1. des Sonnenfrischenhauchs| Juli, Handelskreuz; Felyx
„Ich muss ihnen helfen!"
Das Schuldgefühl fraß sich meinen Rücken empor, Angst kroch in mir hoch und vor Nervosität kribbelten meine Füße, aber ich konnte nicht zulassen, dass mein Bruder stirbt und die Einwohner von Handelskreuz noch dazu. „Ich versteh es ja, aber was willst du tun? Clairy ist zu stark und du kannst sie nicht mit einem Zahnstocher besiegen!", versuchte Aristomeles mir meinen Gedanken auszutreiben. Katha schloss sich dem nur an: „Er spricht die Wahrheit, die Dolche deines Bruders zu erreichen ist ungesehen unmöglich und Glaive kann Niemand außer Traeder halten, geschweige denn führen. Es ist eine göttliche Waffe!"
Mein Blick sprang zu der Hexe, die Liam spottend ansah, umgeben von vor Panik starren Dorfbewohnern und einem sich noch immer windenden Traeder. Für den Bruchteil einer Sekunde sackte ich innerlich zusammen und gab nach, gab ihn auf, doch dann beugte Clairy sich zu ihm herunter. Sie duckte sich über ihn, sah ihn so verächtlich an, sie hatte wohl überlegt, auf ihn zu spucken. Ein Funken Wut in mir brauste auf und ohne weiter nachzudenken raste ich aus der Deckung hervor. Die beiden Händler hinter mir reckten sich noch, streckten sich nach mir, doch konnten mich nicht auch nur berühren, als ich ihnen noch zurief: „Waffen werden doch eh überbewertet!", im Wissen, wie dumm das war. Aber diesmal war ich an der Reihe, meinen Zwilling zu retten, wie er es auch improvisiert getan hatte. Ich hatte die junge Frau fixiert, rannte die kurze Strecke zu ihr, um so viel Anlauf wie möglich zu nehmen und sprang ab, gerade als sie aufschaute. Den Ellbogen vorgehalten traf ich sie wie gezielt im Gesicht und stieß sie von Liam weg. Wir Beide schlitterten ein bisschen über das Pflaster, was mir die Knie aufschürfte. Kiesel blieben in meiner Haut hängen, doch das sollte der geringste Schmerz bleiben. Noch in der Umdrehung warf mich Clairy zu Boden, mein Hinterkopf schlug dumpf auf dem Stein auf und es pochte in meinen Schläfen. Finger umschlossen meinen Hals und pressten dagegen bis der Boden als Gegendruck fungierte. Ich versuchte zu schlucken, doch der Speichel rann bloß aus meinem Mundwinkel, die wenige Luft, die ich schnappen konnte brannte heiß in Rachen und Lunge. Es war unmöglich auszuatmen, aufgebläht lag ich am Boden, Clairy würgte mich nur noch fester ohne erkennbare Mühe. Es wurde anstrengend, den Blick aufrecht zu halten und so fiel er zur Seite, wo er die silbern glänzende Klinge erspähte. Kaum eine Armlänge entfernt befand sich der angeblich göttliche Degen, unberührt, kein Tropfen Blut bedeckte ihn. Ohne an Kathas Worten zu hängen, ohne an sie zu denken nutzte ich die letzte Kraft in meinen Muskeln, zuckte mehrmals mit dem rechten Arm, dann, in einem Ruck, zerrte ich ihn zur Seite, umfasste den kalten Griff der Waffe und hob ihn noch in der selben Bewegung. Leicht. Eine Feder, eine Daune hätte ich halten müssen um dem gleich zu kommen, wie der Degen sich in meine Handfläche schmiegte und als hätte man mir den Hieb gezeigt, beigebracht, stieß ich zu.
Die Spitze bohrte sich mitten in die Brust der Hexe, bis sie durch ihren Rücken wieder herausstach. Der Griff um meinen Hals lockerte sich, die Augen der Angreiferin wurden hohl. Die letzte Emotion, die sie widerspiegelten, war das Entsetzen über den Gnadenstoß.
Schlaff fiel sie zu Boden, reflexartig rollte ich mich zur Seite und Zentimeter neben mir klatschte sie auf, das Gesicht voraus. Blut quoll aus der Wunde, die bis eben noch durch Glaive verschlossen wurde. Hastig setzte ich mich auf um der stetig wachsenden Lache zu entkommen. Kein Laut war auf dem Platz zu vernehmen. Ähnlich wie ihre Erschafferin lösten sich die Ranken um Traeder, färbten sich braun und verschrumpelten, bis das verwelkte Gewächs zerfiel. Schritte. Schnelle Schritte und dann fiel Liam neben mir auf die Knie, mit demselben verdutzten Gesichtsausdruck wie alle anderen Anwesenden. „Sie ist tot.. sie ist tot!", wimmerte ich. Ich hatte Jemanden umgebracht. Scharf sog ich die Luft ein, mein Rachen brannte noch immer, untermalt von einem Röcheln. Ich hatte was Gutes mit dieser Tat vollbracht, redete ich mir immer und immer wieder ein, bis ich mich ein wenig beruhigt hatte.
„Wie ist das möglich..", nuschelte es. Liam, der mich gerade noch tröstend, aber doch erfreut, angeschaut hatte schaute auf. Traeder stand wieder und war mit Owlgamer an seiner Seite zu uns getreten. Mein Blick wanderte von dem Kopfgeldjäger nun zu dem Degen in meiner Hand. Jetzt war die Klinge rot verschmiert, Blutstropfen rannen an dem zierlichen Korb entlang. Der Handschutz über dem Griff bestand aus einem unter dem Rot hervorschimmernden Metall, nur dass sich die einzelnen Linien kurvig umschlungen. Keine einheitliche silberne Glocke, sondern wie Schlangen, wie die eben noch bedrohlichen Ranken wanden sich die Metalllinien umeinander. Jetzt erst wurde mir bewusst, wie besonders meine Tat eigentlich war. Nicht unbedingt, weil ich die Hexe getötet hatte. Sondern weil ich sie mit Glaive getötet hatte.
Ich brachte aber kein Wort hervor, Schock und Unklarheit waberten in meinem Kopf. „Äh.. ich äh. Ich hab keine Ahnung, ich äh..."
Hinter uns waren zwischen den neugierigen Dorfbewohnern nun auch zwei altbekannte Gesichter aufgetaucht. „Ja, die ist aus dem Leben getreten.", maunzte es nur. Mit einem Gehstock, den er meistens nicht mal benutzte, stupste Katha die Leiche an. Er war seltsam ruhig, nicht wie zuvor, wenn wir uns in Gefahr gebracht hatten. „Die Beiden können wirklich schon äußerst gut... sie sind schon ausgesprochen gut darin, sich zu verteidigen, dafür dass sie nie einem anständigen Training unterzogen wurden. Nachdem Felyx losgelaufen war, hatte ich mir bereits gedacht, dass sie es irgendwie schaffen werden."
Traeder wirkte ungläubig und versuchte, es abzustreiten. „Nein, man kann nicht aus dem Nichts heraus kämpfen. Du weißt einfach nichts von der Kampfkunst, geschweige denn dem Fechten."
„Oh, die Zwillinge! Die Zwillinge! Und schon wieder seid ihr die Rettung in der Not!", mischte sich ein weiterer Bekannter ins Gespräch ein. Bevor Igor noch etwas sagen konnte, trotze der kleine graue Kater wieder dem Mann: „Genau, die Beiden haben sich nämlich dem Wölf angenommen, der Igor Probleme bereitete. Sie haben sich als Köder präsentiert und ihn schließlich aus dem Nichts heraus angegriffen und besiegt. Also haben sie somit sogar im doppelten Sinne "aus dem Nichts heraus" gekämpft."
Wir genossen den leichten Spott, der in Kathas Stimme mitschwang, als er mit dem Mann redete, der uns so harsch empfangen hatte. Dieser musste im Stummen wohl knurren, seinem Gesicht nach zu urteilen. War es ihm etwa peinlich, weil er sich eigentlich um beide Fälle hätte kümmern sollen?
Doch die Sicherheit, in der wir uns wiegten, wurde von dem, der sie aufgebaut hatte sogleich wieder zerstört. „Traeder, ich möchte keineswegs an deinen Fertigkeiten zweifeln, du hast uns schon dutzende Male gerettet und bist zweifelsohne ein herausragender Fechter. Daher auch meine Frage: Die Zwillinge sind nun seit Beginn des Sonnenfrischenwuchs bei uns, laut ihren Erzählungen seit dem Tag, an dem du sie vor die Tür gesetzt hast, mit dem Vorwand, Menschen hätten in unserem Munterris nichts verloren. Doch wird außer dir Niemand dazu im Stande sein, die Bedingungen zu erfüllen, um die Himmelspforten zu öffnen und die Beiden zurück zu bringen. Es ist wahrlich eine wundervolle Zeit mit den Zweien, doch können Aristomeles und ich ihnen nicht genug Unterricht und Schutz bieten, wovon ich weiß, dass du es kannst. Zumal wir bald weiter in den Norden ziehen müssen."
„Und was ist da jetzt deine Frage?", grummelte der Angesprochene mit derselben unguten Vorahnung wie wir. „Weniger eine Frage als vielmehr eine Bitte - würdest du Liam und Felyx bei dir aufnehmen? Du kannst ihnen am besten beibringen, in Munterris zu leben, so viel wie du schon davon gesehen hast. Ihr, Owlgamer ebenso."
Traeders Antwort war nichts neues: „Die Beiden sollten nicht hier bleiben, sie gehören zurück auf die Erde."
Katha verzog das Gesicht für einen Moment verdrießlich, dann passte er seine Aufforderung an den Kopfgeldjäger an: „Traeder, dann nimm die Beiden bei dir auf, bring ihnen bei zu überleben und öffne die Himmelspforten. Wir würden es wünschen, sie wiederzusehen und stehen immer zur Hilfe bereit, doch wir können trotz unserer Erfahrung nicht die Wissbegierde der Zwei stillen und ihnen nicht einmal ein stabiles Dach, ganz zu schweigen von Abwehr bieten. Wenn du nach Jahren immer noch dieser verbitterten Ansicht bist, dass die Spezies der Menschen nichts auf unserer Welt zu suchen hat, dann hilf ihnen zurückzukommen. Aber wehe dir, du tust ihnen etwas. Jeder kennt dich für deine Kälte, doch genauso weiß jeder die Hilfsbereitschaft und Güte dahinter zu schätzen, also lass diese auch jenen Menschen zukommen."
Die Bestimmtheit in der Stimme des Händlers haute uns alle um, es war ungewohnt von ihm. Es klang trotz seiner Bitte nicht danach, als ob er uns loswerden wollte. Angst klingelte in seinem Unterton, fast ungehört, doch eben nur fast. Er hatte Angst, uns nicht das bieten zu können, was wir brauchten.
Die Dringlichkeit mit der er sprach schien Traeder überzeugt zu haben. Grob riss er mir seine Waffe aus der Hand. „Nun gut. Ich will deiner Bitte nachkommen.", kritisch beäugte der Kleine den Mann. „Und ja, ich werde ihnen nichts tun und versuchen, so gütig oder was du meintest, wie möglich zu sein. Was nicht heißt, dass ich sie verhätschle oder ihnen irgendeinen Luxus geben werde."
Widerspenstigkeit funkelte in seinen Augen, er wollte uns nicht da haben. Wir waren wie zwei Hunde, die man einem Katzenliebhaber angedreht hatte. Köter. So hätte er uns wohl gerne bezeichnet.
Wir holten nur die wenigen Sachen, die wir besaßen, bevor wir zu unseren neuen Besitzern gingen. Traeder hatte sich schon grimmig umgedreht, wir waren auf dem Sprung, ihm zu folgen. Doch wir drehten noch einmal um und fielen den beiden Händlern um den Hals. Katha schnurrte, als er versuchte mit seinen kurzen Armen meinen Bruder und mich zu umarmen. Aristomeles hielt die Hufe, die seine Hände ersetzten vorsichtig neben uns. Obwohl sie um unsere Abgabe gebeten hatten fiel auch ihnen der Abschied scheinbar schwer. Schwer atmete Aristomeles aus, die Augenbrauen hingen ihm bekümmert im Gesicht. Ebenso kuschelte sich der kleine Kater an uns, so wie wir an ihn. Wir rissen uns, die scharfen Blicke von Traeder im Nacken spürend, von den Zwei los. Doch wir lächelten allesamt. „Auf Wiedersehen.", wünschten sie uns und wir wünschten es uns von den Göttern. Das Lächeln auf unseren Lippen war unerklärlich, ein Versuch, die schweren Herzen zu verbergen.
«Ich wusste doch, dass wir uns wiedersehen würden.», grinste Owlgamer schelmisch und brach damit die angespannte Atmosphäre. „Ja..", murmelte Liam, „und ich hab's befürchtet."
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Im Auge des Juwels - Verborgene Welt
FantastikKatzen mit der Statur eines Menschen, Drachen mit Pferdekopf und junge wie vor Alter graue Magier schlendern über den Dorfplatz, den man durch die Fenster erkennt. In einem der Räume des kleinen unterirdischen Hauses hängt eine grüne, weiß bestaubte...