Kapitel X - Jiran

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Wieder wischte er sich über die Augen, kniff sie zusammen. Die Schrift wurde tatsächlich wieder etwas schärfer. Aber zwei Sätze weiter musste er das Ganze noch einmal wiederholen. Dann endlich schloss er seine Augen für eine Weile. Jetzt war es wirklich zu spät. Er würde nichts mehr zustande bringen und wahrscheinlich auch noch einschlafen über dem Haufen Papier. Da er es aber vorzog, in einem weichen bequemen Bett zu schlafen, blies er die Kerze aus und legte sich schlafen. Zum Nachdenken war jetzt auch keine Zeit mehr. Erschöpft schlief er ein, nur ein paar Sekunden nachdem er seine Augen seufzend geschlossen hatte.

Die westlichen Ödlande

Nun komme ich zum letzten Teil der Ödlande. Leider muss ich den Leser aber an dieser Stelle wieder einmal enttäuschen, denn in den westlichen Ödlanden, zu denen ich nun kommen werde, sind nur vereinzelt Magier zu finden. Insgesamt ist es der Teil der Ödlande, der am wenigsten magisch ist. Das mag zuweilen auch daran liegen, dass die Elfen gut aussortiert haben und damit alle möglichen Konkurrenten ausgeschaltet haben. Der Leser sollte trotzdem nicht genau hier aufhören, denn ich habe, so viel kann ich verraten, mit den uninteressantesten Regionen Elyreas begonnen und die nun folgenden Einträge ordnen sich steigernd an.

Die Hügel von Astalan

Die Hügel von Astalan sind in der beiliegenden Karte gut sichtbar eingezeichnet und liegen (zum schnelleren Finden) ein gutes Stück südwestlich von den südlichen Ödlanden entfernt.  

In diesem, wie der Name schon sagt, hügeligen Gebiet, herrschen die Reiterclans. Ich werde in diesem Büchlein nicht genauer Auskunft über dieses eher im Verborgenen lebende Menschenvolk Auskunft geben, denn das würde zu viel Platz kosten und den Leser vermutlich langweilen. Eine Sache ist erwähnenswert. Diese Clans ziehen umher. Sie sind ein fahrendes Volk. Ihre einzige Stadt ist die große Stadt Fiorenor. Und wenn ich groß meine, dann ist das auch so. Unsere Städte sind nichts im Gegensatz zu denen der Menschen. Sie sind exzellente Reiter und keine Magier. Sie haben also auch keine große Magie in sich. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber im Großen und Ganzen, sind sie den anderen Menschenvölkern ähnlich.

Deshalb lasse ich an dieser Stelle alle anderen Menschen im Osten aus, denn sie gleichen zu großen Teil den Reitern aus dem Süden. Sie mögen es mir verzeihen. Besonders Atar aus dem Orden, denn er ist wirklich ein fantastischer Magier, auch wenn er mir nicht im Geringsten das Wasser reichen könnte! :D

Der Morgen verlief wie immer. Nur dass sein Bruder weiterhin nicht da war, weshalb er sich sein Frühstück zwangsläufig selbst machen musste. Bevor er sich mit dem Köcher über der Schulter und dem Bogen in der Hand zu den Übungsplätzen aufmachte, warf er noch einen kurzen Blick auf das neue Büchlein, in das er gestern noch so viele Sätze geschrieben hatte, die er zuvor entziffert hatte.  

Auf dem Weg ließ er sich das noch einmal durch den Kopf gehen, denn gestern war er dazu eindeutig zu müde gewesen. Zuerst einmal hatte der Autor erwähnt, dass es noch viel spannendere magische Gegenden gäbe, als die Ödlande. Das war gut, denn die Ödlande hatte er tatsächlich etwas enttäuschend gefunden, gab es über sie schließlich nicht viel zu sagen. Außer die eine Geschichte mit dem Feuerwesen, das die Bewohner dort anbeteten. Das war interessant gewesen. Schade nur, dass Ilandil nicht mehr darüber hatte in Erfahrung bringen können. Die Menschen schienen aber auch nicht sonderlich magisch begabt zu sein, sodass Ilandil gleich alle ihre Völker ausließ. Aber er hatte auch von einem Menschen gesprochen, der in irgendeinem Orden war oder gewesen war, der ein guter Magier zu sein schien. Angeblich konnte er dem Autor dieses Büchleins trotzdem nicht das Wasser reichen. Und dann war da noch dieses seltsame Symbol :D . Was hatte das zu bedeuten? Vielleicht wusste der neue Bibliothekar etwas darüber. Aber Jiran traute sich nicht, den Neuen darauf anzusprechen. Er war ihm unsympathisch, ganz das Gegenteil zu Jatar. Er würde seine Fragen selbst beantworten. Dazu musste er aber trotzdem die Bibliothek aufsuchen. Außer er fragte jemand anderen. Das Problem war nur, dass er keinen wirklichen Freund mehr hatte in Ryonin, außer vielleicht Maryn. Aber ob Maryn etwas über diese Sachen wusste? 

Die Tore zu den Übungsplätzen standen offen und Scharen von Schülern und Lehrern traten hin-durch. Das war die Zeit, zu der die Übungsplätze regelrecht überfüllt waren. Es war nicht einfach, dann noch einen freien Platz zu finden. Oft hatten die Schüler zwischendrin Pausen, in der die Lehrer nach einem Platz suchten. Gerade während diesen Zeiten hatte Litan Jiran aufgesucht. Und nicht selten hatten sie zur gleichen Zeit frei gehabt.  

Einige Lehrer warteten schon an den Toren auf ihre Schüler, aber Maryn erwartete Jiran immer bei den Schützenplätzen. Umso verwunderlicher war es, dass er heute an den Toren wartete. Zwei Schritte vom rechten Tor und auch noch in Begleitung zweier Soldaten. Dass sie Soldaten waren, war unverkennbar. Nithilrüstung, Nithilschwert an der Seite und den grasgrünen Umhang, die sie als Spezialeinheit des Senats auswiesen. Soldaten aus der Spezialeinheit. Solche hatte er zum letzten Mal gesehen, als ein Verbrecher aus der Stadt geholt wurde, um nach Lithorin gebracht zu werden, damit er durch das Ritual zum Nachtelfen würde. An diese unruhige Zeit konnte er sich noch gut erinnern. Damals war er vielleicht sieben Jahre alt gewesen, weshalb er es nicht so schlimm in Erinnerung hatte, wie sein Bruder.  

Zwei Wochen lang hatten Ausgangssperre und Notzustand in Ryonin geherrscht, bis der Verbrecher gefasst wurde. Verbrochen hatte der schlimme Verbrecher mit dem Namen Zuren vieles, aber nichts war schlimmer gewesen, als der Mord am damaligen Fürsten. So etwas konnte die Stadt nicht verzeihen und so wurde er zwei Wochen lang gesucht. Schließlich rückte die Spezialeinheit ein, in ihren grünen Umhängen. Es dauerte nicht einmal zwei Tage und sie schafften das, was die einheimischen Soldaten nach zwei Wochen noch nicht geschafft hatten. Sie hatten den Verbrecher gefangen. Jiran hatte sich an diesem Tag erfolgreich nach draußen geschlichen und den Zug durch die Stadt miterlebt. Danach hatte er aber eine saftige Strafe erdulden müssen. 

Jiran wurde langsamer und beobachtete die drei Elfen, die vermutlich nur auf ihn warteten. Sie hatten ihn noch nicht bemerkt und suchten in der Menge der Schüler und Lehrer am Eingang nach ihm. Er stellte sich hinter einen Pulk aus Lehrern, die gerade angeregt über ihre Schüler diskutierten. Er spitzelte dahinter hervor und betrachtete die beiden Grünen aufmerksam. Der größere der beiden hatte die schwarzen, langen Haare zu einem losen Zopf zusammengebunden, während der andere sein nicht ganz so langes Haar einfach lose hängen ließ. Dafür hatte er Schuck darin eingeflochten. Beide hatten ernste Gesichter und die Hand auf dem Knauf des Schwertes. Allein deswegen war sich Jiran nicht sicher, ob er es wagen sollte sich zu zeigen.  

Einer der Grünen drehte seinen Kopf in Jirans Richtung. Hastig machte sich Jiran wieder hinter den Lehrern klein. Zu seinem Verdruss aber beschlossen diese gerade, ihre Gruppe aufzulösen und mit ihren teils schon angekommenen Schülern die Übungsplätze aufzusuchen. Nervös überlegte er eine Sekunde. Dann hatte er seine Entscheidung getroffen. Er würde das Wagnis eingehen. Maryn würde es nicht zulassen, dass ihm etwas Schlimmes geschah. Außerdem hatte er ja nichts verbrochen.  

Die Lehrergruppe hatte sich vollständig aufgelöst, Jiran richtete sich auf und schlenderte gelassener, als er es eigentlich war, zu den dreien, wobei er noch einen überraschten Blick aufsetzte.

Der Blutschrein [2] - LithorinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt