Kapitel II - Alter Nachtelf

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Er beobachtete den Wald um sich herum. Wie friedlich er doch war. Diese Ruhe hatte er immer vermisst. Lange war es her, seit er das letzte Mal in der freien Natur gewesen war. Die Nachtelfen machten die Gegend unsicher, sodass man sich als normaler Bürger selten aus den Städten wagte. Eigentlich gereichte die Verbannung und somit die Erschaffung von Nachtelfen niemandem zum Vorteil. Wer bitte sollte etwas davon haben, dass es neben den Wildkatzen und anderen zahlreichen Gefahren des heiligen Waldes auch noch die Nachtelfen gab. Und auch die anderen Gefahren hatten zugenommen, seit es die Nachtelfen gab. So waren die Wildkatzen zum Beispiel viel ungestörter, weil sich sowieso kein Elf in den Wald traute. Die Verbindungen zwischen den sieben großen Städten hatten gelitten. Jede Stadt war jetzt mehr oder weniger ein Reich für sich. Früher lebten auch Elfen außerhalb der Städte in kleinen Dörfern, aber seit die Nachtelfen die Elfen in den Städten gefangen hielten, gab es all das nicht mehr. Die Elfen hatten sich selbst eingesperrt. Und die Kontrolle über die Nachtelfen und vor allem ihre Zahl hatte der Senat auch schon lange nicht mehr, obwohl er das immer behauptete. Mit dem Turnier würden sie die Zahl immer gleich klein halten, dachte der Senat. Aber nichts da! Einige hatten schon große Gruppen gesehen. Elfen, die dies behaupteten aber wur-den, wenn sie zu einflussreich waren, einfach aus dem Weg geschafft und den weniger wichtigen schenkte sowieso keiner Gehör. Jetzt war er auch einer von ihnen, den Nachtelfen. Durch einen sehr dummen Zufall, den er lieber vermieden hätte. Aber er war selbst schuld. Er hätte besser aufpassen müssen.  

Aber er sah es sogar ein bisschen wie eine Herausforderung des Schicksals. Er hatte lange ein ruhiges, gemütliches Leben führen können. Nun hatte sich sein Leben verändert. Er war ausgestoßen worden von seinen eigenen Leuten. Aber nun musste er eben auch diese Herausforderung meistern. Noch störte es ihn nicht, ein Nachtelf zu sein. Es war etwas gewöhnungsbedürftig, wenn er auf seine schwarzen Hände sah. Auch, dass er sich sein Essen selber besorgen musste. Aber wofür war er Soldat gewesen und hatte für das Kaiserreich gekämpft. Da hatte er so einiges gelernt über die Natur und alles drum herum. Er hatte ein langes Leben gehabt, da eignete man sich vieles an. Bücher waren da nur eine Möglichkeit. 

Ein kleiner Vogel hüpfte vorsichtig näher. Er legte den Kopf schief und harrte aus. Er hatte schwarzes Gefieder mit orangenen Sprenkeln. Der Schnabel war ebenfalls orange. Er hätte locker in der Hand des Alten Platz gehabt. Er verhielt sich ruhig, denn er wollte den Vogel nicht verscheuchen. Der traute sich daraufhin noch ein bisschen näher. Der Alte wollte die Hand ausstrecken und den Vogel streicheln. Der Vogel ließ ihn bis auf ein paar wenige Zentimeter herankommen, flatterte dann aber davon.  

Der Alte zog seine Hand wieder zurück. Dann stemmte er sich von dem Baumstumpf hoch. Er nahm sich seinen Stock wieder aus dem Gras und zog pfeifend weiter.  

Sein Stock, der etwas an einen Speer erinnerte und zum Ende hin spitz zulief und natürlich seine Klamotten, waren das einzige, was er noch besaß. Das war aber keineswegs schlimm. In der Wildnis brauchte man nicht viel. Es reichte, wenn man rechtzeitig Wasser, Essen und einen Unterschlupf fand. Trotzdem hatte er den Stock mitgenommen. So fühlte er sich ein wenig sicherer. Bisher hatte er noch keine Schwierigkeiten gehabt. Weder mit Verpflegung oder Unterschlupf, noch war er einem hungrigen Raubtier begegnet. Trotzdem sollte er bald mal andere Nachtelfen treffen, damit er nicht mehr alleine war. Das war seine einzige Sorge, aber solange alles so gut lief, konnte er sie ganz weit hinten in seinem Kopf verstauen. Er hatte Freude daran, die unberührte Natur zu beobachten.  

Der Weg, auf dem er wanderte, war ein Wildwechsel. Ein ziemlich breiter, weshalb er wohl oft ge-nutzt wurde. Von den Spuren hatte er ablesen können, dass zumindest Rehe und ihre kleinen Verwandten, die Uora, diesen Pfad benutzten. Aber sie waren sicher nicht die einzigen. Spuren von Krallen hatte er noch nicht entdeckt. Das würde dann zweifellos bedeuten, dass auch Raubtiere diesen Pfad benutzten. In diesem Fall wäre der Alte schon umgekehrt. 

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt