Es war ruhig auf den Straßen Lithorins, die er nun mit schnellen, aber leisen Schritten durchquerte. Er spürte die rauen Pflastersteine durch seine dünnen Sandalen und hörte sich selbst schnell atmen. Ein fremder Schrei ließ ihn aufmerken, nur ein Vogel, der auf sich aufmerksam machen wollte. Er hatte keine Blicke für die grauen Gebäude am Straßenrand übrig und konzentrierte sich einzig und allein auf seinen Weg und seinen Plan.
Er wollte fliehen und diesmal würde es auch klappen. Denn er hatte nichts dabei, rein gar nichts, weder Essen noch Kleidung oder etwas anderes. Das weckte natürlich seine Zweifel, die allein schon wegen seiner Flucht sehr groß waren und ließ sie wachsen. Vielleicht rannte er deshalb auch so schnell, bevor er sich schon wieder auf dem Rückweg sah. Es verfolgte ihn niemand, er konnte sich ewig Zeit lassen. Diesmal suchte ihn keiner, wie beim letzten Mal, er konnte in Ruhe flüchten, wenn man es so wollte. Allerdings waren seine Zweifel dennoch große Verfolger, die noch hartnäckiger waren als Berín und Tiklos.
Seine Sandalen machten keinen Lärm auf den Steinen und verwundert sah er einem Elf nach, der durch die Straßen torkelte. Er sang ein leises Lied, das durch die stille Nacht aber umso lauter und schriller klang. Jiran machte einen großen Bogen um diesen Elfen. Er wollte jetzt nicht mit einem Betrunkenen aneinander geraten, das konnte er allen Ernstes nicht brauchen. Zu solchen Typen waren die ehemals stolzen Elfen nun verkommen. Sie glichen mehr den Menschen als sich selbst, dachte Jiran wehmütig.
Bald kam auch die Taverne in Sicht, aus der der Elf gekommen war. In ihr brannte natürlich noch hell das Licht und blendete Jiran sogar ein wenig. Er lief schnell vorbei, bevor jemand herauskam, der ihn kannte. Aber wer sollte das schon sein? Endlich erreichte er die Baumgruppe und das hohe Ufer-gras. Dort war er heute Nachmittag frohen Mutes einfach hineingesprungen. Ohne auch nur einen Gedanken an sein viel zu großes Gewicht zu verschwenden. Außerdem war er jetzt lange nicht so nervös wie vorhin. Der Rundgang um die Garnison hatte ihn beruhigt und nun war er wieder voller Tatandrang. Er dachte nicht mehr an die vielen schlimmen Dinge in seinem Kopf. Die Dinge, die sich Zweifel und Ängste nannten und in letzter Zeit zu oft sein Denken beherrschten. Er hatte einen guten Gedanken und den pflegte, er tat das, weil es seinem Bruder gut tat, sonst müsste er für Jirans Dummheiten bezahlen. Nebenbei konnte Jiran auch noch nach Hause. Dieser letzte Gedanken war nicht einmal eine vage Hoffnung, es war nur eine Sache, die er sich leise vormachte. Er wusste genau, dass er nicht nach Hause konnte, es würde nicht lange dauern und schon wäre er wieder hier und diesmal wohl in Fesseln. Dass der Senator nichts scheute, wenn er die Informationen wollte, hatte Jiran bereits erfahren.
Bevor er lange nachdenken konnte, sprang er und das Wasser schlug über seinem Kopf zusammen. Sein Atem stockte aufgrund der Kälte des Wassers, er hatte schon wieder Angst. Dann aber war sein Kopf wieder an der Luft. Das Wasser hatte ihm auf einmal alle Wärme genommen und er atmete schwer. Er strich sich die Haare aus dem Gesicht, dann überkam ihn ein wagemutiger Gedanke.
Er holte so viel Luft, bis er das Gefühl hatte, er würde gleich platzen. Mit vollen Backen tauchte er unter. Er zögerte nicht lange und stieß sich mit seinen Beinen nach unten. So schnell wie er nur konnte tauchte er nach unten, die Hände ausgestreckt, damit er den Grund sofort ertasten konnte. Das Wasser brannte in seinen Augen und noch immer war da nichts außer Dunkelheit und Wasser. seine Muskeln arbeiteten schwer und er befürchtete, wenn er den Grund nicht gleich fand, müsste er wieder auftauchen. Viel länger konnte er den Atem nicht anhalten. Da, Sand, etwas wirbelte ihm in seine Augen und er zuckte mit ihnen. Nicht einmal wenige Sekunden blieben ihm zum Absuchen des Grundes. Da war nichts, klar der Grund war groß und die Stelle wo er gesunken war ... woher sollte er das jetzt noch wissen? Länger war es einfach nicht möglich. Fast ein wenig panisch arbeitete er sich den langen Weg wieder nach oben. Auf dem letzten Abschnitt wurde ihm schon ein wenig schwummrig und sein Mund entließ Blasen, die sofort nach oben flüchteten. Er wünschte, er würde auch so schnell nach oben kommen.
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Der Blutschrein [2] - Lithorin
FantasyDer Elfenjunge Jiran ist seinen Verfolgern, den Nachtelfen, mit viel Glück und der Hilfe eines Katzenjägers, der Jiran nicht nur einmal sein Leben gerettet hat, entronnen. Nun kehrt er also zurück in den Alltag, in seine geliebte Elfenstadt Ryonin...