Der Weg nach Lithorin war interessanter, als der Weg zuvor nach Assadéi, denn endlich hatten sich die Grünen dazu entschließen können, über ihren Schatten zu springen und sich mit ihm zu unterhalten. Damit war der ganze Weg viel angenehmer und Jiran konnte ihn noch mehr genießen. Die Grünen wechselten zwar stets das Thema, wenn sie auf sie selbst zu sprechen kamen, aber es gab genug Themen, die nichts damit zu tun haben. Das Turnier, über das ließ sich gut reden, denn die Grünen wussten so einiges davon, was Jiran nun, da sein Bruder auch daran teilnahm, gerne wissen wollte. Zuerst wurde er ein wenig schockiert, denn er erfuhr, dass nicht wenige bei diesen Turnieren gestorben waren. Er machte sich Gedanken darüber und schickte ein Gebet an den Gott Silètas. Vielleicht waren solche Götter doch hilfreich?
„Gibt es noch Götter, an die die Elfen glauben?", fragte Jiran nach.
Die beiden Grünen machten ratlose Gesichter. Tiklos zuckte mit seinen Schultern. Jiran hatte schon gedacht, das wüssten die beiden auch.
„Ich kenne Silètas und eine Göttin, deren Name mir gerade eben nicht einfällt ...", überlegte Berìn laut.
„Du meinst wohl Aryana.", löste Jiran das Rätsel.
Berìns Gesicht leuchtete auf und er schnippte mit dem Finger.
„Na bitte, da hast du es schon! Das sind deine beiden Götter!", rief er.
„Ja, das schon.", räumte Jiran ein. „Aber ich wollte wissen, ob es noch Tempel oder so etwas gibt, also Elfen, die an sie glauben."
Tiklos antwortete schnell, aber nicht auf Jirans Antwort und blieb stehen.
„Was ist das, da vorne?"
Ruckartig blieben auch Jiran und Berìn stehen und kniffen die Augen zu. Sie sahen an Tiklos' Finger entlang und konnte auf der Straße kleine, dunkle Gestalten ausmachen. Jiran konnte nicht sagen, ob es ein Tier oder ein Elf war. Berìn hatte aber scheinbar bessere Augen.
„Ein Elf oder sogar ein Nachtelf, aber was macht der da alleine?"
Jiran wurde nervös, er wollte keinem Nachtelfen begegnen. Die Gestalt tat nicht so, als würde sie leben, dafür stand sie zu still und bewegte sich jedenfalls nicht sichtbar, vielleicht war es auch einfach nur ein seltsamer Baum oder eine Pflanze. Tiklos und Berìn berieten sich und Jiran sah sich derweil um, ob er noch mehr Gestalten erkennen konnte. Dass der Elf da vorne alleine war, konnte er sich nicht vorstellen, wenn es denn einer war. Niemand war alleine im heiligen Wald unterwegs.
„Anschleichen!"
Das war die Entscheidung der beiden Grünmäntel. Jiran war sich bei dieser Entscheidung nicht so sicher, wie seine Begleiter und hielt sich lieber zurück. Er hatte sich selten an Gegner herangeschlichen, eher war es andersherum gekommen. Noch immer stand diese Gestalt dort und rührte sich nicht. Als erstes schlugen sie sich in den Wald. Sie verließen die Straße, hielten sich aber immer in ihrer Nähe auf, um nicht die Orientierung zu verlieren. Das Gebüsch kratzte auf der Haut und Stolperfallen lauerten überall. Jiran schlug schon bald genervt Zweige zur Seite. Sie knacksten laut, bogen sich unter seiner Kraft und nicht selten splitterten sie. Berìn aber ermahnte ihn wegen der lauten Geräusche und Jiran versuchte daraufhin hinter ihm, in dessen Schneise, zu laufen. Aber auch diese Lösung blieb er erfolglos, als er einen Ast ins Gesicht geschlagen bekam. Schließlich passte er auf, denn nun langsam spürte er, dass sie der Gestalt sehr nahe sein mussten. Sie war erstaunlich weit weg, Jiran hätte sie näher vermutet.
Der erste Pfeil traf ihn in der Wade. Er brach zusammen und schrie. Er umklammerte mit aufgeris-senen Augen sein verletztes Bein. Die Grünmäntel fuhren herum, ihre Mäntel verhingen sich in den kleinen Ästchen des Gebüsches. Sie sahen aufgeschreckt nach oben nach rechts und wieder nach oben, aber der Feind war nirgends. Jiran hatte Glück, dass er sich auf dem Boden vor und hinter wiegte, so traf ihn der zweite Pfeil nur in der Schulter. Er war auf den Kopf gezielt gewesen. Nun aber hatte der Feind sein Versteck preisgegeben. Blitze schleuderten die beiden Grünen fast zeitgleich in die verdächtige Baumkrone. Etwas Schweres fiel herunter, wie eine reife Frucht. Getroffen! Die Luft knisterte und der Feind krachte mitten in das Gebüsch, es knackte scheußlich.
Jiran kam sich vor, wie in einem Alptraum. Der Schmerz vermischte sich mit einem ganzen Haufen Angst und Erschrecken. Weitere Gestalten traten aus den Büschen. Bögen hatten sie in der Hand oder sie schwangen ein Schwert. Tiklos zog Jiran zur Seite, während Berìn sein Schwert zog und sich der Übermacht entgegenstellte. Das erste Blut floss und Jiran krümmte sich vor Schmerz. Ihm drohte schwarz vor Augen zu werden. Klirren der Schwerter war da noch und gelegentlich knistern, wenn wieder etwas die Luft erhellte. Einmal hörte er ein großes Krachen, aber da war er schon am Rand zur Finsternis. Dann blendete sein Gehirn die Kampfgeräusche aus und er hörte das Rauschen der Baumkronen. Einen entfernten Vogelruf, aber nur entfernt, denn von hier waren längst alle Vögel geflohen. Eine seltsame Leichtigkeit überkam ihn und er driftete hinüber in das Reich der Finsternis.
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Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasíaDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...