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22. des Sonnenhauchs| Juli, Klifffang;  Felyx

Das Gras in der kleinen Stadt war plattgetreten und an einigen Stellen ganz herausgerissen, von der vorderen Spitze des Kliffhanges aus, so hießen die Felsvorsprünge, konnte man zwei kleine Seen erkennen. Wir liefen an vielen Häuschen vorbei, solche wie sie in Handelskreuz auch standen, aber auch an welchen, mit zwei Stockwerken. Und genau nach dieser Art von Haus hielten wir Ausschau, das waren nämlich die Gasthäuser mit Nachtkemmern. Das waren Zimmer, die man für eine Nacht mietete. Und all das an Wissen warf Owl von der Seite in unsere Gespräche ein. Im Gegensatz zu dem kleinen Dorf, in dem wir zu Beginn unserer Reise waren, herrschte hier ein reges Treiben auf dem Platz, trotz des nahenden Abends bummelten kleine Gruppen durch die Reihen und Einzelne hasteten, um sich in ihre Häuser zurück zu flüchten.

„Hast du es schon gehört?"
„Schrecklich, einfach nur schrecklich."
„Aber was soll denn jetzt passieren?"
„Diese Verderbnis? Wegen der gehe ich überhaupt erst so früh heim."

Es wurde viel getratscht, ein unruhiges Tuscheln wie von üblen Gerüchten wanderte durch die Menge, als fürchteten sie einen ungebetenen Mithörer, einen, den man fürchten musste.
«Ou, Tempelsberg..», hob Owlgamer an, die selbst einige Sorgen aufgeschnappt hatte. „Was ist denn?", hakte mein ebenso neugieriger Zwilling nach. «Naja, du hörst es ja selbst, wie sie alle davon reden, dass Tempelsberg von Blutrausch befallen ist. Aber wollen wir mal hoffen, dass das nur Gerüchte sind. Da wollen wir nämlich morgen hin.»

„Ooowl, wir haben eine Nachtkemmer gefunden!", rief es von dem aufgeregt winkenden Igelchen zu uns rüber. Das Haus gliederte sich unter all den Anderen perfekt ein, stach nicht heraus und wäre von mir wohl nie als Pension erkannt worden.
Ein Knurren störte den rauschenden Fluss an Getratsche. Keiner der sich Umhertreibenden schien es wahrgenommen zu haben, doch bei uns sorgte es für Anspannung. Ein stechendes Gefühl von Unwohlsein sprang wie ein Floh von einem auf den Anderen über und wir fünf schauten einander skeptisch an.

«Ey, seid ihr auch so am Verhungern wie ich?»

„Ja„OhGottundwie"Daskannstdulautsagen„Undob„MeinMagenklingtschonwieeinWölf", brachen wir restlichen vier gleichzeitig in heftigem Bejahen aus.
Und so zögerten wir keinen weiteren Moment die freien Zimmer zu besetzen und uns auf das angebotene Abendessen zu stürzen. Der Hunger trieb Liam und mich dazu, alles zu probieren, was vor unseren Tellern serviert war, auch wenn wir fast nichts kannten, bis Owlgamer weiter erklärte, zum Glück nachdem sie ihr Essen runtergeschluckt hatte:
«Das da sind Tornadschos mit Hurrican Füllung, da ist Riffelsalat mit Walnussschnecken und das da sind Octomuh Fleischspieße. Ach und der Nachtisch da sind Zuckerbrötchen, aber esst die besser nicht, vor allem die mit Zimt und Zucker.»
Das Strumgebäck, wie die Tornadchos und Hurricanfrüchte hießen, hatte seinen Namen von der Form beziehungsweise der Saison. Ein knuspriges Teigteilchen in der Form eines Strudels, bis zum Rand gefüllt mit einer rosa-rötlichen Marmelade, hergestellt aus Früchten, die in der Hurricane Hochzeit wuchsen und die Form von kleinen Kannen hatten. Es schmeckte unfassbar süß, was das deftige Gebäck angenehm kompensierte.
Der Salat sah aus wie ein ganz normaler Feldsalat und schmeckte auch so, die Blätter grün und braune Stückchen wie von Nüssen darunter.
Und das Fleisch hätte ich niemals von normalem Rindfleisch unterscheiden können, hätte Owl nicht erklärt, dass das Tier "Octomuh" hieß, was wir allerdings nicht kannten.
„Und wieso sollen wir keine Zuckerbrötchen essen? Was ist an faustgroßen Teigkugeln schon so schlimm? Die sehen eher total süß aus, also nicht zu viel okay, aber gar nicht?", fragte Felyx, die sich wohl ähnlich wie ich auf einen leckeren Nachtisch gefreut hatte.
«Oh ja, und wie süß die sind. Der Teig ist weich, aber es sind einige winzige Zuckerkristalle eingebacken worden, woher die Süße kommt. Manche davon haben eine Füllung, mmh... ah, die da.», sie zeigte auf drei zu einer Pyramide gestapelte Teilchen, durch die ein leichter Orangeton hervorschimmerte. «Die dürften mit Munderinen gefüllt sein. Von mir aus könnt ihr die haben, ich mag Munderinen nur so oder als Saft, aber als Marmelade kann ich sie gar nicht ab.»
„Nah, für mich auch nicht, danke... Ich mag Mander.. äh Munderinen nicht so.", äußerte ich meine Abneigung, da Munderinen exakt dasselbe waren wie Manderinen, nur dass sie eben in Munterris wuchsen anstatt auf der Erde. „Und was ist jetzt mit dem Zimt und Zucker? Das ist sowohl hier als auch auf unserem Planeten doch dasselbe, wir haben ja schon Pfannkuchen damit gegessen.", harkte mein Zwilling auf der Suche an ein Dessert zu gelangen weiter nach. Die unbekannten Füllungen wollten wir uns nicht zumuten, auch wenn Owlgamer uns bei den abendlichen Kühlschrankplünderungen eine Menge über munterrische Gerichte und Zutaten erzählt hatte. Eigentlich war das alles, was wir von ihr intensiv beigebracht bekommen haben.
„Naja, Traeder hat euch eh nicht wirklich ins Herz geschlossen und.. Zuckerbrötchen mit Zimt und Zucker sind sein absolutes Lieblingsessen. Und wenn wir eine Neuner Packung von denen haben bekomme ich nicht einen davon zu sehen, mit dem Kerl kannste echt nicht zum Bäcker.», klagte uns die junge Munterrerin ihr Leid von dem reservierten Nachtisch. Doch wir Zwei verstanden und ließen die Gebäckteilchen unbeachtet, mein Leben war mir diese Süßigkeit dann doch nicht wert.
Dass Traeder uns aber kein Stückchen traute merkte man daran, dass er zuerst unfähig war auf Igelchens Frage zu antworten: „was ist eigentlich dein Lieblingsessen von der Erde?"
Der Angesprochene wirkte ertappt, als wir auf die Frage hin alle unsere Blicke zu ihm wandten, während er grade versuchte mit einem Finger das ganze Zuckerbrötchen in den Mund zu stopfen. Als er dieses Ziel erreicht hatte sah er aus wie ein Hamster. Ein Hamster mit Zimt und Zucker an den Mundwinkeln. Er schlang den Nachtisch schnell herunter und wischte sich beim Antworten mit der Hand über den Mund: „Ich weiß nicht sicher.. aber ich denke Pfannkuchen."
„Mit Zimt und Zucker?", doch die Nachfrage des Kleinen erklärte sich von selbst.
„Aber es gibt viel an Essen auf der Erde. Es gibt auch viel deftiges, das gut schmeckt. Zum Beispiel Nudelauflauf oder Kürbissuppe. Und wenn Jemand krank war haben die Anderen von uns ihm immer Gemüsesuppe hinterhergeschmissen, als wäre es Opeme zum Essen."
Wir waren etwas erstaunt, als der Mann eine kleine Liste irdischen Essens runterratterte. Owlgamer bemerkte unsere verdutzten Blicke und übernahm wie immer die Aufgabe des Erklärens, da Traeder selbst nicht mit uns sprach. «Traeder war früher ständig auf der Erde, Marie und so halt.»
„Ja, und von der Erde kommt auch der Vorrat von deinen Zuckerbomben Cornflakes.", warf er dann doch ein.
„Aah, klar. Die Cookie-Oh's, die haben wir ja auch auf der Erde ständig gegessen."
Doch Felyx hakte ein um mich zu korrigieren: „DU, Liam, du hast sie ständig gegessen."
Owlgamer und ich wechselten ein breites Grinsen, über das meine Schwester nur leicht lachte. Igelchen wollte noch einen halben Tornadcho haben, für dessen andere Hälfte ich mich aufopferte. Das war nicht meine beste Idee gewesen, weil wie hungrig ich zuvor auch gewesen war, als wir kurz nach dem Abendessen schlafen gegangen waren lag mir das ganze Essen doch schwer im Magen.

23. des Sonnenhauchs| Juli, Pension in Klifffang;  Liam

Unsere Gruppe stand am Tresen des Empfangs, wo Traeder mit dem Wirt gerade den Preis für unser üppiges Essen und die Übernachtung ausdiskutierte, was ein Weilchen dauerte. Dabei hatte sich Owlgamer extra zurückgehalten und kein Geschirr gegessen.
„Okay, dann sagen wir halt 112 Kroken.", ohne weiteren Widerspruch zahlte Traeder.
„Gute Weiterreise dann noch. Wohin gehts denn?"
„Wir gehen nach Tempelsberg! Wir gehen zum Tempel!", rief der kleine Igel von den Schultern Owlgamers zu dem Wirt. Dadurch, dass Owlgamer gerade mal 1,41 Meter groß war und Igelchen noch kleiner, kam er so nicht mal an die Größe von Traeder ran. Es reichte gerade so um meine Höhe zu erreichen, wobei ich auch nur einen Kopf kleiner war als der Kopfgeldjäger. Felyx nahm sich nicht die Gelegenheit anzumerken, dass sie einen Zentimeter größer war.
Der Gesichtsausdruck des Wirtes verzog sich zu einem erschrockenen Mitleid. „Oh Kinder, auf dass Kreāt euch beschützt. Ich weiß nicht, ob ihr es schon gehört habt, aber Tempelsberg ist komplett verdorben. Ich hatte Reisende hier, die mir von einem gewaltigen Blutrausch erzählt haben, der den Tempel bedeckt."
Ich schaute etwas unsicher zu meinem Zwilling, wofür setzten wir diese Reise fort, wenn das Ziel im Unheil lag?
„Danke, aber wir schauen lieber selbst. Der Weg ist nicht mehr weit und unsere Beweggründe sind von besonderer Natur. Wir wünschen dir noch einen schönen Tag."
Das Nicht-vorhanden-sein von Nachnamen und damit verbundenem Siezen verwirrte mich immer noch etwas.

Skeptisch, aber von Traeder angetrieben liefen wir zügig durch das Dorf mit dem Ziel, es zu verlassen. Was wir auch taten, die Berichte der Bewohner hinter uns lassend.
«Ich weiß ja echt nich wie der Kerl es sich vorstellt, dass wir nichts davon gehört haben sollen. Die reden ja alle von nix anderem.», sprach Owlgamer den Gedanken aus, der mir schon durch den Kopf gewandert war, als ich es gehört hatte.
Der Weg sah dem, den wir gekommen waren identisch, grüne Gräser, emporgerissene Kliffhänge und der Wind begleitete uns, ebenso wie das nicht schwinden wollende Gefühl von Mulmigkeit.
Ein Gefühl, das sich je näher wir dem schon sichtbaren Berg kamen, immer mehr zu einem richtigen Unwohlsein ausbreitete, ein Nagen, das meinen Brustkorb füllte und ein lauwarmer Schatten, der sich auf meinen Nacken legte, wie es sich neulich angefühlt hatte, als ich die Dolche aus dem Blutrausch gezogen hatte. Schritt für Schritt wurde es schlimmer, zu einer erdrückenden Last, die nicht verschwand, als wir stehen blieben. Es drückte meinen Kopf nach unten, den Blick zu Boden und erschöpft stämmte ich mich auf meine Knie. „Alles in Ordnung Liam?", fragte meine noch fitte Schwester besorgt. Ich nickte, fragte mich im Stillen aber, wieso nur ich so ausgepowert war. Die letzten Schritte ging ich schlurfend, zusammengekrümmt und stets so als wäre ich die Strecke gerannt.
«Ach du scheiße.», entfuhr es Owlgamer, ohne Rücksicht auf den Sechsjährigen auf ihren Schultern. „Es stimmt.. die Gerüchte sind wahr..", hörte ich auch Felyx murmeln. Um mir ein eigenes Bild von dem Schreck der Anderen zu machen stützte ich mich auf, hievte meinen schweren Kopf nach oben und sah auf das erreichte Ziel vor uns und Tatsache:
Es gab ein kleines Problem.

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt