Er saß tief gebückt über dem kleinen Tischchen, über das sein Zimmer verfügte. Ein Luxus, den er besonders jetzt begrüßte. Sein Zimmer war sonst nicht schön. Die Farbe an den Wänden war verblichen und dann waren da noch das einsame Bett und ein Stuhl, auf dem er nun Platz genommen hatte. Für mögliches Gepäck hatte man wohl angenommen, die Fächer unter dem Tischchen würden ausreichen. In Jatar Fall traf das auch zu, aber das lag daran, dass Jatar so etwas wie Gepäck nicht einmal mitgenommen hatte. Wozu auch, er hatte bloß vorgehabt, ein oder zwei Tage zu bleiben. Nun war er schon mehr als drei Tage hier. Er hatte die Zeit, die er Zuren genannt hatte, schon deutlich überschritten, aber er würde ihm deswegen schon nicht böse sein, denn wozu brauchte er schon einen alten Knacker wie ihn so dringend? Außerdem hatte Jatar seinen Spaß und nebenbei erledigte er auch noch etwas Wichtiges. Noch hielt er es nicht in Händen, aber das würde sich schon bald ändern, wenn sein Plan funktionierte.
Seinen Hornbogen und den Köcher hatte er in einer Ecke abgestellt. Die Neugier des Wirtes war nicht zu übersehen gewesen, als Jatar mit einem solchen wertvollen Stück wieder in die Gaststätte einkehrte. Trotzdem hatte dieser seinen Mund gehalten und nicht danach gefragt, was Jatar auch lieber war. Der Bogen hatte einiges gekostet, daher wünschte sich Jatar, dass er ihn nicht umsonst zu so überteuerten Preisen hatte erstehen müssen. Andererseits würde er ihm auch als Nachtelf einen guten Dienst tun. Er bevorzugte zwar andere Mittel zum Kampf, wie das Schwert oder den Bogen, doch um seine Tarnung zu wahren war es immer gut, wenn er sich so benahm wie jeder gewöhnliche Elf oder in diesem Fall, Nachtelf.
Er hatte vom Wirt gegen einen kleinen Unkostenbeitrag, den Jatar natürlich nur ungern gezahlt hatte, Tinte und Feder ausgeliehen bekommen. Nun kratzte er damit auf seinem Papier herum, das er ebenfalls fast geschenkt bekommen hatte. Dann stand die Botschaft da und Jatar musste über seine Worte lächeln und hoffte im Gegenzug, der Empfänger würde nicht lächeln, denn dann hatte er etwas falsch gemacht. Er faltete den Brief sorgfältig zusammen und rollte ihn um den Schaft einer seiner Pfeile. Dann knotete er den gerollten Zettel mit einer Schnur, der Wirt war langsam etwas misstrauisch geworden, fest an den Schaft. Er steckte den Pfeil zurück in den Köcher und schwang ihn sich auf den Rücken. Er schnallte ihn fest und nahm den wunderschönen Bogen aus der Ecke.
Der Wirt blickte ihm wieder verwundert hinterher, aber Jatar kümmerte sich um ihn ebenso wenig, wie um die Blicke auf der Straße. Ein lumpiger, dreckiger Elf mit komischem Aussehen und einem sündhaft teuren Bogen in der Hand, der zum Palast marschierte. Es dauerte eine Weile, bis er den Palast erreicht hatte. Dort suchte er, während er den Bau langsam umrundete nach dem Fenster, das er brauchte. Er hatte sich die Position des Fensters und das Aussehen gut gemerkt. Nur, das half ihm auch nur bedingt weiter, weil die Fenster fast alle ähnlich waren und sich höchstens in der Größe unterschieden, aber die Höhe hatte er auch abschätzen können und ansonsten vetraute er auf seinen Glück.
Schließlich fand er es, jedenfalls hoffte er, dass es das Richtige war. Tja, dann würde eben ein Ah-nungsloser den Brief erhalten. Er drückte sich selbst die Daumen und nahm den einen Pfeil aus seinem Köcher. Er legte ihn auf die Sehne. Wie lange hatte er schon nicht mehr mit dem Bogen geschossen? Es konnten durchaus schon mehrere Jahrhunderte sein. Meistens hatte er sich mit einer Klinge verteidigt und hatte demnach selten auf den Bogen zurückgreifen müssen. Er zog die Sehne bis an seine Wange. Zeig was du kannst, mein Pfeil!
Das Fenster war hoch, aber der Bogen gut und so klirrte es noch hier unten ganz vernehmlich. Glas splitterte, aber niemand hatte Jatar zugesehen. Nur dort oben, das wusste er, da musste jetzt wohl Verwirrung und hoffentlich auch ein wenig Angst herrschen. Der Bogen ist wirklich gut, dachte er und strich über den weichen Griff.
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Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasiDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...