Im Auge des Juwels - Verborgene Welt

{ 28 } eine Mandel { 28 }

1. des Sonnennebelbeginns| August, Himelis;  Felyx

„Wieso warten wir?", fragte mein Bruder ungeduldig. Er spielte sich ein wenig auf, verstellte seine Stimme sogar ein wenig, doch ich konnte sehen, wie er die Fingernägel in seine Ballen zwickte.
Erst als er seine Frage gestellt hatte, fiel mir auch auf, dass wir stehen geblieben waren und Owlgamer auf dem Boden sitzend in ihrem Rucksack wühlte, sich vorbeugte und fast darin verschwand. Ich hätte schwören können, das hatte ich mir gerade eingebildet. Nicht mehr lange und sie hatte mit einem zufriedenen, breiten Lächeln auf dem Gesicht ein kleines, braunes Stoffetui hervorgeholt, das sie fast schon stolz öffnete. Wir wollten sie nicht allzu arg anstarren, doch es faszinierte uns irgendwie, als sie eine Spritze mit verschiedenen Flüssigkeiten aufzog, das Gemisch dann etwas schwänkte, bis es eine einheitlich violette-rötliche Farbe hatte. Was auch immer es war, sie setzte es an ihrem Oberarm an, knapp unter dem Ende des Ärmels ihres beigen T-Shirts, das uns versicherte, dass sie immerhin einmal das Oberteil gewechselt hatte, seit Beche. Wir hatten tatsächlich überlegt zu wetten, doch da hatte sie die Fliegerjacke schon ausgezogen.
«Jupp. Eineinhalb Einheiten, ich bin fertig.», grinste sie noch breiter als ihr Lächeln zu Traeder, immer noch von einem merkwürdigen Stolz erfüllt. Dann machte sie sich daran, all die rum geräumten Sachen wieder zusammen zu räumen.
„Äh, Traeder, was.. war das für ein Zeug? Und warum hat sie sich das gespritzt?", wagte es Liam, den Mann zu fragen, der erwartungsweise - nicht - antwortete: „Tz, frag sie selber."
Außer Skepsis ließ er aber keinen Ausdruck bei uns zurück, als er weiter schlenderte. „Gehen wir nach ganz da oben?", fragte Igelchen den Kopf in den Nacken gelegt, um mit schwarz funkelnden Augen eine hölzerne Plattform zu beobachten. Wie ein Aufzug fuhr die rechteckige Plattform auf einer Schiene den Berg hinab. Es schien sich um eine Art offene Bergbahn zu handeln, die Munterrer, die in dem Gebilde saßen, waren ungesichert nur durch ein gut einen Meter hohes Geländer vom Abgrund hinter dem Rand des Aufzugs getrennt. Doch durch die gemütliche Geschwindigkeit konnten sie problemlos sitzen bleiben und über das geschlossene Holzgeländer lugen. Eine reine Holzplattform, wie eine Schachtelhälfte. Und Igelchen folgte ihr jeden Zentimeter mit den Augen, ebenso Liam.
„Gehen wir nach ganz... da.. ob..en?", stotterte er mulmig, von Angst eingeholt konnte er nicht mal mehr tapfer tun.
„Ja. Da oben ist Himelis. Sagt der Name nicht eigentlich schon alles?", spuckte Traeder die knappste und spottendste Antwort aus, die ihm wohl eben einfiel.
Traeder hatte große Mühe damit, Owlgamer dazu zu bringen, sich normal auf die Bank zu setzen, was letztlich durch Igelchen gelang, der sich auf ihrem Schoß ein wenig zusammenrollte, sodass sie seine Stacheln nicht abbekam und dort eindöste. Meine Herausforderung war es, meinen Zwilling mit mir zu zerren, der innerhalb dieser ewigen Sekunden mehr Ausreden fand, als mir in einem Jahr einfallen könnten.
Sein Hand musste ich auch halten.
Trotzdem klammerte er sich in das Holz, die Augen zugepresst, als würde das die Höhe verringern.
Und als wir endlich stoppten (er krisch auf, als wir ruckartig zum Stehen kamen) musste ihn erst Traeder schubsen, damit er auf dem Steinboden vor Himelis aufschlug, das Gesicht nach unten.
Hätte er noch einen Kommentar zu der Höhenangst meines Bruders gemacht, hätte ich ihn geradewegs wieder von dem Berg runtergeworfen, auf dessen Spitze wir erst standen. Falsch - vor dessen Spitze. „Naah-ooh ne. Nein, einfach nein, ich mach das nicht mit.", jammerte Liam, als er bei dem Versuch aufzuschauen den steinigen, glücklicherweise flacheren Weg entdeckte, den wir noch erklimmen mussten.
«Aach, komm schon Goldie, das Stückchen schaffen wir noch, dann sind wir richtig in Himelis und glaub mir, das ist der tollste Ort hier in Munterris, es gibt keine Stadt, die näher am Himmel ist, als hier!»
„Das macht es nicht besser, Owl..", seufzte ich, das zitternde Espenlaub neben mir festhaltend.
«Naja, aber es wird auch nicht besser, wenn Traeder da oben sich entscheidet, ihn einfach hier am Abgrund zu lassen. Wenn ich größer als einsvierzig wäre und nicht schon Igelchen auf dem Rücken, würde ich ihn ja tragen, aber so... lässt Traeder ihn wahrscheinlich hier übernachten.»