18. Juni, Moosebene; Felyx
Liam fuchtelte mit seinen Dolchen in der Luft herum. Hätte er ein existierendes Ziel gehabt, hätte es vermutlich sogar wie kämpfen ausgesehen. Seit er die Klingen aus dem Blutrausch gezogen hatte war er fest davon überzeugt, zu lernen damit umzugehen. Ich war gespannt, wie lange dieses Interesse vorhanden sein würde, aber vorerst machte es Spaß, ihm zuzusehen. Ich hätte auch gerne gelernt, wie man kämpft, aber das sollte ich nie. Ein heftiger Schlag traf die böse Luft sicherlich an der Seite. Doch Jemand anderes schien sie besser angegriffen zu haben. Ein Zischen, ein Pfeifen lenkte uns Beide ab, unsere Blicke gen Himmel. Eine bunte Schlange aus Funken schoss über unseren Köpfen hinweg, gefolgt von noch einer und noch einer. Eine weitere schlängelte sich in einer Schraube vorbei und eine Rakete explodierte in einem bunten Schauer. „Ein Feuerwerk?", murmelte Liam, „warum denn das?". Ich hob nur ahnungslos die Schultern. „Komm, wir gehen Katha fragen.", forderte er mich also auf. Bevor wir losgingen steckte er die Dolche in zwei dazugehörige Hüllen, die er künstlerisch an dem Bund seiner kurzen Jeans befestigt hatte. Katha hatte sich erinnert, dass er die zwei Dolchscheiden in seinem Gerümpelkorb unter dem Planwagen hatte und sie passten exakt zu den zwei Klingen.
Wir kamen gerade beim Planwagen an, der mitten auf der Wiese neben einer der Klippen stand, die beiden Händler knieten davor.„Meine Götter, in dem Namen, der mir gegeben wurde möchte ich euch danken. Für die Sonne, die auch zu dieser Sonnenfrische wieder aufstieg. Für das Licht, das wir ab nun genießen dürfen. Jeden Moment des Lichtes möchte ich ehren und sobald es wieder versunken ist, möchte ich es erwarten. Ich danke euch Göttern, für das Licht, das die Sonne unseren Monden gab, für die erhellten Nächte. Meine Götter, meinen Namen will ich euch geben, um ein Licht anzuzünden, ich erbitte euch, erhört meinen Wunsch."
Wir standen nur daneben, während die Zwei unisono offensichtlich ihren Göttern gedankt haben. Dennoch waren wir nicht wenig verwirrt, da wir in der Zeit, die wir mit ihnen verbracht haben nicht einmal mitbekommen haben, dass sie beten oder ähnliches. Als sie die Augen wieder geöffnet hatten und aufstanden, platzte ich gleich mit meiner Frage heraus: „Was ist los? Ist irgendein besonderer Tag?"
Katha lächelte und warnte uns vor: „Setzt euch besser hin, das könnte etwas mehr zu erzählen sein.".
Mein Bruder und ich wechselten kurze Blicke, dann gingen wir zusammen mit unseren Begleitern den Vorsprung hinauf und setzten uns an die Kante, Aristomeles legte sich dazu. Es war bereits spät, die Nacht war bereits angebrochen, doch man konnte alles klar erkennen. Keine einzige Laterne leuchtete, es standen überhaupt keine in Handelskreuz, geschweige denn mitten in der Moosebene. Doch wie in ihrem Gebet angesprochen standen neben unendlich vielen Sternen zwei Monde am Nachthimmel, einer kleiner als der Andere, standen sie dicht nebeneinander. Sie strahlten so hell, dass der Himmel zwar ein dunkelblau trug, doch jede Gestalt war zu erkennen und wenn auch gedämpft konnte man die Farben bestimmen. Die Monde erhellten die Gegend mit einem Lichtdunst so war es im Dunkeln so hell, wie in den Straßen der kleinen Städte auf der Erde, die die schwachen Laternen beleuchteten.
Katha holte kurz Luft und begann zu erklären: „Vor Kurzem, genau bestimmt am 2.5., ging die Sonne wieder auf. Hier auf Munterris scheint tagsüber vom 2.5. bis zum 2.11. die Sonne. In den anderen Monaten scheinen tagsüber die beiden Monde, so hell sie erstrahlen können. Das Licht genügt, es ist kein Unterschied zur Sonnenzeit festzustellen, nachts strahlen sie hingegen wie eh und je. Aber es ist, auch wenn sie tagsüber so hell erleuchten wie die Sonne, stets noch so kalt wie in den verdunkelten Nächten. Es ist in der Zeit der Monde also kälter. Die Sterne übrigens scheinen egal in welcher Zeit nur nachts."
Ich hatte mehr Infos erwartet, aber ganz verstanden hatte ich es nicht, „Also... vom zweiten Mai bis November scheint die Sonne tagsüber und in der Zeit dazwischen scheint der Mond.. dann dauerhaft? Also halt tagsüber und nachts dann immer noch? Und sind die Tage dann kürzer oder gleich lang?"
Katha blinzelte verwirrt, „Mai bis November?"
Liam und ich schauten uns an. Anscheinend hatten sie nicht dasselbe System der Monate wie wir. „Ääh.. So heißen bei uns der fünfte und der elfte.. Monat.. des Jahres."
Der Kater schaute immer noch etwas irritiert, aber zum Glück erklärte Aristomeles weiter: „Die Menschen haben andere Namen für die Monate. Ich kenne auch nur ein paar, aber bei ihnen heißt der Monat des Sonnenfrischenempfangs „Mai". Und der Monat, in dem der Mondfrost beginnt heißt „November". Ich weiß sonst auch nur noch den ersten Monat des Monblütenbeginns und des Sonnennebelbeginns."
Jetzt waren wir Zwei an der Reihe, ahnungslos zu glotzen. „Äh.. das sagt uns wiederum nicht wirklich was... um genau zu sein, gar nix."
Aristomeles lächelte belustigt: „Wir haben auch zwölf Monate im Jahr und die Temperaturen sind denen auf der Erde angeblich sehr ähnlich. Die ersten vier Monate, die Zeit der Mondblüte, ist eher kälter. Danach folgt die Sonnenfrische, sie beginnt im Mai, bei uns heißt der Monat Sonnenfrsichenempfang, dann wird es wärmer, es ist die wärmste Zeit des Jahres. Der Monat namens Sonnennebelbeginn geht im August los, wie immer der zweite des Monats. Der Mondfrost, die kälteste Zeit, startet im November, bis im Januar dann wieder Mondblütenbeginn ist."
„Ääh..", ich verstand wenig.
„Merkt euch am besten erstmal, dass der 2.5., der Zweite des Sonnenfrischenempfangs, ein Feiertag namens Sonnenwende ist. Dementsprechend ist der 2.11., der Zweite des Mondfrostempfangs, der Feiertag Mondwende."
„Okay.. das krieg ich hin.. wahrscheinlich.", bestätigte Liam langsam sprechend, als würde er die Informationen noch immer verarbeiten.
„Und heute ist der 18. des Sonnenfrischenwuchs, der Feiertag Sommerlichten."
„SOMMERlichten?", fragten mein Zwilling und ich gleichzeitig. „Aber warum ist es dann die Zeit der Sonnenfrische, wenn das Fest Sommer im Namen hat?"
„Na, die Sonnenfrische beginnt früher. Die Sonne scheint schon einen Monat lang. Doch auf der Erde beginnt das Äquivalent des Sommers erst spät im sechsten Monat."
„In drei Tagen, stimmt.", ergänzte ich Kathas Erklärung, die er selbst aber noch beendete:
„Und deshalb wird seit langer Zeit Sommerlichten gefeiert. Wir nutzen den Tag, um noch ein weiteres mal unseren Göttern für die Sonne zu danken und uns etwas für die Sonnenzeit zu wünschen. Früher wurde angeblich in jeder Jahreszeit auch einmal der Jahreszeitenwechsel wann er auf der Erde stattfindet gefeiert, allerdings hat sich nur das Sommerfest durchgesetzt. Das Wort Sommer wurde genau wie das zwölf-Monate-System von den Menschen nach Munterris gebracht."
„Von Menschen? Heißt das, es waren schonmal Menschen auf Munterris?"
Die Beiden schauten nur betrübt, dann senkte Katha den Blick. Auch Aristomeles wich unseren Blicken aus.
„Hat Papa nicht mal erzählt, dass auf der ersten Welt ein Halbjahr lang der Mond die Sonne ersetzt?", brach Liam das Schweigen. „Jia, schon.. aber woher soll er das gewusst haben.."
Jetzt sagte Aristomeles doch noch etwas zu der Verbindung der Menschen und Munterris: „Die Menschen waren lange Zeit Teil dieser Welt, bis die Portale irgendwann alle geschlossen wurden und somit weder Mensch noch Munterrer zwischen den Welten wechseln konnte. Das ist erst fünf Jahre her. Es kann gut sein, dass euer Vater von Munterris wusste."
Ich war sprachlos. Konnte das sein? Und wenn ja, warum hat er uns dann nie etwas davon erzählt? Also, wirklich. Dass all das existiert? Warum hat er es uns nie gezeigt? Und wusste Mama davon? Doch all die Fragen wurden gleich von Kathas Anmerkung zunichte gemacht: „Aber ich hab noch nie den Begriff „erste Welt" gehört.", sein Kamerad pflichtete dem bei. Papa hatte aber nie Munterris, sondern nur erste Welt gesagt. „Ob Papa es vielleicht einfach vor uns verstecken wollte?", schloss sich Liam meinen Gedanken an. „Ja, aber warum sollte er?". Mein Bruder verzog das Gesicht und hob die Hände. „Keine Ahnung. Wir können ihn ja schlecht fragen."
Ich atmete nachgiebig aus und schloss kurz die Augen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich Lampions in den buntesten Farben leuchtend aufsteigen. Aus Handelskreuz mussten einige von ihnen kommen, doch auch von den Farmen stiegen welche in die Luft. Von überall her, von weit weg erhellten leuchtende Punkte in allen Farben und Formen die Nacht, sodass die Sterne unter ihnen verschwammen. „Die Munterrer lassen Lampions mit ihren Namen draufgeschrieben steigen und verbrennen. Sie äußern dabei ihre Wünsche und schicken sie den Göttern, auf dass sie sie erfüllen.", erklärte Aristomeles weiter, als Katha schon mit einem ovalen Lampion da stand. Einen Zettel und einen Stift hielt er in einer Pfote. Er legte Beides auf den Boden und Aristomeles schrieb den Stift zwischen die Lippen geklemmt seinen Namen auf. Der Kater nahm ihn ihm wieder ab und wischte ihn kurz über seine schicke Hose, was uns zu tiefst verwunderte. Noch viel mehr verwunderte es uns, als er uns Stift und Zettel hinhielt. „Wünscht euch auch was."
In geschwungener Schrift stand „Katha" und etwas gekrakelt „Aristomeles" darunter. Es war noch Platz auf dem Papier. „Auf. Ihr müsst einzig und allein eure Namen hinschreiben. Und wenn wir den Lampion steigen lassen, dann wünscht euch was. Laut oder leise, wie es euch beliebt."
Ich zögerte kurz, musste es mein echter Name sein? Oder reichte irgendwas? Schließlich konnten die Munterrer sich ihre Namen ja auch einfach aussuchen. Ich kritzelte kurz und reichte es dann an meinen Bruder weiter, der grinsen musste, als er es las. Er tat es mir gleich und schrieb den Namen auf, den wir immer im Kopf behalten würden. „Lavende und Pissenlit?", maunzte Katha. Dann lachte er kurz auf, während er den Zettel an der Laterne befestigte. Er bückte sich und flüsterte dem Lampion etwas zu: „Lumenascend", woraufhin eine Flamme aus dem nichts, auf dem nichts entstand. Sie leuchtete orangegelb und tänzelte in dem Papiergebilde, das nicht begann zu brennen. Ich dachte an die Lampe, die Traeder entzündet hatte.
„Jetzt, wünscht euch was!", drängte Aristomeles sobald Katha den Lampion sanft auf seine Fingerspitzen setzte und in die Luft drückte. Ich folgte dem Licht mit den Augen, sein Glanz fesselte mich. Der Himmel strahlte wunderschön und Feuerwerke mischten sich unter die Lampions, von denen keiner getroffen wurde, als hielte sie jemand sicher in den Händen, als schützten sie alle ihre Wünsche wie ihr Gut. „Ich wünsche mir, dass ich die ganze Schönheit, die mir diese Welt zu bieten hat, für immer in mir halten kann."
Wir saßen noch beisammen. Lange Zeit, bis die Lichter des Festes vom Licht der Sonne abgelöst wurden. Diese Schönheit war nur ein Teil von dem, was mir Munterris bieten konnte. Und genau diese Schönheit wollte ich nie vergessen.
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Im Auge des Juwels - Verborgene Welt
FantasyKatzen mit der Statur eines Menschen, Drachen mit Pferdekopf und junge wie vor Alter graue Magier schlendern über den Dorfplatz, den man durch die Fenster erkennt. In einem der Räume des kleinen unterirdischen Hauses hängt eine grüne, weiß bestaubte...