In schwarzen Wassern

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„Ist sie...",

fragte Lina atemlos, ohne den Satz zu vollenden. Matthias Hände fuhr über Kims Hals. „Keine Ahnung! Ich mache eine Herzdruckmassage!" Er brachte Kim in die stabile Seitenlage und begann dann mit den Wiederbelebungsmaßnahmen. In regelmäßigen Abständen presste er die Hände auf ihre Brust und drückte den Mund auf ihre Lippen, um sie zu beatmen. „Sie ist eiskalt!", sagte er nach einem Atemstoß.
Sie wickelten Kims Oberkörper in einen Kapuzenpullover und Lina wischte Blut und Wasser von ihrem Körper. Die schwarzen Haare waren verklebt von Schlamm und Erde.

Lina konnte nicht genau sagen, wie viel Zeit vergangen war. Zehn Sekunden, zehn Minuten? Doch schließlich, endlich öffneten sich Kims Lippen und es ergoss sich ein Schwall an Wasser daraus. Sie stieß einen Laut aus, der an einen Schrei erinnerte und schlug die Augen auf.

Man konnte förmlich sehen, wie ihnen allen ein Felsbrocken vom Herzen fiel.

„Oh Shit, Kim!" Chris nahm den Kopf seiner Freundin in die Hände und gab ihr einen Kuss auf den noch feuchten Mund. „Wie fühlst du dich?"
Ehe sie etwas sagen konnte, schüttelte Kim ein Hustenanfall und noch mehr Wasser floss aus ihrem Mund. Lina wandte den Kopf ab, während Matthias Chris beiseite schob und Kims Hinterkopf abtastete. „Gib mir mal bitte das Wunddesinfektionsmittel!", wies er Lina an. „Und einen feuchten Lappen."

Nach nur fünf Minuten in Schockstarre hatte Kim sich einigermaßen beruhigt, nach zehn war sie beinahe wieder völlig sie selbst. Vom dunklen Schlickwasser befreit, saß sie am Ufer des Flusses und ließ sich von der warmen Sonne trocknen. Die Wunde am Kopf hatte weit schlimmer ausgesehen, als sie eigentlich war. Chris Bemühungen, sie zu säubern, hatte Kim weitestgehend ignoriert, dafür strahlte sie Matthias so breit an, dass der beinahe verlegen schien.
„Ich hätte so gern gesehn, wie du reingesprungen und mich rausgeholt hast, Matthias!", sagte sie. „Du bist echt ein Held, weißt du das? Andere wären nur blöd herumgestanden und hätten gar nichts gemacht."

Der offensichtliche Seitenhieb auf Chris ließ diesen aufschnauben. „Ich war selbst verletzt, okay? Schau dir mal meine Stirn an! Außerdem wäre ich schon ins Wasser. Aber Matthias war so schnell drin, dass ich sowieso nichts mehr machen hätte können."

Kim überhörte die Worte ihres Freundes geflissentlich und streckte die langen Beine aus.

„Jungs, wollt ihr was hören? Ich bin spätestens jetzt dafür, dass wir die Wanderung abbrechen. Sieht das noch jemand so?"
Eine zeitlang herrschte Schweigen und vorallem Matthias sah nicht so aus, als würde er Kims Worten viel Zustimmung beimessen. Dann nickte er aber doch.
„Ich denke, Kim hat recht. Wir müssen ja nicht sofort zurück nach Deutschland, aber eine größere Stadt und ein Arzt-Check wären auf jedenfall angebracht. Oder was sagt ihr? Lina, Chris?"

Lina zuckte mit den Schultern. Der Gedanke, nachhause zurückzukehren, erfüllte sie nicht unbedingt mit großer Freude – die Aussicht auf ein paar Tage in der rumänischen Zivilisation schon eher. Budapest hatte ihr gefallen und sie könnten sich dort ein Hotelzimmer nehmen und den Urlaub statt mit einer Wanderung mit einem Städtetrip abschließen. Die Wanderlaune war ihr sowieso gründlich verdorben, spätestens jetzt, nach dem Unfall gerade. Chris sah aus, als hätte er gerade einen ähnlichen Gedanken und so war es beschlossen.
Matthias schulterte Kims Gepäck und sie zogen los. In Richtung Heimat.

„Dass die Brücke kaputt ist, ist echt verdammt blöd gelaufen. Wir gehen jetzt flussabwärts und schauen, dass wir irgendwo ans andere Ufer kommen. Wenn wir relativ zügig gehen, können wir die Strecke zum Auto in gut zwei bis drei Tagen schaffen."

Die Zeit verging nicht. Heiße Sonnenstrahlen knallten auf Linas Haut und trotz, dass sie sich eine dicke Schicht Sonnencreme aufgetragen hatte, fühlte sie, wie sich die Haut auf ihrem Nacken zunehmend gereizt anfühlte. Während des Gehens zog sie ein dünnes Tuch aus ihrem Rucksack und legte es sich um den Hals. Viel besser fühlte es sich so nicht an, aber zumindest bot der Stoff ein bisschen Abdeckung. Allen war anzumerken, wie die Hitze ihre Kraft beeinträchtigte. Sogar Matthias hatte eine Menge Schweisstropfen auf der Stirn und nach gut zwei Stunden Marsch, blieb er auf einem felsigen Abschnitt nahe des Flusses stehen und zog sich das Gepäck vom Rücken. „Wir machen Pause, sonst bekommen wir noch einen Sonnenstich." Ein herausragender Fels bot ein wenig Schatten. Hier und da ragten ein paar dürrer Bäume in den Himmel. Das stetige Rauschen des Flusses lud dazu ein, die nackten Füße ins Nass zu halten, aber Lina merkte, wie Kim sich dem Gewässer nicht weiter als nötig näherte.

„Geht's einigermaßen?", fragte sie und warf der Dunkelhaarigen einen aufmunternden Blick zu. „Muss ja.", antwortete Kim. „Aber ich brauch eine Kopfschmerztablette, diese Wunde macht mich fertig. Die ist ständig am Pochen. Echt verdammt ekliges Gefühl."

„Erinnert mich daran, dass ich, wenn Matthias mal wieder so eine geile Idee wie Wandern in der Pampa bei 45 Grad Celsius hat, NEIN sage!" Chris hatte beide Füße im Wasser hängen und die Arme hinterm Kopf verkreuzt. „Wenn wir sowas jemals nochmal machen sollten, nie wieder im Hochsommer."

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