Kapitel 30

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Kapitel 30

BELLA BAKER

Sie hätte es sagen müssen. Bella hätte es allen beichten sollen. Aber sie war viel zu stur, um es zu tun. Ein kleiner Dickkopf, wie ihre Mutter früher behauptet hatte. Vermutlich hatte sie damit recht behalten. Bella war ein Dickkopf. Kein kleiner, sondern ein großer. Oder unendlich groß. Sie hätte es weitertreiben können, aber Bella war es leid; müde, sich gegen ihren Willen zu behaupten.

Das kannst du nicht als behaupten bezeichnen, konterte ihre innere Stimme. Du hast dich nie gegen deinen Willen behaupten können. Du hast schön alles hinuntergeschluckt und brav in dich hineingefressen! Was hast du nun davon? Du zerstörst dich selber. Du zerstörst dein Leben, das was dir lieb ist! Bist du glücklich damit? Freust du dich, deine Freunde, deine Familie in den Untergang zu reißen? Macht es dir Spaß, sie zu zerstören?!

Bei jedem ihrer Worte wurde sie lauter, brannte sich in ihr Trommelfell. Bella versuchte sich zu sträuben, presste sich vergebens die Hände auf die Ohren, um die Worte nicht wahrzunehmen. Es brachte nichts. Tief ätzten sich die gesagten Fetzen in ihr Inneres.

Stumm öffnete Bella ihren Mund. Nichts. Kein erlösender Schrei. Einfach nur Leere. Völlige Stille, die in ihr rumorte.

Und Melek? Die ahnte von dem nichts. Sie wusste bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, dass Bella gegangen war. Und dies war auch gut so. Wie sollte Bella alles erklären? Was für Antworten konnte sie Melek geben, ohne viel zu viel verraten zu müssen? Keine. Punktlandung. Hundert Prozent erraten. Keine Antwort würde genügen, um Meleks Wissensdurst zu stillen.

Wenn du ihr die Wahrheit sagst, würde es ausreichen.

Warum musste ihre innere Stimme sie damit behelligen? Konnte sie nicht über etwas anderes reden? Warum musste es ausgerechnet dieses Thema sein? Es gab so viel, über das man diskutieren konnte. Weshalb kam ihre verfickte innere Stimme immer darauf zu sprechen? Was, wenn Bella nicht darüber reden wollte? Was, wenn sie es alleine klären wollte?

Pah! Das ich nicht lache. Du willst es alleine klären? Dann geh zu Cem und sage ihm, dass er zwei Kinder bekommt. Ich will sehen, wie du es ihm beichtest.

Die Worte trieften nur so vor Hohn, doch Bella ging nicht darauf ein. Tief sog sie die kühle Nachtluft in ihre Lungen und setzte sich auf die Bank, auf der sie zuvor gesessen hatte. Jedoch war Bella aufgesprungen, um ihrer Wut Luft zu lassen. Es hatte aber nichts genützt. Sie hätte auch sitzenbleiben können. Die Wut war nicht verraucht: im Gegenteil, sie war stärker geworden. Es drohte orkanartig aus ihr zu sprudeln. Wie eine überreife Tomate zu platzen.

Wenn du platzt, dann will ich es sehen.

Noch zwei oder drei Sätze mehr und Bella würde am Rad drehen! Wenn ihre innere Stimme nicht sofort aufhörte sie in den Wahnsinn zu treiben, dann würde Bella sich vergessen. Wenn es sein musste, würde sie auch auf einen Unschuldigen losgehen, der ihr nichts getan hatte.

Dann wärst du genauso wie Cem.

Das war zu viel. Der Schrei, der in ihrer Kehle stecken geblieben war, kam mit solch einer Brutalität aus ihrem Mund geschossen, sodass einige Vögel erschrocken vom Baum flogen. Ein vermutlich Obdachloser, der zwei Bänke weiter auf einer freien Parkbank geschlafen hatte, schreckte hoch und sah sich nach dem störenden Gebrüll um.

Doch sie hörte gar nicht mehr auf zu schreien. Die Wut, die Frust, die in ihrem Inneren eingesperrt waren, wurden durch die lauten, spitzen Schreie nach draußen getragen. Sie schrie und schrie. Mittlerweile hatte sich eine kleine Traube um sie herum gebildet. Augen ruhten auf ihr. Stimmen drangen nicht zu ihr durch. Hände berührten den Körper Bellas, doch sie spürte nichts. Wie betäubt saß sie auf der Bank, hielt die Hände fest auf ihre Ohren gepresst und schrie sich die Seele aus dem Leib. Sogar die Polizisten, die vor ihr standen, bekamen Bella nicht ruhiggestellt.

Wenn aus Liebe Hass wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt