{ 6 } Genau wie Alice { 6 }

14 3 0
                                    

4. Juni, Moosebene;  Liam

Es war umwerfend. Grünes Gras wehte im Wind, bis unser Sichtfeld endete. Ein Berg glänzte östlich in einiger Ferne und hin und wieder war ein kleines Städtchen, vielmehr ein Dorf zu erkennen. Wir standen erhöht, auf einem Felsvorsprung, der mitten aus dem Boden empor ragte unter so vielen weiteren. Die Ebene war übersät von solchen, Klippen an Land, alle zeigten sie zur Linken, Richtung Westen. An ihren Wänden waren die Felsen scharf, als hätte man die Vorsprünge  aus dem Boden gerissen. Ein gepflasterter Weg begann einige Meter von unserem Standpunkt entfernt und führte zu einem kleinen Dorf. Die Luft umwehte uns angenehm kühl und linderte den Schmerz, der auf einen Schlag wieder anfing zu pochen. „Oh fuck, tut das weh.", knirschte ich und sank wieder zusammen. Der Wind würde nicht ausreichen, um meine Wunden vergessen zu machen. Nunja, vermutlich hätte nicht einmal ein Eisbad geholfen. Eis. Nichts, woran ich gerade denken wollte, es würde mich unangenehm an den Kerl von eben mit seinem eiskalten Blick erinnern. „Gehts?", fragte mich meine Schwester besorgt. „Nee. Alles super. Ich wär nur fast gestorben. Zweimal an einem Tag! Das ist ne neue Höchstleistung!", holte ich sarkastisch aus. Sie half mir hoch ohne es weiter zu kommentieren. „Es stimmt.", faselte sie dafür vor sich her, „Wir sind nicht mehr auf der Erde."
„Ja, das kannste laut sagen.", sagte ich so gut es ging, während wir Beide versuchten den Hang hinunter und zu dem Pflasterweg zu gehen.
„Es ist genau wie Alice..", ich wusste, was Felyx meinte. „Schon, nur kann ich mich nicht dran erinnern, dass die bei ihrer Ankunft im Wunderland fast abgestochen wurde."
„Ja ok, aber du musst es so sehen, wir sind einfach so in deren Haus oder Vorraum oder was reingefallen."
„Ach klar, also ich weiß ja nicht, wie ich reagieren würde bei einem Einbrecher, aber auch wenn der wirklich, aus bösen Absichten, bei mir einbricht, dann würde ich den auch sicher nicht gleich abmurksen!", regte ich mich über Traeder auf.
„Hier herrschen vielleicht andere Regeln. Wer weiß, ob es hier überhaupt eine Polizei oder so gibt."
„Mhm.", grummelte ich, „immerhin wirkte der Junge ganz nett. Sonst wüssten wir ja nicht mal, wo wir hier sind."
Meine Schwester war Owlgamer bezüglich anderer Meinung: „Junge? Ich würde sagen, das war ein Mädchen. Jetzt halt keine Tussi in pink, aber trotzdem. Ich würde sagen, sie ist einfach noch ein Kind, weswegen man nicht ganz erkennt, welches Geschlecht. Wenn sie überhaupt einen Unterschied bei den Geschlechtern haben, ich meine, scheinbar sind wir als Menschen ja irgendwas besonderes hier."
„Stimmt auch wieder. So oder so hatte... sie seltsame Augen. Die Farbe und auch noch so grell. Und die Pupillen erst!"
Mein Zwilling nickte zur Zustimmung heftig, „Und die Namen. Ich meine, Traeder? Das hab ich noch nie gehört und Owlgamer.. Es könnte ja eine eigene Sprache sein, aber Owlgamer ist definitiv englisch, wenn auch keine richtige Vokabel."
„Denkst du, das hat was mit der ersten Welt zu tun, von der Papa in seinen Geschichten geredet hat?", warf ich dazwischen, weil die Frage in meinem Kopf jedmögliche Antwort in den Hintergrund stellte.
„Hm, kann sein. Aber woher soll er das hier denn gekannt haben? Wenn er hier gewesen wäre, dann hätte er doch nicht wieder zurück gekonnt. Und er kam schließlich immer wieder.". Fast. Doch auch diesen Gedanken machte Felyx zunichte, als sie fortfuhr: „Außerdem hieß er Sebastian Schroeder, ein ganz normaler, menschlicher Name. Er war selbst ganz normal und hat auch nie was gesagt. Er hätte uns bestimmt nicht verheimlicht, wenn er von so einem wortwörtlich märchenhaften Planeten, oder was auch immer das hier ist, käme. Er hätte uns bestimmt mal mitgenommen.". Das war einleuchtend. Zu dem Loch hatte er auch nur gesagt, wir wüssten nicht, was da unten ist und deshalb wäre es gefährlich. „Aber was sollen wir denn jetzt machen? Ich bin zwar nicht scharf drauf, zurück auf die Erde zu gehen, dafür sieht es hier eigentlich besser als dort aus, aber trotzdem will ich hier nicht auf der Straße verenden. Oder die Hand abgehackt bekommen, weil ich am Ende Jemanden falsch anspreche, ich hab ja keine Ahnung von den Sitten hier."
Meine Schwester zuckte mit den Schultern, zuckte daraufhin mit der Linken vor Schmerz zusammen. „Ich doch auch nicht. Aber lass es uns doch einfach rausfinden."
Von meinem schleppenden Gang und dem eher gesenkten Blick, um nicht von der Sonne geblendet zu werden, hatte ich bloß die hellen Pflastersteine unter meinen Füßen vorbeiziehen sehen. Als ich aufschaute, sah ich auf einen kreisrunden Platz, mit denselben Steinen bedeckt. Kleine Häuser, Bungalows höchstens, umzingelten den auch einfach gehaltenen Springbrunnen in der Mitte. Keine bunten Farben oder Beton wie in der unterirdischen Wohnung, die wir als erstes gesehen hatten. Es sah den Fachwerkhäusern auf der Erde ähnlich, nur hatten sie weniger Balken. Seltsame Kreaturen wandelten auf dem Platz, kamen aus den Häusern oder betraten diese. Viele waren es nicht, weder Häuser noch Wesen. Wenn es hinkam waren es grade einmal 30 Gebäude. Geradeaus war nichts gebaut, dort standen Kutschen und Planwägen, zwei der drei hatten nichts davor gespannt. Alle um uns herum hatten ähnliche Größen, es gab Mütter mit Kindern oder gleich ganze Kleinfamilien. Herren, Damen und Undefinierbares. Aber wenige von ihnen sahen uns ähnlich. Ein Großteil der Passanten lief zwar auf zwei Beinen, doch sahen sie aus wie Katzen. Oder Schweine oder Hunde. Alle mit menschlicher Statur und Proportion. Manche sahen wiederum aus wie Menschen, manche von denen hatten aber auch wieder Hörner auf dem Kopf und viele trugen Gewänder, Roben. Nur eine Hand voll Personen hätte man zwischen eine Gruppe Menschen setzen können, ohne dass sie aufgefallen wären. Wir glotzten die Leute unangenehm an, doch selbst erhielten wir auch schockierte Blicke. „Ich fürchte, Menschen sind hier ungern gesehen..", flüsterte ich Felyx zu. Diese tuschelte nur trocken zurück: „Nicht unbedingt. Ich würd eher sagen, die sind von deinem verbluteten T-Shirt geschockt.". Oh. Das war gut möglich, da die Blicke auch eher auf mich fielen. Wir Beide stolperten auf dem überschaubaren Platz umher und waren ratlos. Schon das kleinste Dorf überforderte uns und wir wussten nicht, wohin wir schauen sollten. Owlgamer wirkte plötzlich unfassbar normal auf mich.

„Was sucht ihr?", vernahm ich eine höhere, doch männliche Stimme hinter meinem Rücken. Ich drehte mich um, sodass meine Schwester und ich in dieselbe Richtung schauten:
Zu den drei Wägen. Genauer gesagt der einzelne Planwagen, vor den etwas gespannt wurde. Von jenem Ort kam die Stimme, die eindeutig uns Beide gefragt hatte. „Kann ich euch helfen?", fragte es nämlich gleich wieder von dort.

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt