Kapitel 23

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Kapitel 23

CEM GÜL

«Es tut ihm leid. Er fühlt sich schuldig. Kann er Sylvia nicht einmal besuchen?»

Die letzten Worte, die sein Vater gesagt hatte, spukten ihm noch immer im Kopf herum. Sie war am Leben! Sie war nicht tot! Das alles, was sie ihm vor Jahren erzählt hatten, war eine verdammte Farce gewesen! Sie hatten ihn belogen und betrogen! Wozu das alles?! Nur, damit er nicht mit ihr in Kontakt trat! Was hatte ihm dies gebracht?! Einen feuchten Dreck!

Melissa klammerte sich fester an ihren Bruder, weil sie zu merken schien, das seine Wut in ihm hochkochte. Kurz drehte er seinen Kopf in ihre Richtung und schüttelte diesen schweigend. Vorsichtig löste Cem ihre Hand von seinem Arm und schaute in die Richtung, in der sein Vater und Sylvias sich gegenüber standen. Dabei hielten sich Augenkontakt.

«Wir möchten nicht, dass Ihr Sohn unsere Tochter besucht», kamen die Wörter gestochen scharf aus seinem Mund. Lodernde Flammen des Hasses bahnten sich in verschiedenen Wegen nach oben. Wie konnte er es wagen, ihm den Besuch zu verwehren! Das war doch nicht sein ernst!

«Und wieso nicht?», sprach sein Vater eine Spur zu laut. Nicht, dass gleich die Nachbarn auf der Matte standen und fragten, was das ganze Theater hier solle?

«Weil», das Handy unterbrach die Konversation zwischen den Männern. «Da muss ich ran. Es ist meine Frau.»

Cem sah, wie er den Anruf entgegennahm und davonlief. Fassungslos über solch ein Verhalten schüttelte sein Vater den Kopf und wollte gerade in den Flur des Hauses treten, als Cem wütend vorsprang, um die Gunst der Stunde zu nutzen.

«Was machst du denn hier?», kamen die verdatterten Worte seines Vaters über dessen Lippen, die sich zu einem abweisenden Lächeln verformten.

Cem spannte die Muskeln seines Körpers an. «Das könnte ich dich fragen, Vater!»

Sohn und Vater blickten einander an. Im Hintergrund war Melissa, die an einer Wand stand und die Situation belauschte. Vermutlich würde sie abwägen, was sie tun sollte. Doch dies war Cem in diesem Moment völlig egal.

«Sie ist nicht tot?», fuhr es aus ihm, sodass sein Vater zurückzuckte und dabei heftig den Kopf zu schütteln begann. Cem jedoch lachte laut auf, verschränkte die Arme vor der Brust, um das Zittern in seinen Händen zu verbergen.

«Wieso sollte Sylvia nicht gestorben sein?», versuchte sein Vater das erbärmliche Gerücht aufrecht zu erhalten.

Wieder lachte sein Sohn aus vollem Halse und kam ihm einen Schritt näher, bis die folgenden Worte seine Lippen verließen: «Es tut ihm leid. Er fühlt sich schuldig. Kann er Sylvia nicht einmal besuchen? Das waren deine Worte, wie du sie zu ihm gesagt hast! Und jetzt lüg mir nicht ins Gesicht! Sag. Mir. Die. Verfickte. Wahrheit über Sylvias Verbleib!»

«Solch eine vulgäre Art dulde ich nicht», schrie sein Vater und unterbrach seinen Sohn.

Cem lachte. «Du duldest solch eine Scheiße nicht?!»

«Nicht in diesem Ton, mein Freundchen!», knurrte sein Vater und packte ihn grob an den Schultern. Schweigend ließ Cem dies über sich ergehen. Nicht einmal wehren tat er sich.

«Was, wenn ich dir nicht gehorche?», presste er hervor, senkte kurz den Blick, um ihn schlussendlich fest anzusehen. «Wird dir dann wieder die verfickte Hand ausrutschen?»

Prompt ließ sein Vater von ihm ab, erhob die Hand. Cem nickte und ging einen Schritt auf ihn zu. Sein Vater ließ die Hand sinken.

«Traust du dich etwa nicht mehr?», begann die provozierende Rede Cems. «Bist du etwa zu feige, deinen eigenen Sohn zu vermöbeln?! Vor sechs Jahren hast du es auch grandios hinbekommen! Warum jetzt nicht? Hmm! Warum? Jetzt? Nicht?! Da ich ja nicht mehr dein Sohn bin, muss dir das doch leicht fallen, mir eins in die Fresse zu geben!»

Wenn aus Liebe Hass wirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt