Epilog
«Haben Sie zu ihrer Verteidigung noch etwas hinzuzufügen, Herr Gül?», wollte der Richter wissen und begutachtete ihn mit einem Blick, den Cem nicht deuten konnte. Auf der Zuschauerbank saßen seine Eltern. Enttäuscht blickten sie zu ihm. Deutlich spürte er ihre Blicke und senkte sogleich den Kopf.
«Mein Mandant hat dem nichts mehr hinzuzufügen», durchbrach sein Anwalt die Stille und holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
Der Richter seufzte. «Gut. Dann bitte ich Melek Gül nach vorne, damit sie ihre Geschichte erzählen kann.»
Schlagartig brach Gemurmel im Saal aus. Der Richter brüllte. Als Cem seine Schwester sah, breitete sich ein Kloß in seinem Hals aus. Mühsam versuchte er diesen herunterzuschlucken. Sie war so dünn, kraftlos.
«Bitte!», forderte der der Staatsanwalt seine Schwester auf, die vor ihm stand. Kurz schaute sie ihn an, um anschließend den Blick zu senken. Sie ertrug seinen Anblick nicht.
«...Und so war das», beendete sie ihren Bericht, lief auf ihren Platz und sah nicht mehr zu ihrem Bruder herüber.
«Cem Gül», begann der Richter sein Urteil zu fällen. «Sie haben ihre Schwester körperlich genötigt, waren in verschiedenen Drogendelikten verwickelt und beteiligt an mehreren Schlägereien.»
Kurz war es still. Dann fuhr er fort. «Vor knapp sieben Jahren haben Sie ein wehrloses, junges Mädchen im Auto alleingelassen. Sie werden wegen Körperverletzung, Fahrerflucht, Drogendelikten und Schlägereien zu sechzehn Jahren Haft verurteilt.»
Wieder war es für einen Moment still im Saal.
«Ihrer Schwester müssen Sie Schmerzensgeld in Höhe von zehntausend Euro zahlen.»
Ein Polizist kam herbei und legte ihm die Handschellen an. Melek lief aus dem Saal, ohne ihm noch einmal in die Augen zu blicken. Ayden blickte wutentbrannt zu ihm herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dieser nickte und schloss die Augen. Hinten im Saal schrie jemand, riss sich los und stürmte nach vorne. Er sah seine Eltern, seine jüngere Schwester, die mit leerem Blick in die Luft schaute und nun vor ihm stand. Vorsichtig streckte sie eine Hand aus. Er ließ es schweigend geschehen. Reue lag in ihrem Gesicht.
«Es tut mir leid, Cem. Es tut mir leid.»
Diesen Satz wiederholte sie solange, bis sein Vater an Melissas Arm zog und sie aus dem Saal führte.
Als die Polizisten ihn aus dem Gebäude brachten, blitzten die Kameras. Mehrere Pressemenschen versuchten ihn zum Reden zu zwingen, doch er schwieg. In seinem Kopf war nichts. Nur leere.
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Melek, Ayden, Julia, John und andere Verwandte saßen in der Kirche und hörten dem Pfarrer zu, der eine Rede über Bella hielt. Niemand hätte gedacht, dass sie in der Lage war, sich das Leben zu nehmen. Keiner hatte gewusst, wie es in ihrem Inneren ausgesehen hatte. Bella war verschwunden und versuchte so ihre Umwelt zu schützen.
Nachdem der Priester geendet hatte, stand Melek auf und lief nach vorne. John begleitete sie. Mit tränenüberströmtem Gesicht faltete sie ein Blatt auf.
«Wir haben uns kennengelernt, als ich neu in ihre Schule kam. Bella war eine lebensfrohe Person, hat immer gelacht und darum gekämpft, dass niemand ungerecht behandelt wurde. Sie hat stets versucht allen alles recht zu machen. Dabei hat sich Bella aus den Augen verloren. Ich fühle mich schuldig, dass sie von uns gegangen ist», sagte Melek und weinte laut auf. «Aber darum geht es nicht. Jeder der hier Anwesenden soll Bella in guter Erinnerung behalten. Die Bücher, die sie geschrieben hat, waren ein voller Erfolg.»
Melek redete, weinte und John stand schweigend neben ihr. Er versuchte ihr den nötigen Freiraum zu geben. Kurz blickte sie ihn an, lächelte und erzählte. Ayden, der in der ersten Reihe saß, presste die Lippen fest aufeinander, um die Trauer herunterzuschlucken. Er hatte eine Ahnung, warum seine Schwester sich umgebracht hatte. Cem würde büßen! Doch jetzt war dieses Scheusal erst einmal im Gefängnis. Julia, die bemerkte, dass mit ihrem Verlobten etwas nicht stimmte, kuschelte sich an ihn und flüsterte leise etwas in sein Ohr.
Ganz hinten stand eine Frau. In einem Kinderwagen lagen zwei kleine Kinder, die selig schliefen. Niemand bemerkte sie.
Als die Sargträger den Sarg in die Erde ließen, war die Frau gegangen. Sie ließ die Trauernden allein. Ayden stand am Grab seiner Schwester. In der Hand hielt er ein kleines Spielzeug, beugte sich über das Loch und legte es vorsichtig hinein. Anschließend nahm er sich eine Handvoll Erde und warf diese ebenfalls ins offene Grab.
«Ich liebe dich», flüsterte er mit gebrochenem Blick und drehte sich um.
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Ein Buch wurde zugeschlagen. Jemand stand auf und lief aus dem Zimmer. Draußen blickte sich die Person um und lief auf einen Friedhof zu. Für wenige Sekunden verweilte sie ratlos am Tor: Dann lief sie weiter, direkt auf ein Grab zu. Frische Blumen wurden abgelegt. Jemand kniete sich hin, küsste den Grabstein und flüsterte leise Worte.
«Ich werde dich rächen, Mama. Versprochen. Er wird es bereuen.»

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Wenn aus Liebe Hass wird
Teen Fiction+++TEIL EINS+++ Zwei Rivalen. Zwei Feinde. Zwei Liebende. Zwei gegensätzliche Gefühle, die heftig aufeinanderprallen. Zwei Personen, die sich die Köpfe einschlagen, wenn man sie nicht voneinander fern hält. Zwei Personen, die einander bis auf den To...