Kapitel XLII - Elijo

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Die Sonne stand schon hoch am Himmel und noch immer saßen sie dort. Ferin hatte seinen Arm um Elijos Schultern gelegt, fast väterlich. Elijo hatte keinen Vater mehr, er nahm jeden Trost an. Ferin schenkte ihm Trost, den er so dringend benötigt, sonst würde er verrückt werden. Seine ganze Familie war tot, das würde er niemandem, der auch nur im Ansatz damit zu tun hatte, verzeihen. Genauso verzieh er es sich selbst auch nicht, dass er geflüchtet war. Er verstand, dass er sonst tot wäre. Auch dass seine Familie da schon verloren gewesen war, da sie noch im Lager gefallen waren und das war schon komplett vernichtet, als die Elfen den Hügel eroberten, verstand er, aber er war geflohen. Andererseits half er seiner Familie sogar mehr damit, dass er als einziger noch lebte und sie rächen konnte. Das schwor er sich bei dieser verdammten Fahne, die in seinem Rücken im Wind flatterte.  

Schwarze Punkte traten aus dem Gehölz des Waldes. Sie kamen auf die Ebene, es waren ungefähr zehn. Sie zeigten nachdem sie sich orientiert hatten, alle nach oben zu den beiden Gestalten, die dort beisammen saßen und sich gegenseitig mit ihrer Anwesenheit trösteten. Sie hielten direkt auf den Hügel zu.  

Auf einmal sprangen aus dem Wald hinter den Nachtelfen große Katzen aus dem Gehölz. Fauchend rannten die gestreiften, langgezogenen Punkte auf die schwarzen Punkte zu. Ferin bemerkte die Situation ebenfalls. Er schrie nach unten, winkte den schwarzen Punkten zu. Sie verstanden das als Begrüßung und als Geste, ihnen zu zeigen, dass er sich dort oben befand. Das war es aber nicht und Elijo wunderte sich, dass sie normales von energischem Winken nicht unterscheiden konnten. Schließlich wurden sie unruhig, weil sie glaubten, mit Ferin würde etwas nicht stimmen, da war ihr Schicksal aber schon besiegelt. Zu spät hörten sie den herannahenden Feind, das Fauchen der Wildkatzen. Der erste wurde zu Boden gerissen und die restlichen Katzen sprangen die anderen schwarzen Punkte an. Die meisten konnten ihre Waffen nicht mehr ziehen. Einer, vielleicht der schlauste von ihnen, rannte kopflos davon. Hinauf zum Hügel. Wahrscheinlich dachte er, Ferin und Elijo würden ihn beschützen.  

Elijo wollte weg, er wollte die Aufmerksamkeit der Katzen lieber nicht zu spüren bekommen. Ferin allerdings hielt ihn fest, während der Nachtelf immer näher kam. Einer der Punkte hatte eine Katze erledigt, wurde daraufhin von einer anderen nieder gerungen und schrie laut, bis die Katze ihm das Genick brach. Alle waren tot, besiegt von einigen wenigen Katzen, die lediglich den Überraschungsmoment auf ihrer Seite gehabt hatten. Elijo saß starr da, er hatte es gewusst. Spätestens beim Erscheinen der Katzen, fast schon davor war ihm irgendwie klar gewesen, dass die Nachtelfen den Hügel nicht lebend erreichen würden. Trotzdem tat er nichts, er war gefühlslos, für ihn waren es nur schwarze Punkte. Sie hatten die Warnung nicht verstanden, ihr Problem. Er sah weg, als die Katzen ihr Frühstück verschlangen. Fauchend und schlagend kämpften sie um die Nachtelfen, Elijo aber fühlte nichts, als die ehemaligen Mitglieder seines Clans zerfleischt wurden. Er hatte es gewusst, vielleicht berührte es ihn deswegen so wenig. 

Schwitzend und außer Atem stützte sich der Nachtelf auf seine Knie. Er war den Katzen erfolgreich entkommen Und diese schien das nicht zu kümmern, solange sie genug Fleisch für ihr Frühstück hatten. Ferin war sichtlich mitgenommen und bestürzt. Schweigend begannen sie nach unten zu steigen, auf der anderen Seite des Hügels, versteht sich. Elijo aber entschied sich, die Fahne mitzunehmen, sie sollte ihn begleiten. Er riss mit aller Gewalt an ihr, aber sie wurde zu tief ins Erdreich gerammt. Sie zeigte sich unberührt von seinen Anstrengungen, sie aus der Erde zu hebeln. Seine Wut nahm überhand und er trat mit seinem Fuß so fest gegen die Stange, das das Holz barst. Die Splitter flogen in alle Richtungen und die Stange neigte sich, noch an einigen Stücken hängend, dem Boden entgegen. Elijo trat noch einmal dagegen und nun hielt die Fahne nichts mehr auf dem im Boden steckenden Ende. Dumpf landete sie im Gras und das Knattern erstarb. Elijo wuchtete das schwere Teil hoch und legte es sich über die Schulter. Das Gewicht dieser Fahne war keineswegs zu verachten, aber er würde sie tragen, bis seine Rache vollendet war. Mit dieser Fahne als Symbol würde er alle vernichten, die am Tod seiner Familie und seines Clans Schuld trugen.  

Ein wenig verwundert starrten ihn die beiden Nachtelfen an, als er ihnen mit der großen Fahne folgte. Sie sagten aber kein Wort und Elijo hatte genug damit zu tun, beim Abstieg nicht zu stolpern, sodass die Fahne ihn unter sich begraben hätte. Sie hörten noch das Fauchen der Wildkatzen und das Schmatzen, als sie wieder in den Wald liefen. Sie würden noch kurz zu ihrem alten kleinen Lager zurückkehren, dann würden sie fliehen. Allen drei war das klar, als hätten sie sich abgesprochen. Sie mussten eine andere Bleibe finden, zu dritt war man im heiligen Wald nicht sicher. Vor allem wenn man offensichtlich zu zehnt schon nicht sicher war.  

Elijo kam der Rückweg so kurz vor, das er sich ernsthaft fragte, was er da gestern getan hatte. Konnte man solange in diesem Stückchen Wald umherirren, das zwischen dem Lager und dem Schlachtfeld lag. Im Lager dann schnürten sie sich, so viel wie möglich auf ihre Rücken. Absichtlich schonten die beiden erwachsenen Nachtelfen Elijo. Sie überließen ihm nicht so viel, wie sie ihrerseits zu schleppen bereit waren. Außerdem bestanden sie darauf, die Fahne zurückzulassen. Sie schlugen vor, sie zu verbrennen, aber Elijo lehnte strikt ab. Er hing an der Fahne, sie symbolisierte seine Rache, außerdem war sie die Fahne ihrer Feinde, wieso auch immer das ein Argument war. Am Ende gaben sie nach, aber sie kürzten die Stange, sodass die Fahne besser zu Tragen war. Zudem rollten sie die Fahne um die Stange, damit der Stoff nicht auf dem Boden schliff und banden sie mit einer Schnur fest. Elijo benutzte die Fahne als Wanderstock und trug sie nicht über dem Rücken. So war sie zwar fast zweimal so groß, wie er selbst, aber es war leichter, als das Monstrum zu tragen. Fest entschlossen auf Rache und doch kein Ziel vor Augen, zogen die drei Nachtelfen los.

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt