Ritter

4 2 0
                                    

Je länger ich ihn ansah, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich hier nicht weiter so herumliegen konnte. Ich musste verschwinden und fliehen, so schnell es ging. Am besten suchte ich die Polizei auf oder sprach jemanden auf der Straße an, nein, auf Akaya konnte ich nicht mehr hoffen. Meine Zeit lief und zwar gegen mich. Darum hatte ich alleine zu handeln, denn ich war auch alleine hier rein geraten. Es war meine Schuld gewesen, also musste ich auch selber damit klarkommen. Es würde kein Ritter kommen, in einer edlen Rüstung und mich retten. Nein, so etwas gab es nicht, ich musste realistisch denken. Zumindest einmal in diesem Leben, länger an Märchen glauben durfte ich nicht. Auf jeden Fall nicht in dieser Situation.  

Langsam stand Jareth auf und legte sein teures Handy – ich vermutete unabsichtlich – auf dem Tisch hin. Ohnehin schien er sehr in Gedanken zu sein. Erst danach begab er sich zur Fenster, wo er dem neuen ergrauten Tag zuschaute. Die Sonne schien nicht, es war so, als würde sich das Wetter an meine Stimmung oder an die gesamte Situation anpassen. Natürlich verfolgten meine Augen ihn, doch sobald er mir den Rücken zukehrte, setzte ich mich aufrecht hin. Sofort überkam mich ein Schwindel, während mein Kopf sich ungemein schwer anfühlte. Egal was er mir gespritzt hatte, es wirkte noch immer. Zwar nicht vollständig, denn dann würde ich bestimmt schlafen, aber es lähmte für einen kurzen Moment meine Glieder. Auch mein Magen protestierte heftig dagegen, sodass ich den Würgereflex herunterschlucken musste. Kurz blickte mich mein Peiniger an und schenkte mir ein gehässiges Lächeln. Ihm schien es zu gefallen, dass ich wie ein großer Haufen Elend auf dem Sofa saß.

„Ein kalter neuer Wintertag und die Nacht ist vorbei", begann er zu erzählen. Wieso er dies machte, wusste ich nicht, aber es erschien mir im Moment sehr verrückt über das Wetter zu reden. Immerhin hatte er mich in seiner Gewalt, da hatte man doch keine Zeit über so etwas zu reden oder lag ich da falsch? Nicht, dass ich dies laut aussprechen würde. Immerhin schenkte es mir wertvolle Minute, bevor ich einen langsamen Tod sterben würde. Doch so weit wollte ich es nicht kommen lassen. Noch immer überlegte ich stark wie ich am besten fliehen konnte. Jareth war schnell und sehr viel stärker wie ich, darum brauchte ich eine Menge Zeit. Blinde Flucht half da überhaupt nicht, denn ich musste ihn so ablenken, dass es mir wertvolle Sekunden verschaffen konnte. Ich musste also meinen physischen Unterschied ihm Gegenüber irgendwie ausgleichen. Nur wie?

„Übrigens, du hast im Schlaf geredet", erwiderte der Blonde weiterhin und drehte sich zu mir um, ehe er sich eine Zigarette anzündete. Provozierend stieß er den Rauch in meine Richtung, sodass ich ihn gezwungenermaßen einatmen musste. Die Kombination von Rauch und Betäubungsmittel waren einfach nicht gut. Sofort hielt ich mir die linke Hand vor dem Mund und versuchte alles drin zu behalten. Auch wenn mein Magen leer war, so besaß er noch immer die Magensäure, welche ungemein ihren Weg durch meine Speiseröhre fand. Unentwegt starrte ich auf den Tisch um mich ein wenig abzulenken.  

Sein Handy lag verführerisch in der Nähe, doch ich durfte nicht darauf starren, sonst würde er es mitbekommen. Ich musste mich ablenken und so schindete ich Zeit und hakte nach: „I-Ich habe geredet? Eigentlich r-rede ich gar nicht im Schlaf." Meine Stimme zitterte ein wenig, doch es hielt sich in Grenzen.

„Woher willst du wissen, dass du nicht im Schlaf redest?"

Schulterzuckend antwortete ich ihm. Das wusste ich nicht, aber es erschien mir trotzdem sehr suspekt, dass ich es angeblich tat. Hoffentlich war es nur nichts Peinliches, was er nun gehört hatte, denn so wie es schien war er die gesamte Zeit über wach geblieben. Ob er nicht müde war? Bestimmt nicht, vielleicht war er an so etwas auch gewöhnt. Wer wusste, wie viele Menschen er schon gefangen und getötet hatte. So genau wollte ich es auch nicht wissen, denn ich war die Nächste und ich musste es irgendwie verhindern.

„Du hast nach Akaya gefragt. Immer wieder. Manchmal klang es bettelnd, dann wieder fragend und ein anderes Mal hast du nach ihm gerufen. Laut und durchdringend, sodass ich dir den Mund zuhalten musste", meinte der Blonde breit grinsend. Doch ich war wie gelähmt und nahm seine Worte nur in der Ferne war. So schlimm war es mittlerweile? Ich hatte nach ihm gerufen? Sosehr sehnte ich mich nach ihm, sosehr erhoffte ich mir, dass er mich retten würde? Mir kamen die Tränen. Es war so plötzlich, dass ich sie nicht mehr zurückhalten konnte. Immer wieder wischte ich sie mir weg, solange bis meine Augen schmerzten. Zugleich unterdrückte ich das Schluchzen, damit es Jareth nicht mitbekam. Dieser jedoch beobachtete mich im Fenster, nachdem er sich wieder umgedreht hatte und fand es wahrscheinlich noch erregend, wie gebrochen ich war. Glänzend schienen seine Augen, wahrscheinlich aus Vorfreude.

Streets  #Wattys2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt