Kapitel 28

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Kapitel 28

Eintrag 41, 25.07.2030.

Zufall, dass ich heute das Verlangen verspüre, über ihn zu schreiben? Zufall, dass ich Erinnerungen habe, die heute passiert sind? Ich meine nicht heute, sondern heute vor knapp sechs Jahren. Erinnerungen, die mich quälen! Erinnerungen, die mich zermürben. Erinnerungen, die mich nachts hochfahren lassen. Erinnerungen, bei denen ich am liebsten die Bude zusammenschreien würde. Erinnerungen, die ich am liebsten mit der ganzen Welt teilen würde, jedoch geht das nicht. Ich kann das nicht einfach erzählen. Es ist nicht so leicht. Wie gern würde ich sie einer Vertrauensperson erzählen, wie gern würde ich mit jemandem über meine Gefühle reden, wie gern würde ich... Ach, scheiß drauf. Es hilft doch alles nichts! Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Oder geht das doch andersherum? Schweigen ist Silber, Reden ist Gold? Keine Ahnung. Ist mir auch relativ egal. Eigentlich ist mir alles egal. Aber ich kann nicht einfach aufgeben!

Als ich erfahren habe, dass ich euch im Bauch trage, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Ich bin völlig durchgedreht, wusste mir nicht zu helfen, war am Ende, wollte euch sogar abtreiben. Aber jetzt? Nein, das geht nicht! Ich kann keine Lebewesen töten, die in mir heranwachsen! Auch wenn sie nicht von ihm gewesen wären, könnte ich es nicht. Ihr seid ja auch nur Menschen. Menschen, die es verdient haben, glücklich aufzuwachsen. Menschen, die es verdient haben, die Wahrheit über ihren verfickten Vater zu erfahren! Menschen, die ein Herz haben.

Aber hat er eines? Hat das Schwein ein Herz? Nein!!! Nein, verdammte scheiße! Dieses verschissene... vertrottelte... Ah!!!! Mir fallen keine passenden Worte ein, um ihn zu beschreiben. Gibt es überhaupt etwas, wie man ihn beschreiben könnte?

Ja, er ist zwar ein verdammtes, verschissenes, vertrotteltes Arschloch: aber ein heißes noch dazu. Und daran kann nichts geändert werden! Leider sind meine Gefühle mit mir durchgegangen. Leider habe ich gewaltig eine Ladung Liebe bei ihm verspürt. Seine Art hat mich einfach magisch angezogen. Seine Augen, sein Körper, seine abweisende Haltung: Einfach sein ganzes Ich.

Bei ihm fühle ich mich zuhause, auch wenn ich nicht gerade gut von ihm behandelt werde. Gut ist noch sanft ausgedrückt. Es ist einfach miserabel, wie er mich behandelt. Was soll man dagegen machen? Es einfach hinnehmen, wie ich es immer tue. Ob es hilft? Soll ich die Wahrheit sagen? Ehrlichkeit ist doch immer das beste Mittel? Oder was meinst du? Wer auch immer diese Zeilen hier lesen wird, ich bin in diesem Moment ich selbst. Ich bin mir im Klaren, was ich behaupte und was nicht. Ich habe keine Drogen genommen oder mich mit Alkohol vollgepumpt! In meinem Zustand würde ich das auch nicht tun. Aber jetzt wieder zum eigentlichen Thema: Egal, wie er zu mir ist, ich liebe dieses verdammte Arschloch. Es war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Auch nach meinem Ableben würde ich ihn für immer lieben.

Die Liebe ist ein starkes Gefühl. Liebe kann glücklich machen. Liebe ist auch das Gegenteil von Glück! Liebe kann auch zerstören! Liebe ist so vielfältig, so vielseitig, so unterschiedlich... fassettenreich. Das ist das Wort, nachdem ich gesucht habe. Liebe ist fassettenreich.

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MELEK GÜL

Tage verstrichen: Tage, in denen sie nichts von Bella gehört hatte. Tage, in denen sie kein Auge zubekommen hatte. Tage, in denen Ayden rastlos umhergetigert war. Tage, in denen die Welt grau und trist wirkte. Tage, in denen sie versucht hatte, die Wut Aydens zu verringern. Jedoch war sie gescheitert. Ayden war noch immer wütend, fluchte bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bot und zerstörte das schöne Geschirr, was er gemeinsam mit seiner Schwester gekauft hatte. Falls Bella wiederauftauchen würde, wäre der Schock vorprogrammiert. Ebenfalls ein riesengroßer Streit, indem sich beide Dinge an die Köpfe werfen würden, die im nächsten Moment bereut werden würden. Doch beide waren in solchen Momenten viel zu stur, um dem jeweils anderen zu vergeben. Melek kannte das schon und sie war immer in einem Zwiespalt gefangen, wenn Bella und Ayden wieder aneinandergerieten. Immer musste sie verhandeln, Brieftaube spielen, bis sie sich wieder im Griff hatten und miteinander redeten. Dann war meist alles wieder im grünen Bereich. Doch bis die beiden in einem Zustand waren, indem sie miteinander reden würden, vergingen manchmal zwei bis drei Tage. Einen Rekord gab es jedenfalls: eine ganze Woche waren sie sich aus dem Weg gegangen. Dieser Streit lag Jahre zurück. Beide verstanden sich, jedoch war es nicht mehr das innige Verhältnis wie zuvor.

Wenn aus Liebe Hass wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt