Sie saß im Gefängnis.
Sie konnte es nicht fassen, aber sie saß wirklich im Gefängnis. Vor ihr waren Gitterstäbe. Hinter ihr war Wand. Neben ihr war Wand und auf der anderen Seite war auch nur Wand. Graue, nasse, kalte Wand. Gefängniswand eben. Die brauchte nicht schön oder angenehm sein, sie mussten nur ihren Zweck erfüllen, nämlich den Gefangenen im Gefängnis behalten. Aber da war sogar noch etwas, ein kleiner Komfort in ihrer Zelle. Nicht jede Zelle hatte diesen Komfort, aber ihre schon. Vielleicht war es, weil sie noch nicht erwachsen war, vielleicht war aber auch keine andere Zelle mehr frei gewesen. Es war ihr egal und ein sonderlicher Komfort war die harte Matratze dann auch nicht, auf der sie schlafen sollte und es auch schon getan hatte.
In dieser, der letzten Nacht, hatte sie kein Auge zu getan. Es war klar, woran das lag, aber trotzdem war es schlimm, denn sie hatte eine Laune, die schlimmer nicht sein könnte. Allerdings nahm sie ihre Umgebung immer noch nicht so richtig wahr. Ihre Wahrnehmung hatte gelitten, seit sie von den Wachen hier herein gestoßen worden war. Dreimal täglich bekam sie ihre persönliche Ration Essen. Es war nur wenig, aber jedes Mal freute sie sich darauf, denn es war ein wenig Abwechslung zu dem sonst so langweiligen Tag, auch wenn es immer nur der gleiche Haferbrei war.
Sie war verwirrt und hatte schreckliche Angst, die mit jeder Minute, die hier verstrich, wuchs. Die Soldaten sprachen nicht mit ihr, auch wenn sie sie ansprach. Sowieso tauchten sie nur auf, um ihr ihren Haferbrei in der Holzschüssel zu bringen und die Schüssel der letzten Mahlzeit wieder mitzunehmen. Vor allem eines wollte sie wissen, nämlich was mit ihr geschehen würde. Sie wusste, was die Soldaten dachten, was sie getan hatte. In ihren Augen war sie die Brandstifterin, die das Händlerschiff angezündet hatte. Die Fackel war wohl der größte aber auch der einzige Beweis. Außerdem war vielleicht noch verdächtig, dass sie sich nicht in der großen Masse aufgehalten hatte, sondern weit außerhalb. So dumm allerdings waren die Wachen dann doch nicht, dass sie glaubten, sie wäre geschwommen, denn dann müsste ihre Kleidung nass gewesen sein. Das war sie aber nicht, sie war dort genauso trocken, wie sie es jetzt noch war. Aber hatten die Wachen nicht die Wasserlachen auf dem Kai gesehen?
Diese Fragen waren es, die ihr im Kopf herum schwirrten. Wenn sie überhaupt dachte und nicht weinte oder einfach nur paralysiert da saß, dann dachte sie an diese Fragen.
An etwas, das sie auf keinen Fall denken wollte war, wer ihr die Fackel in die Hand gedrückt hatte und trotzdem ließ es ihr keine Ruhe. Es war derjenige, der die Schuld daran besaß, dass sie hier einge-sperrt saß. Es war derjenige, den sie geliebt hatte und von dem sie gedacht hatte, er würde sie auch mögen. Nun aber war alles zusammengebrochen, wie das verbrannte Schiff im Hafen. Ihre ganze Welt war abgebrannt und nun saß sie da und fragte sich, ob sie die Soldaten nicht einfach bitten sollte, sie zu töten.
Ihre Eltern, von denen sie sich in den ersten Stunden als Gefangene so viel erhofft hatte, hatten nichts unternommen. Dasuna hatte von ihnen nichts gehört. Auch das war schwer zu ertragen. Sie wollte nicht begreifen, dass die ganze Welt sie fallen gelassen hatte. Und die ungewisse Zukunft machte alles noch schlimmer.
Am dritten Tag dann endlich tat sich etwas. Ein anderer Soldat besuchte sie. Er hatte keine Schüssel, die er durch die kleine Öffnung durch das Gitter schob, die man auf und zu machen konnte, sondern einen Schlüssel. Den benutzte er auch sogleich und sperrte die Zelle auf, die er daraufhin quietschend aufzog. Dasunas Körper aber wollte sich nicht bewegen. Sie saß da und der Hauptmann bedeutete ihr ungeduldig, sie solle zu ihm kommen. Er versuchte es aber umsonst, woraufhin er etwas rief, das Dasuna nur am Rande wahrnahm. Kurz darauf betrat eine Elfe ihre Zelle. Sie hob sie mit einem Schwung hoch und warf sie sich wie einen Sack über die Schulter. Dasuna ließ alles mit sich geschehen und fühlte nur Abscheu gegenüber dem Hauptmann, der sie nicht anfassen hatte wollen.
Außerhalb ihrer Zelle sah sie ebenfalls nur grau, wie innerhalb. Nur war es ein langer Gang, an dem sowohl links und rechts reihenweise Gitterstäbe die Wände unterbrachen. Teilweise konnte sie ausgemergelte, stumme oder jammernde Gesichter hinter den Gitterstäben ausmachen und hoffte inbrünstig, dass sie nicht auch so enden würde. Ihre Augen schickten sich wieder an zu weinen, aber da betrat die Elfe schon einen Raum. Einen Raum, der immer noch grau und kalt war. Sie setzte Dasuna auf einen unbequemen Hocker, auf dem sie sofort wieder zusammensackte. Sie beherrschte sich und verdrängte die Tränen, die aus ihren Augen herausquellen wollten. Die Elfe verschwand wieder und der Hauptmann setzte sich ihr gegenüber natürlich auf einen wesentlich angenehmeren Stuhl. Die beiden trennte nur ein kleiner Schreibtisch, auf dem lediglich eine Feder, ein Tintenfässchen und zwei weiße Blätter Papier lagen.
Der Hauptmann seufzte und schmiss seinen Schlüsselbund laut auf den Tisch. Vermutlich ahnte er schon, dass ihm ein schwieriges Verhör bevorstehen würde. Dasuna würde es ihm nicht einfach machen, wenn sie denn durchhielt ohne zusammenzubrechen. In letzter Zeit war sie oft einfach weinend zusammengebrochen und hatte sich erst nach einer ganzen Weile wieder beruhigt. Der Elf schnappte sich ein Blatt Papier und tunkte die Feder in die Tinte. Dann begann er seine schnörkelnde Schrift auf das Papier zu setzen.
„Name?", fragte er unwirsch.
„Dasuna.", sagte Dasuna leise und wackelig.
Der Elf kritzelte und blickte wieder auf. Ein Blick eher von Abscheu beherrscht, als von Mitleid. Konnte man es ihm denn vorwerfen, wo er es jeden Tag mit so vielen elenden Gestalten zu tun hatte?
Ja, denn Dasuna hatten sie schließlich auch alles ohne Grund vorgeworfen.
„Du weißt, warum du hier vor mir sitzt?"
Obwohl Dasuna nickte, zählte er es noch einmal auf.
„Du hast das Schiff eines ryoninschen Händlers angezündet und dadurch vier Elfen getötet. Vier Elfen, die dich zu diesem Zeitpunkt an Bord befunden hatten. Hast du etwas dazu zu sagen?"
„Vier Elfen?", krächzte Dasuna.
Sollte das wirklich stimmen, hatte sie ein Problem das größer war, als gedacht.
„Ja, vier Elfen hast du getötet. Damit ist wohl klar, was dir für eine Strafe blüht?"
Dasuna konnte es nicht fassen, aber der Hauptmann schrieb es auf sein Blatt, bevor er es aussprach.
„Du wirst verbannt, du wirst zu einem Nachtelfen gemacht, du darfst nie mehr eine unserer heiligen sieben Städte betreten!", rief der Elf fast schon feierlich, weshalb sich Dasuna vorkam, als würde die Zeremonie schon stattfinden und das machte es noch schlimmer.
Nichts, kein Wort konnte in diesem Moment beschreiben, was sie fühlte. Vielleicht war es ein riesiges Loch, in das sie nun noch tiefer fiel, als das schon der Fall gewesen war.
„Hast du noch etwas zu deiner Verteidigung zu sagen?"
„Ich ... ich nein! Ich war das nicht!"
Der Elf blickte gelangweilt und antwortete nicht einmal darauf. Dasuna vergaß, über das Wasser zusprechen, wohl auch, weil der Hauptmann schon wieder in Begriff war zu gehen. Er setzte noch einen schwungvollen Strich unter sein Urteil und rollte das einzelne Blatt zusammen. Er hatte entschieden und das vollkomen unfair. Trotzdem konnte nichts, was Dasuna noch sagen konnte dazu beitragen, dass sie hier raus kam. Sie war verloren, nein, sie war nun fast schon eine Nachtelfe.
Der Hauptmann versuchte gar nicht erst, sie wieder in ihre Zelle zu lotsen, sondern bestellte gleich die Elfe herein, die die vollkommen verstörte Dasuna zurück in ihre Zelle trug.
Ihre Welt war nun ein Trümmerhaufen. Noch vor ein paar Tagen schien alles bestens, sogar mehr als gut. Mit dem schönsten Jungen war sie ausgegangen, er hatte sie geküsst und nun hatte er sie verraten.
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Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasíaDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...