Hoffnungslos

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Die Landschaft wandelte sich bald und wo vorher Berge und Hügel waren, wurde es jetzt deutlich flacher und grüner. Kuh- und Schafherden weideten auf blumenbedeckten Wiesen und am frühen Nachmittag erreichten die vier endlich eine Brücke zum Überqueren des Flusses. Der hatte sich mittlerweile verändert, war breiter und ungezähmter geworden. Umso vorsichtiger überstiegen sie die ebenfalls nicht sehr stabil wirkende Bretterbrücke und Lina klopfte dreimal auf das Holz, als sie heil am anderen Ufer angelangt waren.

Sie wünschte sich langsam wirklich, dass die Wanderung schnell ihr Ende finden würde. Zivilisation war nach Tagen der Einsamkeit eine richtig gute Sache. Ewig hatten sie keine anderen Wanderer gesehen. Obwohl sie zu viert waren, fühlte sie sich die letzten Stunden furchtbar allein und irgendwie ausgeschlossen. Ihre Gedanken wanderten von dem Vorfall mit dem gerissenen Hirschkadaver am See, zu den „verschwundenen" Kletterern bis hin zu dem Schrankmonster und dem Mädchen im Wald umher.

Halluzinationen, ausgelöst durch die hohe Temperatur?

Je länger sie über diese Fragen nachdachte, desto schlechter fühlte sie sich und irgendwann blendete sie einfach alles aus und starrte nur noch auf ihre Wanderschuhe und den steinigen Weg vor sich.

„Ich verstehe das einfach nicht."

Matthias blieb so abrupt stehen, dass Kim in ihn hinein stolperte.

„Was verstehst du nicht?", fragte Chris und schloss auf.  "Wenn du das mit den Blümchen und Bienchen meinst, dann -"

"Ruhe jetzt." Raschelnd packte Matthias die Landkarte auf dem Boden aus und kniete sich hin, den Finger in der Mitte einer grünen Fläche. Er richtete den Blick abwechselnd auf das Papier und auf die Umgebung. „Hier müsste ein Wald sein. Ist es aber nicht."

Lina sah sich um. Bäume standen zwar einige im Weg herum, die meisten allerdings nicht grün, sondern braun und verdorrt. Ansonsten nur Felsen und gelbes Gras.
„Soll das heißen, dass wir uns...verlaufen haben?", schlussfolgerte sie und sah Matthias über die Schulter auf die bunte Karte.

Der schüttelte den Kopf: „Nein. Ich kenne mich aus. Bin diesen Wanderweg schon mehrmals gelaufen. Wir können eigentlich nicht falsch sein!"

„Eigentlich?" erwiderte Chris. Das sonst so kunstvoll verwuschelte Haar hing ihm in feuchten Strähnen über die Stirn. „Was soll das bitte heißen, „eigentlich"? Weißt du hundertprozentig, wo wir sind, oder nicht?" Seine sonst so gechillte Stimme klang mit einem Mal bissig.

„Lass ihn in Ruhe, Chris!", fauchte Kim. „Matthias weiß schon, wo es lang geht, oder, Matt?" Sie warf ihm wieder diesen Hundeblick zu. Der nickte, allerdings nicht sehr überzeugend.
Matt? Jetzt ernsthaft?" Chris tat, als stecke er sich einen Finger in den Hals. Seine Freundin ignorierte ihn und stiefelte Matthias nach, der wieder Fahrt aufgenommen hatte.

Lina trottete den dreien hinterher, mit einem wirklich miesen Gefühl im Bauch.

Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als sie eine gute Stunde später an einer hölzernen Brücke vorbeikamen. Einer sehr behelfmäßigen Holzbrücke. Einer kaputten sehr behelfmäßigen Holzbrücke.

„Das kann nicht sein."

Kim sackte auf die Knie. „Das kann einfach nicht wahr sein!", wiederholte sie stockend.
Chris tobte. „Wir sind verdammt nochmal im Kreis gelaufen? Wir sind über einen Tag sinnlos im Kreis gelaufen und stehen jetzt wieder vor dieser beschissenen kaputten Brücke??? Wollt ihr mich eigentlich total verarschen? Ich fass es nicht, Scheiße nochmal!"
Matthias stand nur da, den Blick starr auf die Brücke gerichtet.
„Ich...das macht keinen Sinn!" Seine Worte klangen leise und tonlos.

„Macht keinen Sinn? Macht keinen Sinn? Scheiß auf Sinn! Ich will hier weg! Wir wandern hier seit Ewigkeiten sinnlos in der Pampa herum. Und du, du toller Typ, du führst uns noch im Kreis und laberst irgendwas vonwegen, dass du ja ganz genau weißt, wo wir uns befinden?" Die letzten Worte spie Chris hinaus und ein paar Tropfen Speichel trafen Matthias auf der Brust. Er bemerkte es nicht mal, sondern starrte nur weiterhin katatonisch auf den Fluss und die noch vorhandenen gesplitterten Holzbalken.

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