42.

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Mit beiden Händen tief in den gefütterten Innentaschen meines dunkelblauen Hoodies vergraben, stapfe ich durch das nasse Laub im Park.

Es hat mittlerweile aufgehört zu regnen, doch die Luft ist noch feucht und die Straßen und Wege nass. Der Herbst begrüßte unsere Innenstadt gestern mit einem tobenden Sturm, wessen hinterlassene Spuren heute noch überall erkennbar sind. Äste und Baumzweige liegen auf den Wegen, Dächern fehlen einzelne Ziegelsteine und vorhin sah ich eine Frau mit Eimern Wasser aus ihrem überfluteten Geschäft hieven.

Mein eigener persönlicher Sturm sollte jedoch noch auf mich warten.

Erst vor einer halben Stunde bekam ich Jasons Nachricht, die mich dazu aufforderte, ihn auf dem Schulhof zu treffen. Ich wusste, dass es um Rebecca Verschwinden geht. Ich wusste, es geht um seine Nacht mit ihr und seine Erklärung dafür. Nach all dem Leid, das er mir zugefügt hatte, riss es mich trotzdem zu ihm. Ich wollte ihm zuhören.                                                                   Scheißegal, was er zu sagen hatte. Ich musste ihn hören. Ich wollte endlich abschließen.

Wahrscheinlich ist das gerade der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf geht und nach all dem Mist, den ich mir schon vorgeworfen habe, ist dieser Plan sogar gut möglich das unrealistischste, das mir passieren kann. Aber tatsächlich hat sich nach der ganzen Heulerei und dem Selbstmitleid etwas in mir bewegt, das danach schreit, endlich abzuschließen. Mit ihm und der ganzen Zeit, die wir zusammen verbracht haben.

Missmutig steige ich die Treppen zu den Fahrradständern empor und sehe etwas weiter abgelegen tatsächlich auf einer Bank einen Jungen sitzen. Seine schwarze Kapuze ist tief ins Gesicht gezogen und er hat sich mit den Ellenbogen nach vorne gebeugt auf seine Beine abgestützt. Je näher ich komme, umso höher schlägt mein Herz.

Erst als ich widerruflich genau vor ihm stehe, bewegt der Junge seinen Kopf und schaut zu mir hoch. Jason sieht mich an. Mit einem Blick, der mir den Atem stoppt.                                                         Es ist die pure Verzweiflung, die mir in die Augen starrt. Furcht, Hass, Panik, innere tiefe Zerrissenheit. All das tobt in seinen schimmernden, rotverquollenen Augen.

"Blair...", seine flüsternde Stimme zittert. "I...ich habe Scheiße gebaut."

Ich atme schwer und bringe zögernd einen Satz heraus. "W-was ist passiert?" Entsetzt setze ich mich neben ihm und lege instinktiv meine Hand auf seine Schulter.

Bei meiner Berührung zuckt er zusammen, weicht jedoch nicht weg, sondern schaut mich nur noch durchdringlicher an.

Er ist kalkblass im Gesicht. "Rebeccas Verschwinden ist meine Schuld."

Was redet er da? Ich schüttle irritiert den Kopf und streichle sanft seine Schulter. "Nein, Jason. Sag sowas ni-"

"Doch.", fällt er mich eisern ins Wort und starrt zu Boden. Eine ganze Weile sagt keiner von uns beiden was. Die Stille umgibt uns wie ein eiskalter Schleier. Ich traue mich nicht etwas zu sagen oder gar nachzuhaken. Die Antwort könnte mich zu sehr erschüttern. Ein paar Minuten vergehen, ehe er weiter spricht. "Ich... ich habe mich entschieden, vollkommen ehrlich mit dir zu sein. Weil es das einzige ist, was du noch von mir verdienst."

In mir zieht sich alles zusammen.

Er schaut auf. Sein Bein wippt hektisch auf und ab, doch sobald er spricht, wird sein Körper ganz still. "Blair. Ich habe noch nie in meinem Leben ein so reines und gutherziges Mädchen getroffen, wie dich. Du bildest dir keine schnellen Vorurteile. Du siehst in jedem das Gute."
Er sagt es, als wären es etwas Schlechtes. Er sagt es, als wären es genau die Gründe, die ihn dazu bringen, mich nicht an ihn ranzulassen.
Ich bringe keinen Ton heraus, mein Kopf ist wie ausgeschaltet. Mein Mund ist staubtrocken. 

Once upon a fuckboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt