Lina war nie besonders scharf darauf gewesen, sich sinnlos zu betrinken und doch machte sie gute Miene zum bösen Spiel und nippte an einem Becher Wodka-Cola, mit definitiv mehr Wodka als Cola, die ihr Matthias reichte. Sie würde nie verstehen können, wie man eine leckere Coke mit diesem bitteren Zeug mischen konnte, das einem den Hals brennen ließ. Was für eine Verschwendung.
Kim schien das nicht zu stören. Sie schnappte sich gleich die ganze Flasche und nahm einen langen, ausgiebigen Schluck.„Hey...langsam...". Mike grinste. „Du legst es wohl drauf an, morgen einen fetten Kater zu haben."
„Ich will die letzte Nacht in dieser verdammten Pampa einfach schnell herumkriegen.", erwiderte Kim. „Und gegen fiese Gedanken ist Alkohol ein großartiges Mittel." Sie reichte den Vodka weiter. Lina fiel auf, dass ein Abdruck von Kims rotem Lippenstift auf dem Flaschenhals prangte.
Chris erhob sich und klopfte gelbbraune Grashalme von seiner Hose. „Ich geh pennen." Seine Stimme, rau und ausdruckslos, schien Kim nicht im geringsten zu stören. Sie ignorierte ihren Freund und grinste stattdessen Mike an. „Immer diese Leute, die nichts vertragen...schlimm, echt!".
„Ach, leck mich doch!", erwiderte Chris, jetzt wütend, und verzog sich in sein Zelt.Jetzt waren sie nur noch zu fünft. Von Hexe und Jennifer war keine Spur zu sehen.
„Ich geh auch." Finn, der sich bisher sehr dezent im Hintergrund gehalten hatte, stand auf. „Ist schon spät. Wir sollten früh los, wenn wir es zum Auto schaffen wollen."
„Schon klar!", winkte Mike ab. „Wir machen auch nicht mehr lange. Nach der Horrorgeschichte werden wir heute Nacht wahrscheinlich sowieso alle übelst krasse Albträume haben. Vielleicht ist es ganz gut, dass wir hier morgen abhauen."Lina hatte kaum etwas getrunken und doch fühlte sie nach einer Weile diese seltsame Wärme, die der Alkohol mit einher brachte. Vielleicht war Mikes Idee ganz gut gewesen, sich ein wenig mit Wodka zu benebeln. Das Drücken in ihrer Brust, wenn sie an die letzten Tage dachte, hatte nachgelassen. Wieder wirkte alles so normal.
Wie einer dieser unzähligen Samstagabende, die sie mit Matthias und ein paar anderen Bekannten am See im Westen von München verbracht hatte. Mit Bier und Chips. Im Sommer hatten sie häufig gegrillt. Lina war immer froh gewesen, ihrem Zuhause so ein paar Stunden entfliehen zu können.Gut, sie waren hunderte Kilometer von diesem See entfernt, aber dennoch...
Sie warf einen Seitenblick zu Matthias hinüber, der neben ihr saß und mit der Flasche in der Hand in die Flammen starrte. Seine Augen schienen zu flackern. Lina betrachtete sein Gesicht. Die Nase mit dem kleinen Höcker, die für einen Mann ziemlich vollen Lippen und die hohen Wangenknochen, die ihm im Schein des Feuers ein irgendwie andersartiges Aussehen verlien.
Wäre er nicht dabei gewesen, hätte sie diesen Trip nicht überlebt. Der seltsame Gedanke schoss ihr durch den Kopf, in dem Augenblick, als er sie ansah und lächelte.Sie lächelte zurück und musste dann kichern, als Kim es irgendwie schaffte, die Flasche ins Feuer fallen zu lassen. Die daraus resultierende Stichflamme war so groß, dass sie Mike beinahe eine Strähne seiner Haare abgefackelt hätte.
„Selbst schuld, wenn du die so lang trägst.", sagte Kim und grinste. „Mit kurzen Haaren würdest du mir noch besser gefallen."Das Kribbeln im Rücken kam urplötzlich, während Lina Kim und Mike noch beim Flirten zugesehen hatte. Ein Schauder durchlief sie. Es fühlte sich an, als stände jemand direkt hinter ihr und würde sie anglotzen.
„Alles okay?", hörte sie Matthias neben sich fragen. „Ist dir kalt?"
Sie drehte sich um und starrte in die Dunkelheit hinaus. Der Wald lag tief und still vor ihnen. Sie sah – nichts. Keine roten Augen, die sie aus der Schwärze hinaus anstarrten. Nur Bäume und Laub, das sich leicht bewegte.

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HOJA
Mystery / ThrillerEine Wanderung in den endlosen Wäldern Rumäniens wird für vier junge Menschen zum absoluten Horror-Trip. Eine Gruselgeschichte pünktlich zur düstersten Zeit des Jahres. Das ist mein erster Roman, bitte seid nett ;))