Kapitel LIII - Sarem

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Das morgendliche Licht beleuchtete die hohen Säulen, die vom Boden hinauf bis weit in den Himmel reichten. Sie drehten sich in sich und schraubten sich so in große Höhen, während sie immer im gleichen Abstand voneinander in Reih und Glied gesetzt worden waren. Ein Teppich aus wohl angeordneten Blättern führte von dem Torbogen am Ende der Bankreihen zwischen ihnen hindurch bis vor den Altar. 

Der Altar war ein Baum von beachtlicher Größe, der sein Laub in alle Richtungen ausbreitete und den gesamten Altarraum beschirmte. Sein Laub war golden bis Silber und der Stamm wurde von oben nach unten immer durchdringender rot. Früher gab es lediglich solche Altäre, kein einziger von ihnen war ein Steinklotz gewesen, wie es jetzt oft gehandhabt wurde. Es waren alle einmal solche Bäume gewesen, nur waren diese besonderen Bäume bis auf diesen einen alle vernichtet worden. Der Baum wurde so gehegt und gepflegt, dass man meinen könnte, er sei schon ein Elf, dem sehr viel Bedeutung beigemessen wurde. Verstanden hatte Sarem das nie, aber der Baum lebte tatsächlich. Er wuchs nicht mehr, jedenfalls nicht sichtbar. Was jedoch sichtbar war, waren die Samen des Baumes, jedes Jahr warf er einen von ihnen ab. Dieser wurde genauso gepflegt, wie der Baum selbst und in andere Tempel gebracht. Dort sollte dann der Baum wachsen, der als Altar dienen sollte und so selten war. So wurde versucht, die alten Altäre wieder zu verbreiten und die alten Steinklötze abzulösen.  

Holzbänken reihten sich auf dem von Bäumen umgebenen Gelände, die aus demselben roten Holz geschreinert waren, wie der Altarbaum es besaß. Wenn ein neuer Oberpriester gewählt wurde, wurde der alte Baum jedes Mal gefällt und ein neuer gepflanzt. Ein Elf lebte lange, weshalb ein Baum dieser Art höchstwahrscheinlich ebenfalls einige Jahrhunderte überdauern würde. Dennoch, wenn er gefällt wurde, war er meist schon alt, denn ab dem Todestag des alten Oberpriester begann auch der von ihm eigenhändig eingepflanzte Baum zu altern und warf das erste Mal in seinem lange Leben seine Blätter ab. Sein Holz wurde oft verwendet, um Schalen, Bänke oder sonstige Dinge herzustellen, die für die Messen benötigt wurden. Dieser Tempel hatte schon viele Bäume gesehen und noch nie einen Steinaltar.  

Die Bänke füllten sich mit Elfen, gleichsam wie auch so einige Nachtelfen auftauchten. Eines der hoch gesteckten Ziele der Gemeinschaft war mit diesen Nachtelfen erreicht worden. Zwar konnten sie nichts gegen die Verbannung tun oder sie gar aufheben, doch sie konnten den schwarzen die gleichen Möglichkeiten bieten, wie den weißen. Sarem setzte sich mit Loein und Leion zusammen etwa in die Mitte des großen Tempels und blickte nach vorne, den Baum an, der ihn immer wieder faszinierte. 

„Schön der Baum, nicht wahr?", flüsterte Loein und wandte den nicht den Blick von dem Baum. 

Sarem nickte nur und blieb stumm, denn eben waren die Glocken des Turmes ertönten. Sie klingelten hell und dunkel und bildeten dennoch einen schönen Klang, dem die ganze verstummte Gemeinschaft nun aufmerksam lauschte. Sie läuteten die wichtigste VosDeos Messe des Jahres ein und kündigte zugleich die Priester an. Sie traten durch das hohe Portal und die Sonne stand in ihrem Rücken, sodass Sarem ihre Gesichter nur als Schatten wahrnahm. Mit dem Morgen zogen sie in den Tempel ein und reihten sich um den Altarbaum auf. Die bronzenen nach außen, dann die silbernen und die goldenen, der Oberpriester natürlich in der Mitte und eine Hand an den Baum gelegt. Als könnte er durch diesen Baum mit den Göttern sprechen, schloss er für einen Moment die Augen und seine Lippen bewegten sich leicht.  

Wie gebannt starrte die ganze Gemeinschaft ihn an und endlich ließ er ab, woraufhin es jeder wieder wagte, zu atmen. Der Oberpriester störte sich nicht daran, begrüßte die Gemeinschaft und begann mit den Lobpreisungen. Die folgende Messe war ein Gemisch aus Lobgesängen, die klangen, als würden die Götter selbst sie singen. Es wurde gebetet um den Beistand, darum, dass mehr Elfen den Weg zu den Göttern und damit ihrem Glück finden würden und vieles anderes. Am Ende fand das wichtigste statt, die Opferfeier, die diesmal das Blut vieler kostete.  

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt