Eine Zugfahrt

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Der Zug ratterte und schwankte so stark, dass Lina mit jeder Sekunde ein schlimmeres Gefühl der Übelkeit verspürte. So hatte sie sich die Fahrt in ihren Wanderurlaub definitiv nicht vorgestellt. Natürlich - dass in den meisten Gegenden von Rumänien keine Luxuszüge unterwegs waren, war ihr klar gewesen. Aber der Bummelzug, der neben dem ständigen Wackeln auch noch hoffnungslos überfüllt war, ließ sie an diese Bilder denken, die man von übervollen japanischen U-Bahnen vor Augen hatte.   
Neben Lina, auf dem Gang des Zuges, lehnte ein kleiner, glatzköpfiger Mann, der durchdringend nach Schweiß müffelte und ihr mit jedem Schlenkern der Bahn näher kam. Das schiefe, irgendwie unangenehme Grinsen, dass er im Gesicht trug, machte die ganze Sache nicht viel besser.

„Kann man hier nicht mal die Fenster aufmachen? Eine Klimaanlage hat das alte Ding ja vermutlich nicht!"
Die männliche Stimme drang durch das Abteil und Lina erkannte darin Chris, einen ihrer Reisepartner. Er stand inmitten der Menschenmenge und überragte dort alle um mindestens einen Kopf.
Lina ließ den Blick über den Zugflur gleiten.
Niemand der anwesenden Personen sah im Moment besonders abenteuerlustig aus. Kein Wunder - es war verdammt heiß. Mindestens 30 Grad, eher 35. Dazu gesellte sich eine interessante Mischung aus Schweißgeruch und etwas, dass unangenehm nach Dönerbude roch - und ihrer Übelkeit nicht unbedingt zuträglich war.
Schon seit sie eingestiegen und sich auf ihren Stehplatz gequetscht hatte, fühlte sie sich furchtbar. Überhitzt, eingepfercht - und dass sie reihum von fremden, glotzenden Menschen umgeben war, machte die Sache nicht viel besser.
Ein junger Mann mit graublondem Haar und Dreitagebart begann, sich an dem schmierigen Fenster zu schaffen zu machen. Matthias, ihr zweiter Mitreisender und Leiter des Urlaubs schaffte es schließlich mit einiger Krafteinwirkung, die Scheibe nach oben zu schieben.

Lina sog die frische Brise gierig ein und das Engegefühl in ihrer Brust löste sich ein wenig. Einige der Mitfahrer gaben anerkennende Gesten von sich und der Glatzkopf streckte sogar einen Daumen in die Höhe.

Heute in frühester Frühe waren sie vom Münchener Flughafen aus gestartet.
Lina hatte dummerweise verschlafen und es dank der wie so oft verspäteten S-Bahn nur wahnsinnig knapp geschafft, den Flieger nicht zu verpassen. Die halbe Flugzeit lang hatte sie sich deswegen die Spöttelei der anderen anhören müssen und als sie schließlich in Rumäniens Hauptstadt Bukarest gelandet waren, war sie so gerädert gewesen, dass sie sich am liebsten in einen der Flughafenwartesessel geworfen und den ersten Tag der Tour verschlafen hätte.

Der Trip war Matthias Idee gewesen. Er schwärmte seit Jahren für Osteuropa als Urlaubsziel und hatte bereits unzählige Reisen nach Rumänien unternommen.

Wenn Lina sich den uralten Bummelzug ansah, mit dem sie gerade unterwegs waren, wünschte sie sich gesagt eher an die Costa de Sol in Spanien - aber sie hatte Matthias' überaus enthusiastische Pläne über die Idee, eine Rundfahrt durch Draculas Land zu machen einfach nicht ablehnen können. Das Angebot war aber auch äußerst gut gewesen.
Landung in Bukarest, von da aus ein Zugtransfer zum Schloss Bran mit Übernachtung im naheliegenden Dorf. Am zweiten Tag sollte es dann nach Sibiu, Hermannstadt gehen. Nach der Stadterkundung würden sie in der Nähe von Cluj-Napuca absteigen und dort einige Tage im Apuseni Gebirge wandern.
Und - der Preis der Tour war absolut unschlagbar, was Linas momentan eher knappen Kasse zugegebenermaßen ganz gut tat.

Insgeheim hatte Lina Bedenken gehabt, denn die übliche Meinung von Rumänien als Land war nicht unbedingt immer positiv. Armut, Diebesbanden, Schmutz und Straßenhunde an jeder Ecke. Ihre Mutter hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wie es Lina denn überhaupt einfallen könnte, „in so ein Loch" zu fahren. „In so ein Loch", das war für ihre Familie so ziemlich alles, was nicht superschick, supergehypt und superteuer war.
Das überaus schockierte Gesicht ihrer Mutter war für Lina letztendlich auch der ausschlaggebende Punkt gewesen, die Reise zu buchen.
Bukarest hatte sich bei Ihrer Ankunft dann als überraschend modern herausgestellt. Kriminalität und Bettelbanden Fehlanzeige - überall sprossen Geschäfte aus den Boden, auf den Straßen führen natürlich keine klapprigen Eselkarren und es waren mehr junge, attraktive Menschen unterwegs, wie an einem Samstagnachmittag in München.

Viel Zeit, um die Stadt zu erkunden, hatten sie jedoch nicht. Der Zug nach Bușteni, einer Kleinstadt in den Karpaten, fuhr schon um Punkt 11 Uhr ab. Doch immerhin war Zeit, in einem der hübschen Bukarester Cafes in der Altstadt einen Kaffee zu trinken und durch ein paar der schmalen Gassen zu spazieren.

Und nun saßen sie in diesem grässlichen Zug und Lina war heilfroh, keines von den fettigen, puddinggefüllten Gebäckstücken gegessen zu haben, dass das Cafe im Angebot hatte. Das hätte sich wohl instant nach oben hinaus verabschiedet.
Wie auf Befehl ruckelte die Bahn jetzt ganz besonders übel und der Mann neben ihr rutschte gefährlich nah in Linas Richtung. Sie machte ein paar Schritte in Richtung des Fensters und sah hinaus. Draußen rauschten die Vororte Bukarests vorbei und dort konnte man schon eher betrachten, dass viele Rumäniens Bewohner in Armut lebten. Bunte kleine Häuser, zerfallene Holzzäune und eine Menge Stromleitungen über den von Schlaglöchern gesäumten Wegen.
Drei kleine Kinder, die in einem der Vorgärten Fußball spielten, winkten dem vorbeifahrenden Zug zu, als der ein lautes Hupen hören ließ.
Nach knapp zwei Stunden wurde der Ort Busteni über die Lautsprecherdurchsage angekündigt. Wo die Landschaft vorhin um Bukarest herum noch einigermaßen flach war, hatte man schon nach einigen Kilometern die ersten Berge erahnen können. Mittlerweile ragten die Karpaten hoch in den Horizont, was zusammen mit dem tiefblauen Himmel ein hervorragendes Postkartenmotiv abgegeben hätte.

Der hübsche, gelb gestrichene Bahnhof mit Schuld „Busteni" mit dem Bergpanorama im Hintergrund hätte so auch in der Schweiz oder in Bayern stehen können. Lina sprang aus dem Wagon, stand dann erst einmal am Bahnsteig und atmete die heiße, aber dennoch frische Luft ein. Kim, Chris und Matthias folgten ihr und schienen ebenso erleichtert zu sein, den Zug verlassen zu haben.

Willkommen in Transsilvanien."

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