Kapitel XXIX - Dasuna

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Sie standen vor einem großen, grauen Kasten, der die Kaserne darstellen sollte. Er besaß ein Hauptgebäude und zwei gekrümmte Ausläufer, die sich nach links und rechts erstreckten. So schien es ein wenig, als würde die Kaserne sie mit offenen Armen empfangen. Das Gelände war weiträumig umzäunt und an jedem Eingang standen übertrieben viele Wachen. Es wirkte so, als müsste Lithorin seine Stärke dadurch beweisen, dass es möglichst viele Soldaten an den Toren aufstellen ließ, damit jeder glaubte, sie hätten genug, obwohl Mangel herrschte. Dasunas Onkel war in Tartin Offizier höchsten Ranges. Erst im letzten Jahr hatte er nur knapp die Wahl zum General verloren. Damit verfügte er auch über Informationen, die nicht jeder einfach kannte. Vor allem Informationen über die Streitmächte der anderen Städte und diesen zufolge herrschte großer Mangel in Lithorin. Es war die inoffizielle Hauptstadt und konnte sich in ihrer Gefährlichkeit mit keiner anderen der sieben großen Städte messen. In keiner anderen Stadt herrschte so viel Gewalt, Missbrauch und Verbrechen wie in Lithorin. Insofern brauchte die Stadt nicht nur viele Soldaten, um die Stadt zu sichern, sondern Nachschub musste auch ständig bereit stehen. Nicht selten endeten die Schlägereien oder Gewalttaten damit, dass die Täter auch Soldaten angriffen. 

Eine zweite Mauer war eng um das Gebäude errichtet worden, zusätzlich zu dem Zaun, den sie eben passiert hatten. Die Mauer ließ zwischen sich und dem Gebäude nur wenig Platz. Es passte vielleicht gerade ein Elf mit ausgestreckten Armen hindurch. Der Weg rundherum war mit Kies ausgelegt und durchgetreten von den ständigen Patrouillen, die sich hier herumtrieben. Als wäre es ein Hochsicherheitstrakt, in dem geheime Dokumente lagerten oder Geheimnisse beschützt werden müssten. Dort war aber nichts, außer den Übungsplätzen zwischen den beiden weitläufigen Armen, dem Gebäude, in dem die Streitmacht Lithorins verwaltet wurde und den Kerkern natürlich. Dorthin würde auch sie bald gebracht werden. Sie hatte die böse Vorahnung, dass diese Kerker noch schlimmer waren als die in Tartin.  

Wieder verlangten die Soldaten den Grund des Besuches. Der Anführer ihrer Gruppe kam der Bitte nach und der Soldat ließ sie bereits nach dem Wort Nachtelfe hindurch. Es gab unzählige Verbannungen, weil sie alle ausschließlich in Lithorin stattfanden. Damit hatte der hier stationierte General wohl von allen sieben Generälen im heiligen Wald die schlimmste Arbeit, denn er durfte die Verbannungen verwalten. Inzwischen war das System aber so verkommen, dass der General fast alle durchwinkte, außer die Gründe waren wirklich zu fadenscheinig. Senatoren und einflussreiche Elfen brauchten nicht einmal mehr Gründe zu nennen. Ihnen wurde ihr Wunsch genehmigt. Der Elf wurde gefasst und verbannt, Ende. Es störte den General nicht, denn es war keine Todesstrafe und niemand fragte schon groß nach den Gründen. Die Angehörigen wurden nicht einmal vorgelassen, wenn sie sich überhaupt meldeten. So gesehen prüfte der General ihren Fall mit Sicherheit nicht nach. Außerdem kamen viele Verbrecher aus anderen Städten, denen er notfalls die Schuld unterschieben konnte. Sie mussten sich nicht einmal anmelden, vielleicht wussten die Senatoren deshalb nichts über die genaue Zahl der Nachtelfen. Jeder einfache Bürger, der ein bisschen mitbekam, wie viele Elfen verbannt wurden, so auch ihr Onkel, wusste, dass es weit mehr Nachtelfen im heiligen Wald gab, als die Senatoren vermuteten.  

Ihre Gruppe kannte den Weg in die Kerker und führte sie durch die wenig ansprechenden Gemäu-er, die tatsächlich noch schlimmer waren als die in Tartin. Hier hatte sich wirklich niemand die Mühe gemacht, auch nur einen Farbtupfer oder ein bisschen Leben an diese Mauern zu bringen. Dasuna konnte die schlechtgelaunten Soldaten verstehen. Wer wollte sich hier schon gerne den ganzen Tag aufhalten? Drinnen war es kühl, aber es regnete wenigstens nicht. Alle hinterließen dunkle Spuren auf dem grauen Steinboden. Es war noch ungemütlicher, nass in der Zelle zu sitzen, aber das würde Dasuna nun nicht mehr verhindern können. Es würde ihr wohl keiner Zeit zum Trocknen billigen, geschweige denn neue Kleidung.  

Eine gewundene Treppe, in einer Nische verborgen, führte in die Kellergewölbe der Kaserne. Sie war so unscheinbar, dass Dasuna sie übersehen hatte, bis der Anführer die Gruppe direkt darauf zu geführt hatte. Das Licht schwand allmählich, aber bevor es ganz dunkel wurde, konnte Dasuna schon den Schein der nächsten Fackel ausmachen. An einem hohen Torbogen kamen sie vorbei, den der Anführer aber ignorierte. Nicht noch weiter runter! Erst beim vierten Ausgang machte der Anführer halt. Dort sollte sie die nächsten Tage verbringen, bis sie wieder hinausgeführt wurde, um eine Nachtelfe zu werden. 

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt