Mike.

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Er hatte recht. Sie hatten sich viel zu lange aufhalten lassen und jetzt, bei den Gedanken an die Menschen, die sich nicht weit von ihnen befanden, legten die vier ein schnelleres Tempo vor. Bis zum Abend würde es zwar noch einige Zeit dauern, aber wer wusste schon, wie lange die Leute dort blieben, bevor sie weiterzogen.

Mit jedem Schritt, den sie sich von der Höhle und der Leiche entfernten, wurde es Lina leichter ums Herz. Noch immer schwirrte ihr der Kopf. Beinahe wäre es ihr so ergangen wie diesem James, der dank eines gerissenen Seils vom Berg gestürzt war. Sie schwor sich, nie wieder irgendetwas hohes zu besteigen, wenn es nicht unbedingt notwendig war.

Und überhaupt - diese Reise hier hatte sich zu einem echten Horrortrip entwickelt. Hätte sie geahnt, dass sie es hier mit Albträumen, asbestverseuchten Dörfern, kaputten Brücken, verdammt gruseligen Halluzinationen und zu guter Letzt alten Leichen in Bergen zu tun bekommen würde, hätte sie es definitiv vorgezogen, zuhause zu bleiben. Nichtmal ein Flug zum Ballermann, zusammen mit Kim und jeder Menge Sangria-Sauf-Eimern, hätte schlimmer sein können.

„Wie weit ist es noch? Mein Kopf bringt mich um!"

„Dahinten bei den hohen Tannen müsste es sein. Halt noch ein bisschen durch, Kim. Fünfzehn Minuten."

Kim keuchte wie eine alte Dampflok und auch Lina fühlte sich auf gut deutsch gesagt einfach nur beschissen. Sie hatte seit Stunden nichts gegessen, außer einer kleinen Handvoll gesalzener Erdnüsse, die mittlerweile auch beinahe ihren Restbestand in Sachen Proviant ausgemacht hatten. Mit einem riesigen Loch im Bauch bei geschätzten 35 Grad zu marschieren, war alles andere als angenehm. Und zu allem Überfluss meldete sich nun auch noch die schmerzhafte Blase an ihrer linken Ferse, die in der letzten Zeit eigentlich Ruhe gegeben hatte. Von ihrem Rücken gar nicht erst zu reden.

Lina war kein gläubiger Mensch, im Gegenteil. Aber jetzt sprach sie im Geheimen ein ein inniges Gebet an Gott, dass sie doch bitte endlich ankommen und vorallem auf zivilisierte Menschen stoßen würden.
Genau achtzehn Minuten später gelangten sie an eine massive Felswand. In ihr steckten eine ganze Menge silberner Haken.

Das musste der Ort sein, den sie vorhin von oben gesehen hatten. Aber keine Spur von den Kletterern. Nur ein paar ausgetretene Flecken aus gelben Gras, wo womöglich bis vor kurzem noch Zelte gestanden hatten. Sie waren zu spät.

„FUUUUUUUCK!"

Chris' Ruf hallte durch die Landschaft und ganz stilecht flogen erschrocken ein paar Vögel aus einer der Baumkronen.
Matthias hatte einen „Ich habe es euch gesagt, aber Ihr wolltet nicht hören."-Ausdruck aufgesetzt und Kim ließ sich einfach an Ort und Stelle fallen und stöhnte.
„Nein....nein, nein, nein!", heulte sie. „Das kann doch einfach nicht wahr sein! Wieso sind diese blöden Idioten einfach weg?! Jetzt finden wir nie zurück!"



„Idioten also, hm?"

Die dunkle, etwas raue Stimme kam wie aus dem Nichts und Lina keuchte erschrocken auf. Auf einem schmalen Trampelpfad stand ein Mann. Er trug einen großen Trekking Rucksack, war sonnengebräunt und hatte schulterlanges lockiges, blondes Haar. Fast unnatürlich weiße Zähne blitzten zwischen den Lippen hervor, die zu einem schiefen Grinsen verzogen waren.

„Hi. Netter Zufall, hier auf andere Deutsche zu treffen. Ich bin Mike."

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