Der Morgen neigte sich dem Ende zu und die Sonne hatte den Zenit fast schon erreicht. Er wanderte schon seit geraumer Zeit immer noch nach Osten. Er war lange vor der Sonne aufgestanden und hatte sich nach einer kleinen Erfrischung an einer Quelle in der Nähe seines Unterschlupfes aufgemacht, weiter nach Nachtelfen zu suchen. Er folgte nun schon seit einigen Stunden einem kleinen Fluss, der in dieselbe Richtung floss, in die der Alte musste. Bald aber bog der Fluss stark nach Norden ab. Es zeichnete sich ab, dass er in die Tertia floss, um mit ihr gemeinsam den heiligen See zu erreichen. Leider machte der Fluss damit einen großen Umweg, denn weiter geradeaus nach Osten kam man schneller an den See. Aber das konnte der Alte dem Fluss nicht klar machen und so trennten sich ihre Wege. Bald danach vermisste der alte Nachtelf das Plätschern neben sich, aber er fand einen Vogel, der abhelfen konnte.
Wie diese Art mit ihrem bunten Gefieder hieß, war ihm gerade entfallen. Er rügte sich im Geiste dafür. So was musste er doch wissen. Es war eine der häufigsten Arten im heiligen Wald und die zutraulichste. Der Vogel setzte sich zuerst auf seinen Kopf. Die Krallen kitzelten den Alten an der Kopfhaut. Außerdem brachte der Vogel seine Frisur durcheinander, die er heute Morgen fein säuberlich mithilfe des kleinen Flusses gerichtet hatte. Deshalb verscheuchte der alte Nachtelf den Vogel wieder. Der schien empört zu sein und flog eifrig davon, um sich kurze Zeit später auf seine Schulter zu setzen.
Er schaute den Alten schief und mit großen Augen an, als wolle er sagen Scheuche mich nicht wieder weg. Der Nachtelf war belustigt und entschied sich dagegen, den kleinen Vogel wieder zu verscheuchen. Das Vögelchen schien zufrieden und stimmte ein kleines Lied an. Der Nachtelf pfiff vergnügt mit und so zogen sie gemeinsam weiter.
Das war auch der Grund, warum der alte Nachtelf die schwarzen Gestalten so spät bemerkte, näm-lich erst, nachdem sie ihn umstellt hatten. Der kleine Vogel flog erschrocken auf und ließ den Alten mit den Gestalten alleine zurück.
Die schwarzen Gestalten stellten sich aber keineswegs als Bedrohung heraus, denn als sie aus den Schatten traten, waren sie noch immer schwarz. Erfreut, dass er endlich Nachtelfen getroffen hatte, wartete der alte Nachtelf darauf, dass der Nachtelf in der Mitte zu sprechen begann, der sich nun vor dem Alten aufbaute.
„Zu welchem Clan gehörst du?", fragte er unfreundlich.
„Noch zu keinem.", antwortete der Alte und stützte sich auf seinen Wanderstock, während er den jungen Nachtelfen musterte.
Der Nachtelf hatte blondes, kurzes Haar und ein kantiges Gesicht. Er war sehr schmal gebaut und trug ein wunderschön verziertes Schwert an der Seite. Aber er schien sich unter den Blicken des alten Nachtelfen nicht wohl zu fühlen.
„Nimm ihn doch einfach mit. Der sieht aus, als wüsste er viel. Wir können ihn immer noch töten, wenn dein Vater ihn nicht für nützlich hält.", meinte eine Nachtelfe aus der Truppe des jungen Nach-telfen.
„Oh, ich bin mir sicher, dass mich dein Vater gebrauchen kann. Dein Vater ist doch Zuren, oder nicht Blondschopf?"
Der alte Nachtelf wirkte zufrieden und der blonde verwirrt. Auch die anderen Nachtelfen aus seiner Gruppe starrten den Alten plötzlich an.
„Woher weißt du, wer mein Vater ist?", fragte der blonde Nachtelf ungläubig.
„Ich habe ihn schon mal kennengelernt, weißt du? Ich war sehr enttäuscht über sein Verhalten und trotzdem habe ich ihn einige Zeit versteckt, nachdem er den Fürsten getötet hat. Und jetzt schau nicht so verwirrt, denn du bist schließlich ein Nachtelf und führe mich zu deinem Vater, mein Urenkel!"
„Mein Urenkel?", fragte der Blonde noch verwirrter, aber er hatte bereits verstanden.
„Ist mir nur so rausgerutscht.", entschuldigte sich der alte Elf und grinste den blonden Nachtelfen dabei an.
Immer noch nicht ganz so selbstsicher, wie zu Anfang des Gesprächs, bedeutete der Blonde allen, ihm zu folgen. Auch der Alte setzte sich wieder in Bewegung und wie sollte es auch anders kommen, ließ der kleine Vogel nicht lange auf sich warten. Er hatte die Begegnung wohl an einem sicheren Ort abgewartet und nun saß er wieder auf der Schulter des Alten und sah ihn an.
Tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe, kommt nicht wieder vor!
Jatar musste fast lachen und war sich der fetten Lüge bewusst, aber er hatte sie sich schließlich auch nur ausgedacht, oder konnte der Vogel wirklich sprechen ...
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Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasiaDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...