{ 2 } zu zweit allein { 2 }

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[ Die folgenden drei Kapitel beinhalten unangenehme Themen wie Darstellung von Gewalt oder sexueller Belästigung ]

4. Juni, Zuhause;  Liam

Die Wunden brannten auf meiner Haut, die Chemikalien wie Feuer, als sie mein Fleisch berührten. Ein leises Tröpfeln war alles, was ich unter meinem Wimmern noch hören konnte. Langsam rann ein weiterer Tropfen an meiner Wange entlang, blieb an meinem Kinn hängen und schlug schließlich am Boden auf, wie ich selbst nur wenige Augenblicke zuvor. Die Stelle, die ich gerade sauber gewischt hatte, färbte sich wieder rot unter dem bisschen Blut. Auf ein neues fuhr ich mit dem Lappen darüber, als sich das Ganze wiederholte. Doch ein Schreien störte den Kreislauf aus Tröpfeln und Wimmern. Ich schaute auf, schaute runter, die Treppen hinab zum Wohnzimmer. Zitternd erhob ich mich aus meiner Hocke und hielt mich am Geländer fest. Ich unterdrückte ein Schluchzen und wäre ich nicht schon verprügelt worden, hätte ich mich selbst geohrfeigt, um mich zusammenzureißen. Ich konnte nicht den Rest meines Lebens feige daneben sitzen, es war Zeit, aufzustehen. Es war an meiner Zeit, Mut zu beweisen und mich nicht immer nur retten zu lassen. Es war an unserer Zeit, uns von hier loszureißen.

Lasst uns euch die Geschichte davon erzählen, wie wir uns von diesem Ort losrissen. Wie unsere Fantasie sterben musste, um zu Leben zu kommen.

Wir hatten keine Freunde. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals welche gehabt zu haben. In der Schule wurde ich gemobbt, das war es, wofür ich meine Ausdauer brauchte. Um davonzurennen, wenn sie mich jagten wie hungrige Biester. Besser wurde mein Ruf nicht, durch meine Schwester, die stets dazwischentrat und unsere Klassenkameraden zur Schnecke machte. Hätten sie nicht alle auf sie gestanden, wäre das auch nicht gut gegangen. Wir Beide waren ständig allein. Zu zweit allein.
Doch den Einzigen, den wir hatten, war Muck. Er war der beste Freund, den Felyx und ich hatten. Das einzig Gute daheim. Unser kleiner Hamster. Er ließ uns nicht allein mit Holger, er war besonders. Papa hatte ihn uns geschenkt und seitdem passte er auf uns auf, wie ein Hund. Einmal hat er sogar mal Holger in die Hand gebissen. Keine Ahnung, warum er so ein Krawall-Hamster war, doch uns kam es gelegen. Außerdem hatte er den knuffigsten bösen Blick aller Zeiten.
„Wollt ihr den ganzen Tag auf eurem Zimmer rumhocken?", schnauzte uns die Arschstradivari an.
„Ich würd ja rausgehen, wenn ich dürfte:", wagte es Felyx zu kritisieren, was ihr nicht gut bekommen sollte:
„Ihr dürft nicht und werdet es auch nie wieder, das ist mit Katrin so abgesprochen. Ihr habt genug andere Sachen zu tun, ich hab euch schon den Staubsauger und das Putzwasser hochgebracht, aber das nächste mal erledigt ihr eure Scheiße selbst. Jetzt macht schon sauber, wozu seid ihr denn hier? Erwachsen sein, aber immer noch bei der Mutter leben, dann tut auch was dafür!"
Weil der Kerl nicht genug Geld für zehn Putzfrauen hatte.
„Ich würd ja ausziehen, wenn ich dürfte. Ach halt. Wir dürfen ja nicht und werden wohl auch nie. Hab ich dir jetzt die Worte weggenommen? Buhu.", entgegnete meine Zwillingsschwester noch genervter. Holger murmelte wütend nur etwas und trat in unser Zimmer. Das Haus hätte locker drei Zimmer pro Person gehabt, doch wir mussten uns eines teilen. Mit dem Luxus eines Balkons. Von dem ich jetzt besser gesprungen wäre, weil es mir so einiges an Leid erspart hätte. Holger kam auf uns Beide zu, ich erwartete das Übliche, wie eine Ohrfeige oder eine hautnahe Erfahrung mit dem aktuellen Fernsehprogramm oder seinem Schuh, doch Muck schritt heroisch dazwischen. Der Wunderhamster sprang von meinem Schoß auf Holger zu, biss ihm in den großen Zeh, was den erwachsenen Mann zum Aufschreien brachte. Er fluchte heftig über den kleinen Nager und schüttelte den Fuß, doch Muck ließ nicht los. Daher hob Holger den Fuß und robbte den Hamster gewaltsam ab, was ihm vermutlich mehr weh tat, als dem Tier. Doch dann quetschte er meinen Kleinen, „Euer Drecksnager macht nur Probleme, ihr hättet ein Haustier eh nicht verdient.". Wir Beide  vernahmen nur ein leises Geräusch, hätte auch nur ein Vogel geträllert oder wäre ein Wind an unserem Fenster vorbeigezogen, hätte man das Knacken nicht wahrgenommen. Doch kein Vogel, kein Windzug wollte sich rühren, sie alle schwiegen, um Muck zu betrauern. „NEIN!", schrie ich auf , sodass meine Stimme fast abbrach. Ein kleinstes Bluttröpfchen krachte auf dem Boden auf wie ein Meteoreinschlag, ich war wie taub vor Wut und Kummer. Holger hatte Muck das Genick gebrochen mit einem Zucken, doch nur in der Hand, nicht in der Mine. Dann grinste er. Ein dreckiges Grinsen, wie kein Monster sonst es fertiggebracht hätte. Taub. Taub raste ich den kurzen Meter auf das Arschloch zu, das mein Haustier getötet hatte und klopfte mit meinen Fäusten auf seinen Brustkorb, was ihn zurückstieß. Er schmiss den kleinen leblosen Körper nur zu Boden und packte mich dann. Ab dem Moment war entschieden, wer den Kampf gewinnen würde und alles Adrenalin meines Körpers konnte ihn nicht aufhalten mich zu Boden zu werfen. Ein Schlag traf mich im Gesicht, ein weiterer im Magen. Felyx war auf ihrem Bett zusammengekauert, Schock und Angst umgaben sie wie Ketten, die ihr die Möglichkeit nahmen, etwas zu unternehmen. Und so trafen mich mehr und mehr Hiebe, am Kopf, im Magen, bis Blut aus meiner Nase meine Lippen bedeckte und aus einer Wunde an meiner Schläfe den Boden. Mein Ellbogen riss auf, als ich ihn mir am Steinboden stieß und ein dumpfes Dröhnen blieb in meinem Schädel zurück bei Holgers letztem Schlag. Verschwommen nahm ich den Raum wahr, sah wie mein Peiniger aufstand, mich nur eines erbärmlichen Blickes würdigte, ehe er umdrehte. Er ließ mich da liegen. Blut hatte ich nicht viel verloren. Doch von allem, was meinen Kopf einst füllte, war nichts mehr übrig. Freude, Wille, Liebe, Vertrauen. Weg. Keinen Traum hatte ich mehr, der real schien und um mir Größeres zu erträumen war meine Fantasie zu grau.

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt