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Als Lily an diesem Morgen aufwacht, kann sie nur lächeln. Diese inoffizielle Freundschaft mit James Potter ist ein Schritt nach vorne. Vielleicht wird es schief gehen, aber dann hätte sie immerhin ihre Lektion gelernt, oder es klappt. So oder so, Lily wird sich nicht unterkriegen lassen.
Gutgelaunt geht sie hinunter in die große Halle zum Frühstück. Bisher sitzt, abgesehen von ihr, nur eine Siebtklässlerin am Gryffindortisch. ,,Guten Morgen Alice.", sagt Lily strahlend. Die Angesprochene schaut kurz auf, lächelt und nickt Lily zu, ehe sie sich wieder dem Brief widmet, den sie schreibt. Lily lässt sich davon nicht stören und widmet sich ihrem Müsli. ,,Ich gehe in die Eulerei, bis später dann.", hört sie Alice.
Als sie mit dem Frühstück fertig ist, beschließt Lily, ihre Sachen aus dem Schulsprecherturm zu holen und in die Bibliothek zu gehen, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. ,,Whoa Lily! Was wird das, wenn es fertig ist?", fragt James sie, als sie mit Pergament, Feder, Tintenfass und dem einen oder anderen Buch durch den Gemeinschaftsraum läuft. ,,Hausaufgaben, James. Solltest du auch mal versuchen.", erwidert die Rothaarige. James verzieht das Gesicht. ,,Dafür haben wir doch noch Zeit!" ,,Wenn du an einem Sonntagabend deine Hausaufgaben lieber machst, bitte. Ich für meinen Teil möchte es hinter mich bringen." James seufzt. ,,Warte kurz, ich komme mit.", sagt er. Lily zieht die Augenbrauen hoch. Doch tatsächlich kommt der schwarzhaarige Zauberer mit Pergament, Feder und Tinte runter. Gemeinsam laufen sie in die Bibliothek und setzen sich an einen der versteckteren Tische weiter hinten. ,,Was sollen wir denn als erstes in Angriff nehmen?", fragt der Schwarzhaarige. ,,Verwandlung oder Zauberkunst, würd ich sagen." James verdreht die Augen. ,,Zauberkunst ist doch nur Sprüche anwenden. Accio Verwandlungsbuch von Lily." Lilys Buch fliegt in seine Hand. ,,Fertig mit Zauberkunst.", grinst er sie an. Sie verdreht die Augen. ,,In Verwandlung sollen wir uns noch einige Dinge über Animagi raussuchen. Also was sie auszeichnet, wie man diesen Zauber im Groben ausführt und -" Doch sie wird von James unterbrochen: ,,Als erstes muss man ein Alraunenblatt für einen Monat ununterbrochen im Mund tragen. Wenn man das Blatt entfernt oder verschluckt, muss man von vorne anfangen. Das mit Speichel durchtränkte Blatt muss dann in ein Kristallfläschchen gepackt und an einen mondbeschienenen Ort gebracht werden. Daraufhin fügt man dem Fläschchen sein eigenes Haar hinzu. Dazu kommt ein Silberteelöffel Tau, der eine Woche von Menschenfüßen unberührt in der Dunkelheit verbracht hat. Die letzte Zutat ist dann ein sogenannter Totenkopfschwärmerkokon. Kennst du als Slughorns Liebling garantiert. Die Mischung muss bis zum nächsten Gewitter vollkommen ungestört an einem stillen und vor allem dunklen Ort bleiben. Bis zum nächsten Gewitter muss man zusätzlich jeden Morgen und Abend mit dem Zauberstab das eigene Herz berühren und den Spruch 'Amato, Animo, Animato, Animagus' sagen. Im Laufe der Zeit hört man dann sozusagen zwei Herzen in sich schlagen. Sind endlich die ersten Blitze eines Gewitters zu sehen, ist der Zaubertrank fertig und hat eine rötliche Farbe angenommen. Als letztes muss nochmals der Zauberspruch gesprochen werden, ehe der Zaubertrank getrunken werden kann. Erst dann erfährt man in einer echt schmerzhaften Art und Weise, welche Tiergestalt man von nun an annehmen kann. Hast mitgeschrieben?" Lily starrt ihn mit offenem Mund an. ,,Ich... ja... Aber... Wie?" ,,Interesse. Pures Interesse. Und die richtige Literatur.", antwortet James. ,,Aber... das ist doch... das war fast detailliert! Als ob du das auswendig gelernt hättest! Als ob das mehr als bloß leichte Recherche war.", stottert die Rothaarige. Wenn sie wüsste, wie aufgeregt James in seinem Inneren jetzt ist. Doch nach außen versucht er, ruhig zu wirken: ,,Also ich sehe das so, dass man Dinge leichter behält, wenn man sich aufrichtig für sie interessiert." Und das klingt für Lily so logisch, dass sie nickt und zufrieden ihre Notizen begutachtet. ,,Danke Po- ... James. Dann kann ich ja jetzt meinen Aufsatz für Professor Slughorn über den Vielsafttrank und für Professor Burnham über Dementoren schreiben." ,,Das geht doch schnell. Dementoren sind die Wärter Askabans, ernähren sich von deinen glücklichen Erinnerungen und können dir die Seele aussaugen. Sie sind groß, verhüllt und dunkel. Sie schweben. Wenn sie kommen, wird es bitterkalt. Und es fühlt sich an, als wäre sämtliches Glück davon.
Der Vielsafttrank ist ein Gebräu, dass es dir ermöglicht, die Gestalt eines anderen Menschen anzunehmen. Es dauert einen Monat, ihn herzustellen und -" ,,Danke. Ich weiß bestens über den Vielsafttrank Bescheid. Es wundert mich jedoch, dass du so viel Ahnung davon hast.", unterbricht die rothaarige Hexe ihn milde lächelnd. James lehnt sich zurück. ,,Du bist nicht die Einzige, die lernt."
Zum Mittagessen gehen sie in die große Halle. ,,Warum musst du mich eigentlich immer und überallhin begleiten, Potter?", fragt Lily, als sie am Gryffindortisch angekommen sind. James weiß, dass Lily nur wieder die Maske der Feindseligkeit aufgesetzt hat. Dennoch versetzt es ihm einen Stich. ,,Ich will nur nicht, dass dir was passiert, Evans.", sagt er darauf. Lily verzieht spöttisch das Gesicht. ,,Ich kann auf mich selbst aufpassen."
Keiner von ihnen beachtet den Tisch der Slytherins. Dort sitzt ein junger Mann, dessen fettige Haare sein Gesicht umrahmen. Seine dunklen Augen sehen traurig hinüber zu den Gryffindors. Um ganz genau zu sein zu der rothaarigen Hexe mit den grünen Augen. Severus Snape seufzt leise. Zu gerne würde er jetzt mit Lily lachen. Aber das geht nicht. Zum ersten, weil Lily ihn immer abwimmelt und ihm nicht zuhören will. Und zum zweiten, weil er sich auf die falsche Seite geschlagen hat. Er steht bei denen, die Muggelgeborene wie Lily als Abschaum betrachten.
,,He Lily, gib mir mal die Soße." Die Rothaarige reicht Mary die Soße. Zufällig begegnet ihr Blick dabei Potter, der sie betont charmant anlächelt. ,,Hast du ihm jetzt eigentlich eine Antwort gegeben, Lily?", fragt Marlene da. Lily schüttelt den Kopf. ,,Warum nicht?", bohrt ihre Freundin weiter nach. ,,Wird das jetzt ein Verhör? Kann ich nicht einfach mal in Ruhe essen?", fragt Lily verzweifelt. Sie steht auf und verlässt die Halle. ,,Hat eindeutig ihre Tage.", murmelt Marlene. Alice sieht sie tadelnd an. ,,Oder es nervt sie, dass wir immer mit diesem Thema ankommen.", erwidert sie. Auch Mary schaltet sich ein: ,,Wir sollten das Thema James Potter erstmal außen vor lassen. Wenn Lily über ihn reden will, soll sie von sich aus anfangen. Wenn wir aber", und sie schaut Marlene eindringlich ins Gesicht, ,,so weitermachen und Lily damit quälen, werden wir nie Erfolg haben." Alice nickt und Marlene knirscht mit den Zähnen. Doch auch sie fügt sich Marys Worten.
Verärgert läuft Lily durch die Flure. Kann man sie nicht einfach in Ruhe lassen? Kaum hat sie das gedacht, taucht rechts neben ihr eine Tür auf. Verblüfft starrt Lily sie an. Dann öffnet sie sie und schaut in einen gemütlichen Raum hinein. Die Wände sind beige gestrichen und im Kamin brennt ein kleines Feuer. Davor steht ein braunes Wildledersofa mit weißen Kissen und einer Fleecedecke. Lily geht darauf zu und setzt sich. Die Decke legt sie sich um die Schultern. Sie fröstelt leicht. Obwohl es erst Mitte September ist, so macht der Herbst sich schon bemerkbar. Hinzu kommt, dass Lily generell schnell zu frieren beginnt. So starrt sie einige Minuten regungslos ins Feuer und fragt sich, wie sie diesen Raum noch nie bemerken hatte können. Und dass auch noch nie ein anderer darüber gesprochen hat, macht sie stutzig.
,,Lily? Bist du noch wach?" James klopft behutsam gegen die Tür zu Lilys Zimmer. ,,Ich komm kurz rein.", sagt er leise, öffnet die Tür und schaut in ein leeres Zimmer. Das Bett ist unberührt und nichts deutet darauf hin, dass die rothaarige Hexe da ist. James stutzt. Ein Blick auf seine Armbanduhr (Ja, auch James Potter besitzt eine Uhr.) sagt ihm, dass die Sperrstunde längst eingetreten ist.
Lily hat sie Zeit vergessen. Sie schaut auf die Uhr und stellt fest, dass sie schon längst wieder im Gemeinschaftsraum sein sollte. Etwas wehmütig verlässt sie den gemütlichen Raum und macht sich auf den Weg in den Schulsprecherturm. Sie ist noch nicht weit gekommen, das hört sie eine bekannte Stimme: ,,Lily! Was machst du hier?" Sie dreht sich um. ,,Ich bin Schulsprecherin und darf durch das Schloss gehen, auch wenn ich keine Patrouillie habe. Ich kann spontan eine machen. Du jedoch... hast heute keinen Dienst. Heute waren die Ravenclaws dran. Und selbst die (hier wirft sie kurz einen prüfenden Blick auf ihre Uhr) sind schon längst wieder in ihrem Gemeinschaftsraum. Also. Was. Machst. Du. Hier?", fährt sie Severus Snape an. Doch bevor er ihr antworten kann, fährt sie fort: ,,Weißt du, Snape, das ist nicht das erste mal, dass du dich nach Eintreten der Sperrstunde im Schloss herumtreibst." ,,Lily, bitte. Lass mich mit dir reden...", fleht der Slytherin. Die Rothaarige seufzt genervt. ,,Nein, Severus. Du hattest deine Chance. Und da du weder bereit warst deinen Fehler einzusehen und dazu noch die Schuld einzig und alleine James und Black zugeschrieben hast und mich mehrmals beleidigt hast, werde ich dir keine weitere geben." Die Augen des Slytherins werden bei der Nennung von James' Vornamen groß. ,,Seit wann nennst du ihn nicht mehr Potter? Lily, bist du vollkommen durchgedreht?" Doch die Hexe schüttelt den Kopf. ,,Nur weil James ein echter Idiot ist, heißt das nicht, dass er durch und durch schlecht ist. Manchmal sollte man seine Vorurteile eben fallen lassen. Solltest du auch hin und wieder versuchen. Und jetzt... 10 Punkte Abzug für Slytherin. Und das ist immer noch nett. Geh in deinen Schlafsaal. Und bleib da!", sagt Lily mit harter Stimme und dreht sich zum gehen. Severus schaut ihr kurz traurig hinterher, ehe auch er den Weg zu seinem Gemeinschaftsraum einschlägt.
,,Da bist du ja!", wird Lily von James begrüßt, als sie durch das Porträtloch steigt. ,,Wo warst du?" ,,Frag mich morgen nochmal. Ich zeige es dir dann.", sagt sie jedoch nur. Sie wird James morgen diesen Raum zeigen. Und sie wird die kleine Konversation mit Snape ihm gegenüber verheimlichen. Sie wünscht dem Schwarzhaarigen eine gute Nacht und geht dann die Treppe hinauf und in ihr Zimmer.

der Hirsch, der mich das lieben lehrteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt