27.

6K 346 134
                                    

"Blair, ich habe ein Problem.", betritt Aiden mein Zimmer und schließt hastig die Tür hinter sich.

"Oh, das hab ich gesehen."

Ich ziehe die Decke ein bisschen höher, sodass mein Bett sich richtig schön höhlenartig anfühlt. Das brauche ich nämlich gerade. Eine Höhle, in die ich mich für immer verstecken kann, um das gerade Gesehene für immer aus dem Gedächnis radieren zu können.
Grace und mein Bruder. Mein Bruder und Grace.
Das ist...
Murks.
Mir wird übel.

"Ich meine es ernst.", zischt mein großer Bruder, reißt mir die Decke vom Kopf, nimmt mir mein Buch aus der Hand und wirft es in meine andere Zimmerecke.

"HEY, was soll das?" Verärgert setze ich mich auf. "Gerade war es spannend. Die Protagonisten hat nämlich herausgefunden, dass ihre beste Freundin mit ihrem Bruder schläft und jetzt ist sie dabei, IHN QUALVOLL MIT EINEM KÜCHENMESSER ABZUSTECHEN!"
Bestseller.

Aiden versucht mit gehobenen Händen meine Sinne zu beruhigen und drückt mich am Kopf wieder zurück ins Bett.
"Es tut mir echt leid, aber du darfst mich nicht verurteilen. Hör mir bitte zu, ich habe eine gute Erklärung..."

"Ich höre.", schnaufe ich und mir platzt dabei fast eine Blutader.

"Das mit Grace ist einfach so passiert. Auf deiner Geburtstagsparty. Betrunken. Und ich hätte es auch schon längst beendet, wenn ich keinen guten Grund dafür hätte, es nicht beenden zu können."

Ich verschränke die Arme vor der Brust und blicke ihn auffordernd an.

"Ich bin in jemand anderes verliebt.", rückt er vorsichtig raus und setzt sich auf meine Bettkante. "Und diese Person bekomme ich nun mal nicht aus dem Kopf, bevor ich keine andere Person darin herumschwirren lasse."

Ungläubig forme ich meine Augen zu gefährlichen Schlitzen.
"Warte. Das bedeutet, DU BENUTZT GRACE NUR?"
Was soll daran bitte eine gute Erklärung sein, hat dem irgendwer ins Hirn geschissen?

"Nein! Also...Ja. Ja schon, aber-"

"IST DAS FUCKBOY-SYNDROM JETZT ZU IRGENDEINER SEUCHE MUTIERT ODER WAS?", fauche ich weiter und schubse ihn an der Brust zurück.

Aiden stutzt einen Augenblick, als er zurücktorkelt und legt den Kopf schief.
"Was...ist ein Fuckboy?"

"RAUS AUS MEINEM ZIMMER!"

"Aber-"

"RAUS!"

Mit verdrehenden Augen und gesenkten Schultern verlässt er mein Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.

Ich lasse mich nach hinten auf mein Bett fallen und seufze aus. Was ist mit den Jungs nur passiert? Ich verstehe es wirklich nicht. In einer halbwegs emanzipierten und frauenrechtlich gestützen Gesellschaft, wie dieser hier, denken Jungs trotzdem noch, sie können mit den Gefühlen von Mädchen spielen und umgehen, wie es ihnen passt.
Und das Schlimmste ist:

Wir machen da auch noch mit.

***

Am nächsten Tag sitzen Quinn, Grace und ich in der Einkaufsmall an unserem Lieblingsplatz im Eiscafé. Natürlich bin ich nicht darum herumgekommen, über die gestrige Aktion zu diskutieren und erst Recht nicht, weil Quinn sich gerade aufspielt, als würde das Naturgleichgewicht aus den Fugen geraten, nur weil Grace was mit meinem Bruder angefangen hat. Ich hingegen habe nicht viel zu dem allen gesagt. Weil wenn ich angefangen hätte zu reden, hätte ich nicht mehr aufhören können. Und dann wäre mir früher oder später mit Sicherheit über die Lippen gekommen, dass mein Bruder dabei ist, eine ziemliche Grütze zusammenzubrauen. Und es würde mir das Herz brechen, Grace leiden zu sehen.
Allein, weil sie der sensibelste Mensch ist, den ich kenne.
Natürlich macht es mich noch ein Stück mehr fertig, meine beste Freundinn nicht aufklären zu dürfen. Vielleicht ist das sogar ein wenig hinterhältig. Aber Grace hat mir auch nicht sofort von ihrem Verhältnis mit meinem Bruder erzählt, um mich zu schützen.
Und jetzt tue ich es ja nicht gerade anders... auf irgendeine Art und Weise.

Once upon a fuckboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt