihre zurückhaltende Art, auch die Stille, welche sie umgab. Laut seufzend setzte sich der alte Mann langsam in den Sessel und starrte auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Sosehr er diese junge Frau auch mochte und sie wie seine eigene Tochter erzog, so sehr wurde ihm aber auch sein hohes Alter bewusst. Wie lange er noch zu leben hatte, wusste er nicht. Aber eines war sicher. Tora würde irgendwann alleine in dieser Welt sein und er würde niemals ihr ein Stück der Realität geben können, welches sie so sehr brauchte. Es war gut so zu sein wie man nun war. Aber wenn sie zu sehr in ihrer eigenen Welt lebte, würde sie niemals mehr den Anschluss im wahren Leben bekommen. Somit wartete auch Yoshi verzweifelt darauf, dass es dort draußen jemand gab, der ihr das wahre Leben zeigen konnte. Es konnte doch nicht sein, dass niemand sie wollte. Immerhin gab es über sieben Milliarden Menschen, also musste es doch einen dort geben, der von Tora fasziniert war.

Gedanken versunken strich er durch seinen Bart und blendete seine komplette Umgebung aus, sodass er erst nach Langem das klirrende Geräusch seiner Klingel vernahm. Hektisch wurde sie betätigt und jemand schien es eilig zu haben ihn zu sprechen. Langsam stand der alte Mann auf und schlürfte in seinen grünen Pantoffeln zur Haustüre, ohne zu wissen, wem er nun aufmachte. Vielleicht war es wieder der Nachbar oder aber der Postbote, welcher ihm ein Paket geben wollte. Es kam oft vor, dass Yoshi die Post von Anderen annahm, er half eben gerne.

Streets  #Wattys2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt