Kapitel 5

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Kapitel 5

CEM GÜL

Der nächste Tag war angebrochen. Es war am frühen Morgen, als sein Wecker ihn aus dem Schlaf riss. Seufzend war er aufgestanden und hatte sich ins Bad begeben, um sich eine heiße Dusche zu gönnen. Er wollte nicht ungewaschen bei seinen Eltern aufkreuzen. Daher stand er unter der Brause und ließ sich seit einigen Minuten mit klarem, heißem Wasser berieseln. Vielleicht würde er so seinen Kopf freikriegen. Vielleicht würden so seine Erinnerungen an den gestrigen Tag verschwinden. Vielleicht würde er so die Worte seiner Schwester aus dem Kopf verbannen können. Denn nur durch die Worte war sein ganzes Leben aus den Fugen geraten. Nur durch acht verdammte Wörter war dies geschehen.

«Sie lebt noch. Sie ist nur im Koma.»

Spukte ihm die Phrase im kopf herum und ließ ihn nicht klar denken. Sie warfen Fragen in seinem Kopf auf, die er nicht beantworten konnte. Sie ließen ihn unruhig werden, aus der Haut fahren, unnötig die Aufmerksamkeit auf ihn lenken.

Das Telefon, das zum gefühlt dreißigsten Mal klingelte, veranlasste ihn, aus der Dusche zu steigen und sich abzutrocknen. Nachdem er seine Sachen angezogen und sich auf die Couch fallen gelassen hatte, nahm er das verdammte Ding in die Hand, um zu schauen, wer ihn da anrief. Der erste Anruf, den er erblickte, war der von seinem Regisseur. Genervt und mit verdrehten Augen hörte er sich die Nachricht an, die er ihm auf der Mailbox hinterlassen hatte. Kurz hielt er Inne, bevor er die Nachricht erneut abspielte.

«Daher bitte ich dich, jemand anderen für die kleine Rolle zu finden. Deine Schwester ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage dazu, die Rolle zu übernehmen», hatte er gesagt und kurz eine Pause eingelegt. Dann war er fortgefahren. «Du und Ayden versteht euch nicht besonders. Ich habe trotzdem bei ihm angefragt, ob seine Schwester nicht Lust hätte die Rolle zu übernehmen. Wenn er mich anruft und mir sagt, dass sie es macht, dann werde ich dir nochmal Bescheid sagen. Aber vielleicht findest du bis dahin ja eine Frau, die es machen würde. Wir sehen uns dann morgen Mittag beim Dreh. Bis dann. Mach's gut, mein lieber. Ach, und bevor ich es vergesse, mach keinen Scheiß. Du weißt, dass deine Karriere davon abhängt. Und du willst doch nicht auf der Straße enden oder?»

Er hatte zu Ende gesprochen. Cem hatte das Handy sinken lassen und schaute gegen die Decke. Was, wenn sie zusagte und die Rolle übernahm? Was, wenn Ayden sie dazu brachte, die Rolle zu übernehmen? Cem musste schneller sein und jemanden dafür finden. Doch bevor er sich auf die Suche begeben konnte, klingelte das Handy. Als er auf das Display schaute und den Namen seines Regisseurs aufblinken sah, gefror ihm das Blut.

«Was ist?», hatte er mit genervter Stimme erwidert, noch bevor sein Regisseur etwas sagen konnte. «Bitte sag mir, dass die Schlampe abgelehnt hat.»

Der Regisseur lachte. «Warum willst du nicht, dass sie dabei ist?»

Cem verdrehte die Augen und war froh, dass sein Regisseur dies nicht sehen konnte. «Weil ich diese Nutte nicht ausstehen kann!»

«Dann müsst ihr euch wohl oder übel arrangieren, mein Lieber», gab der Regisseur mit gleichgültiger Stimme von sich. Cem verdrehte die Augen und schlug mit seiner Faust auf den Couchtisch. Am anderen Ende der Leitung seufzte der Regisseur bei seinen Taten und sprach: «Ihr solltet darüber sprechen. Vielleicht legt sich eure Situation wieder.»

«Ich hasse diese Schlampe!», zischte Cem und presste die Lippen aufeinander, sodass sie einen schmalen Strich bildeten.

«Sei froh, dass wir überhaupt jemanden gefunden haben!», gab der Regisseur mit etwas gereiztem Tonfall von sich. Cem seufzte und legte auf, bevor es zwischen ihnen vollends eskalieren konnte. Dann legte er das Handy auf den kleinen Tisch und stand auf, um in die Küche zu gehen und sich aus dem Kühlschrank ein kaltes Bier zu holen. Denn dieses brauchte er jetzt. Nur so konnte er sich wieder abregen.

Wenn aus Liebe Hass wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt