Kapitel LIV - Jiran

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Faranir war nicht begeistert von seinem Auftauchen, das brachte sein Gesicht klar und deutlich zum Ausdruck. Andererseits zeigte er auch Neugier, was nicht verwunderlich war. Im Schneidersitz saß er auf einem Stein, der so groß war, dass seine Füße nicht bis zum Gras hinunter reichten. Stattdessen stemmte er sie gegen den Stein und genoss es, dass er Jiran so von oben herab betrachten konnte, auch wenn Jiran sowieso kleiner war. Trotzdem sprang er herunter und packte seinen Wasserbeutel wieder weg. Wie schon vor einigen Wochen hatten die Nachtelfen hier ihr Mittagslager aufgestellt. Deshalb keine Zelte nur überall über die Wiese verteilt Gruppen von Nachtelfen beim Essen und Trinken. Seine Nithilrüstung glänzte wie immer im Sonnenlicht, sodass sich Jiran fragte, wie viel Zeit er wohl täglich dazu brauchte, sie sauber zu halten. Sicher jede Menge, Jiran würde sich das nicht antun. Für Faranir allerdings war es richtig wichtig, immer geschmiert und überlegen aufzutreten, weshalb auch immer. Während er Jian so betrachtete, hoffte dieser inständig auf seine Gnade, die er auch schon beim ersten Treffen gezeigt hatte.  

„Hallo, Jiran.", begrüßte er ihn nüchtern. 

„Faranir.", nickte Jiran und versuchte ihm nervös nicht in die Augen zu sehen. 

Jiran spürte die riesige Gestalt Ynos im Rücken und das machte ihn nur noch nervöser. Lieber wäre er allein mit Faranir, er redete sich ein, dass er gegen ihn sogar etwas ausrichten konnte. Zum zweiten hasste er es, wenn sich jemand in seinem Rücken aufhielt und er sich nicht umdrehen konnte. Es erinnerte ihn ein wenig dran, wenn sein Bruder ihn erschreckt hatte. Bald hatte Jiran ihn schon im Rücken spüren können, doch bis dahin, hatte er nicht aufgehört Blicke nach hinten zu werfen. Seitdem war es ihm unangenehm, wenn jemand hinter ihm stand. 

„Das wir uns so schnell wiedersehen, schon lustig, nicht wahr?" 

Jiran wagte nicht zu antworten und nickte nur leicht mit dem Kopf. Er fand, das kam darauf an, was man unter lustig verstand. Ob es für ihn lustig war, das würde sich noch zeigen, bald.  

„Du hast in den letzten Tagen sicher einiges erlebt. Möchtest du mir nichts davon erzählen, denn schließlich bin auch ich schuld daran, dass du das überhaupt erleben durftest. Damit meine ich, dass du sonst irgendwo im Wald verrotten würdest, tot, versteht sich." 

Faranir lehnte sich an seinen großen Felsen, erwartungsvoll. Schon wieder musste Jiran jemandem aus seinem Leben erzählen, schon wieder war es nicht sein Bruder. Eigentlich wollte er es nur einmal seinem Bruder erzählen, sonst niemandem, doch ließ sich das in letzter Zeit nicht verhindern. Was er auch tat, er geriet immer wieder in irgendwelche Dinge hinein, mit denen er nicht das Geringste zu tun haben wollte. Er gab sich der Aufforderung hin und ließ wie immer das aus, was niemanden interessierte oder die Dinge, die niemanden etwas angingen und nicht wichtig waren.  

Er erzählte vom Leben bei den Nachtelfen, eine kurze Zeit, die ihm lange vorkam. Wie er entkom-men war, dass er die Nachtelfen verraten hatte, ließ er getrost aus. Er gab mit seiner Sturheit an, dass er auch nichts in Lithorin über die Nachtelfen verlauten hatte lassen. Nichts, aber auch nichts hatten die Elfen gewusst, bis er aus der Stadt geflohen war und nun hier stand.  

„Das soll ich dir glauben? Dass du nichts über uns verraten hast? Hältst du mich für so dumm?", fragte Faranir ein wenig zornig nach. 

Jiran knetete seine Finger und sah zu Boden. Weiter lügen? 

„Warum sollte ich euch verraten, ganz so schlecht habt ihr mich nicht behandelt.", erwiderte Jiran kleinlaut. 

„Wir haben dich nicht schlecht behandelt? Alantir hätte dich sofort getötet und ich habe nur be-stimmte Gründe, warum ich es meinem Gewissen nicht antun kann, dich zu töten. Doch glaub mir, ich würde es ansonsten sofort tun, denn ehrlich gesagt bis du ein ziemlich mieser Verräter!" 

Das war nicht gerade beruhigend, allerdings wusste Jiran nun, dass er auch diesmal mit heiler Haut davon kommen würde. Faranirs Gründe existierten noch und waren schlagend genug, dass er Jiran nichts antun würde. Jiran war gespannt, was er stattdessen tun würde, denn er konnte ihn schlecht wieder laufen lassen, damit er noch mehr verriet.  

„Du kommst mit uns, Yno und Sheìn sind ab jetzt deine Begleiter. Sie sind nicht deine Freunde, bilde dir das nicht ein, sie sind lediglich deine Bewacher.", seufzte Faranir, an Yno und den anderen Nachtelfen gewandt, die noch dabei standen gewandt sagte er. „Gebt ihm was zum Trinken, was zum Essen, vielleicht könnt ihr einen ungenutzten Wasserbeutel auftreiben, dann müsst ihr ihn nicht aus eurem Beutel trinken lassen." 

Dann schulterte er seine Tasche, klopfte Sheìn auf die Schulter und dieser nickte. Jiran stand verloren da, bis Sheìn ihm bedeutete, ihm zu folgen. Yno begleitete sie wie ein riesiger Schatten und leider immer im Rücken. Eine nette Nachtelfe lieh ihnen einen Wasserbeutel, weil sie erklärte, sie habe sowieso zu viele. Als sie Jiran sah, wollte sie schon das Schwert zücken, doch Yno war schneller und hatte ihren Arm gepackt. Dass der Wasserschlauch für Jiran war, verschwieg Sheìn, dann zogen sie auch schon wieder ab. Die Elfe sah ihnen misstrauisch hinterher, vielleicht überlegte sie, ob sie Faranir davon unterrichten sollte. Doch dass Yno einer seiner getreusten Gefolgsleute war, das wusste jeder im Clan.  

Der Bach mit dem frischen Wasser war nicht weit und unter Beobachtung seiner Bewacher füllte Jiran seinen Beutel und trank sogleich einige Schlucke daraus. Er wagte nicht zu fragen, ob das Wasser auch sauber war. Schlecht konnte es nicht sein, denn auch die Nachtelfen beugten sich hinunter, um ihre Beutel zu füllen. Trinkend kehrten sie durch die eng stehenden Bäume zum Lager zurück. Sheìn kramte ein Stück Brot aus seiner Tasche und streckte es Jiran hin. Er nahm es dankend an, doch Sheín sah ihn nicht einmal an. Jiran hatte so eine Vorahnung, dass ihn wieder Tage erwarteten, an denen er ständig nur ignoriert oder blöd angemacht wurde. 

Faranir gab den Befehl zum Aufbruch. Er hatte keine Zeit mehr, nach der verletzten Nachtelfe zu fragen, obwohl es Jiran brennend interessierte. Ihr ging es sicher bestens mit den Nachtelfen, sie würden sich um sie kümmern, das wusste er. Nachtelfen untereinander waren nicht nur nett und höflich, sondern auch extrem hilfsbereit. Unter den Elfen war das nicht einmal annähernd der Fall, wie Jiran schmerzlich hatte erfahren musste. Aber vielleicht ging es ihm unter Nachtelfen sogar besser, auch wenn sie ihm nicht mit dieser Nettigkeit begegneten, waren sie dennoch nicht dazu bereit, seinen Bruder wegen ihm zu foltern. Zumindest ließen sie ihn in Ruhe und nervten ihn nicht mit dämlichen Fragen.

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Ob das so bleiben wird? Ob die Nachtelfen Jiran nicht doch noch dämliche Fragen stellen oder anders unangenehm werden?

Tja, wie ihr unschwer erkennen könnt, hat der zweite Teil dieser Geschichte hier sein Ende. Landet Jiran am Ende des ersten Teils erleichtert wieder Zuhause, so landet er nun zumindest nicht abgeneigt wieder bei den Nachtelfen.

Wo soll das nur hinführen?

Wenn ihr also wissen wollt, wie sich diese Geschichte fortsetzt, dann kann ich euch nur den dritten Teil empfehlen, der in Bälde erscheinen wird. Ich hoffe es hat euch bis hier hin gefallen und ihr lest noch ein Stück weiter, am besten bis zum Ende.

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt