Kapitel VIII - Elijo

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Am späten Nachmittag war es dann endlich so weit. Alantir gab den Befehl zum Aufbruch. Bis zum Morgen hatte jeder Dorfbewohner Zeit zu packen und zu entscheiden, was er zurücklassen und was er mitnehmen wollte.  

Verrat wisperte es überall durch die Straßen.  

Die Nachricht, dass der entkommene Elf das Dorf verraten hatten und nun viele hunderte Elfen auf dem Weg zu ihnen waren und nichts anderes im Sinn hatten, als ihr geliebtes Dorf zu zerstören. Jeder Dorfbewohner ließ seine Wut auf andere Weise aus. Einige verfluchten laufend fort die verhassten Elfen oder den einen, der den Verrat begangen hatte. Eine dieser Personen war Elijos Mutter, die nicht aufhörte Flüche und Verwünschungen zu murmeln, während sie hastig alles, was sie besaßen auf zwei Häufen verteilte. Mitnehmen und Zurücklassen. Sie hatten den Vorteil eines Karrens und somit deutlich mehr Platz als andere Bewohner, die ihr Hab und Gut lediglich auf dem Rücken mit sich schleppen konnten.  

Noch mehr, als dass sie das Dorf verlassen mussten, ärgerte Elijo der Umstand, dass er nun umsonst den ganzen Vormittag geschuftet hatte. Die Früchte mussten sie sowieso größtenteils hier lassen. Sie brauchten den Platz für andere, wichtigere Dinge und dass man sich nicht nur von Géélafrüchten ernähren konnte, hatte ihm sein Magen heute schon deutlich gezeigt. 

„Elijo? Elijo, kommst du bitte mal kurz her?", ertönte die Stimme seiner Mutter aus der Küche. 

Elijo gehorchte und betrat die Küche, die schon halb leer stand. Alle Schränke und Schubladen waren geöffnet und größtenteils ausgeräumt. Über den Boden verteilt, standen Kisten, die teils gefüllt, teils geleert waren. Geschirr türmte sich auf wackeligen Stapeln und inmitten dem ganzen Chaos stand seine Mutter. Gerade packte sie mit wehmütigem Gesicht, das weniger schöne Holzgeschirr auf einen Stapel aus wirr zusammengeschmissenem Zeug, das wohl alles nicht mit kam. Dann hatte sie ihn auch schon bemerkt und wandte sich ihm zu, während sie sich über sie Stirn wischte.  

„Gut, dass du da bist, Elijo! Eigentlich habe ich nur einen kleinen Auftrag für dich." 

Bei dem Wort Auftrag wollte Elijo schon wieder verschwinden. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Außerdem waren die kleinen Aufträge dann leider doch nie so klein, wie angenommen. Aber sie mussten bis zum Abend zum Aufbruch bereit sein und dafür würde auch er mithelfen. Er konnte seiner Mutter in diesem Fall nicht einfach so seine Hilfe versagen. 

„Du musst nur dein Zimmer ausräumen. Du kannst dir eine dieser Kisten aussuchen" Sie zeigte auf den Stapel noch leerer Kisten. „Und kannst sie füllen mit allem, was du unbedingt mitnehmen willst. Aber denk daran, dass du nur diese eine Kiste hast. Du musst genau entscheiden, was wirklich wichtig und nützlich ist und was du lieber doch zurücklässt." 

Viel mehr hatte sie ihm nicht zu sagen. Elijo schnappte sich eine der Kisten, die besonders groß aussah und machte sich zu seinem Zimmer auf, zusammenzupacken.  

Der Platz in der Kiste reichte nicht aus, auch wenn Elijo davon überzeugt gewesen war, dass er die Größte erwischt hatte. Mehrmals leerte er die Kiste noch einmal vollkommen aus, um die Sachen besser zu ordnen und das eine oder andere doch herauszunehmen. Auf jeden Fall musste genügend Kleidung dabei sein. Allein das nahm schon viel zu viel Platz ein. Dann seine Lieblingssachen, wie sein erstes Holzschwert oder einen besonders schönen Stein, den er auf dem Grund des Dorfsees gefunden hatte. Er hatte lange getaucht, bis er einen derart schönen, glitzernden Stein gefunden hatte. Ganz stolz hatte er den Stein sowohl seinen Freunden, die damals mit ihm unterwegs gewesen waren, als auch seiner ganzen Familie gezeigt. Seine Schwester hatte sich als einziger nicht sonderlich beeindruckt gezeigt. Aber damals war sie auch noch ziemlich jung gewesen und hatte den Stein nur betatschen wollen, woraufhin Elijo den Stein dort versteckt hatte, wo sie ihn sicher nicht erreichen konnte. Im obersten Fach seines hohen Kleiderschrankes. Er hatte schon einen Stuhl gebraucht und sich auf Zehenspitzen stellen müssen, um den Stein zu verstecken. Inzwischen stimmte das aber auch nicht mehr. Seine kleine Schwester kam längst mühelos an das Fach heran. Aber so ein Stein erregte inzwischen auch nicht mehr ihr Interesse. Glitzernde Steine waren aus ihrer Sicht nur noch bemerkenswert, wenn sie an einer Kette hingen und ihr die Kette ein hübscher Junge geschenkt hatte. Bisher war das nur einmal vorgekommen. Sie hatte die Kette genauso präsentiert, wie Elijo seinen Stein vor vielen Jahren. Umgekehrt hatte sich Elijo einen Spaß daraus gemacht, ihr die Kette wegzunehmen. Aber auch er war gescheitert. Allerdings an seiner Mutter und nicht an einem genialen Versteck. Noch immer trug seine Schwester die Kette um den Hals. Was mit dem Jungen geschehen war, der sie ihr geschenkt hatte, wusste er nicht.  

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt