{ 36 } Hass mich. { 36 }

3 0 0
                                    

6. des Sonnennebelbeginns| August, Traeders Haus;  Felyx

Hinter mir knallte die Tür ins Schloss und hielt meinen sturen Bruder gefangen. Er hätte mir zwar einfachst folgen können, allerdings wollten wir das Beide nicht. «Hui, was ist denn bei euch grad passiert?», fragte Owl nach, die die angespannte Situation von vorher schon gut überstanden hatte. „Nichts.", raunte ich nur, ohne auch nur zu versuchen, fröhlicher zu klingen. «Ist das dieses anstrengende Menschending, das immer auftritt, wenn ihr in irgendeine schlechte Laune gefallen seid? Traeder hat immer davon gejammert, dass er die Menschen nicht begreift.»
Oh, da war er nicht der Einzige. „Ja, kann sein, ist nur ein Streit mit Liam, nichts besonderes."
Eigentlich war es das schon, da wir uns zuvor noch nie gestritten hatten.  Und erst recht nicht wegen so einer banalen Sache, nur weil ich seinen Hass nicht nachvollziehen kann und er lieber bockiges Kind spielt. Die Stimmung wurde nicht besser, es war der aufmerksamen Terra anzumerken, dass sie meine Lüge durchschaut hatte, doch sie sagte nichts. Vermutlich wollte sie den Moment nicht noch komplizierter gestalten. Durch die stickige Luft, trotz der ausgeschnittenen Fenster, konnte keine angenehme Laune durchdringen und jedes Wort schien nur noch provozierender, für alle Beteiligten. Doch durch dieses Bad an schlechten Gefühlen strömte ein ruhiger Ton, gefolgt von noch einem, noch einem, noch einem. Das wohlige Streichen des Instruments schwebte wie ein Bild vor meinen Augen, als das lauschige Spiel ein wenig Klarheit in den Trübsal brachte. „Was ist das für eine Geige? Und woher kommt das?", fragte ich in den Raum. Beiläufig warf mir Owl eine Antwort zu: «Ach, was für eine Geige das ist musst du Traeder fragen. Der spielt hin und wieder mal draußen, auf der Spitze von dem Kliffhang, in dem unser Haus hier is. Der Raum hier ist nicht versiegelt, wäre zu anstrengend gewesen mit der Treppe, genauso wie oben die Küche, also grad oben an der Treppe. Die zwei Räume haben ganz normales Verhalten, wenn man sich Schall anschaut zumindest. Oder anhört, was auch immer.»
Ihre Erklärung, wie die Musik überhaupt zu uns hervordringen konnte, interessierte mich eher weniger, „Traeder spielt Geige?"
«Joa. Schon seit ich ihn kennengelernt hab, er meinte glaub mal, dass er es mit Sechs angefangen hat zu lernen oder so um den Dreh.». Trotz der gleichgültigen genervten Stimme redete die Munterrerin recht viel, wobei mich wunderte, was sie gereizt hatte.
«Geh doch mal zu ihm, vielleicht freut er sich ja über Publikum.», darüber sprechen wollte sie allen Anscheins nach aber nicht. Keine Ahnung, ob das nur ein sarkastischer Kommentar war oder ich wirklich mal nach ihm schauen sollte, weil ich aber noch weniger wusste, was ich jetzt hätte tun sollen, ging ich einfach ein Okay nuschelnd die Stufen hoch und schlich mich am Zimmer des schlafenden Igelchen vorbei nach draußen.
Der Munterrer stand wie Owl gesagt hatte an der Kante des Kliffhang, den Rücken zu der Luke und dem schmalen, metallenen Schornsteinrohr gewandt, so sehr in seine Musik vertieft, dass er mich gar nicht wahrnahm. Er spielte ein heftiges Stück, nicht mehr die säuselnde Melodie von eben. Sie hatte sich vom Tröpfeln in den Donnerschlag verwandelt und so schlug er schon beinahe mit dem Bogen auf die Saiten ein. Das braune Holz warf sich gemeinsam mit seinem Kopf und Schultern umher, zwischen die es geklemmt war. Der Bogen war aus demselben Holz gefertigt, doch ging fließend am Ende zur Hand hin in zwei hellblaue Federn über, die wie ein kleiner Schweif abstanden. Die Melodie sprang durch die Lüfte, erreichte Höhen und Tiefen und wurde mit einer knappen Schlussnote beendet. Dann herrschte Stille.
Stille, die leise mein Klatschen erfüllte, woraufhin sich der Violinist mit dem Oberkörper zu mir wandte, das Instrument vom Hals weggenommen. Er hielt Bogen und Geige nun wie seine Degen in den Händen und glotzte mich überrascht an. „Das klang wirklich gut.", machte ich nur ein kleines Kompliment, ohne zu wissen, wie ich das unangenehme Schweigen sonst hätte brechen sollen. Er lächelte aber nur in ein kleines Grinsen übergehend. „Soll ich dir zeigen, wie man spielt?", hielt er mir die zwei künstlerischen Waffen hin.
Nun verzogen sich meine Mundwinkel zu einem belustigten Grinsen, ich machte einen Schritt auf ihn zu und nahm das Instrument, jedoch nicht das Angebot an. „Wenn du mir noch was zeigen kannst, gerne." und mit diesem arroganten Necken begann ich die ersten Takte eines aufwendigen Stückes zu spielen, von dem ich nicht sicher war, ob es hier jemand kennen würde.
Während meines Mini-Konzertes starrte mich Traeder verdutzt an, musste leicht lachen, sobald ich beendet hatte. Ich nahm die Leihgabe weg und reichte sie ihm wieder, nachdem er die Kunstwerkzeuge entgegen genommen hatte legte er sie hinter sich auf den Boden, im gleichen Zug setzte er sich an den Rand des Vorsprungs, die Beine runterbaumeln lassend.
Ich zögerte nicht lange bevor ich mich neben ihn setzte, das nächtlich dunkle Himmelszelt über mir spürend, das wache Blau anschauend. Selbst konnte ich ebenfalls keinerlei Anzeichen von Müdigkeit ausmachen. „Ich wusste gar nicht, dass du Violine spielen kannst.", äußerte der Mann schlicht seine Verblüffung.
„Eh, ja.. Eigentlich durfte ich nie. Liam hatten unsere Eltern erlaubt, Gitarre spielen zu lernen und ich sollte entweder dasselbe oder Klavierunterricht nehmen. Aber ich wollte unbedingt Geige spielen lernen. Also durfte ich am Ende gar nichts von Beidem. Liam hat sich extrem schlecht gefühlt, dass er immer seinen Unterricht hatte und ich mittwochs allein daheim saß. Irgendwann hat er mich mit zur Musikschule geschleppt und dort erwartete mich dann eine einzelne bezahlte Geigenstunde, die er durch Straßenmusik finanziert hatte. Unsere Lehrerin meinte, ich dürfte gratis weitermachen, wenn ich bis zum ersten Konzert gut genug spielen kann um mitzumachen und die Preisgelder abtrete. Und dann haben Liam und ich mit acht Jahren beide immer Musikunterricht gehabt, ohne dass unsere Eltern was bei mir mitbekommen hatten. Ja.. Das.. war immer witzig.", schwelgte ich etwas ausführlicher in Erinnerung.
Ich fürchtete zwar, dass ihn meine Geschichte sonst wo vorbeiging, doch durch ein kleines Kompliment weckte es bei mir das Gefühl, dass meine Sorge unbegründet war: „Wow, dafür spielst du wirklich echt gut. Also jetzt nicht für zehn Jahre Unterricht, sondern wegen.. ach, vergiss was ich gesagt hab, das macht irgendwie.. grad keinen Sinn..."
Ein Auflachen konnten wir uns Beide nicht verkneifen.
„Oho, du brichst nicht nur aufs Neue deine Goldene Regel, du bist dabei auch noch nett, was isn hier passiert?", zog ich den anfangs noch so mürrischen Munterrer auf.
„Jaaa, ich weiß. Aber nein, um ehrlich zu sein.. ihr seid nicht so schlimm. Ich kann euch ganz gut leiden. Dieses Schweigeregel hab ich jetzt verworfen, war eigentlich schon von vornherein Schwachsinn, zumal wir jetzt ja noch länger miteinander zu tun haben werden. Auch, wenn Liam das nicht so wahrhaben will."
Zack, Entspannung aus. „Ey, bitte, mein Bruder übertreibt total. Normalerweise ist er echt gar nicht so, er hilft allen und ist selbst zu seinen Mobbern in der Schule freundlich, aber wenn es um dich geht, dann brennt irgendein Kabel durch."
Traeder sah das ganze lockerer, was wohl auch an der Absenz des Gesprächsthema lag: „Er ist anstrengend und kann sich echt... nervig aufführen, aber das größte Problem ist an ihm, dass jedes mal, wenn er mich angiftet, ich eine kleinere Version von Rikse vor mir sehe. Vom Aussehen und auch seinem Benehmen mir gegenüber, von dem was er sagt her ist er eurem Vater sehr ähnlich. Aber er ist nicht so schlimm im Gegensatz zu eurem Vater, der wirklich der heftigste unter all meinen Feinden war."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Bedrückt schaute ich auf meine vom Abgrund hängenden Füße, traute es mich situationsbedingt nicht einmal zu einem albernen Baumelnlassen meiner Beine. Das war kein schöner Abend. Dort unten könnte ich jetzt versuchen, das Fenster mit meinem Bruder darin zu erspähen, der sich benahm wie der Erzfeind von einem Mann, der wohl mal sein Freund gewesen war. Nicht weniger hatte er auch uns getäuscht, nicht wahr? Mein Hirn suchte mühevoll nach aufmunternden Worten, die mir jedoch nicht einfielen, oder nicht, bevor Traeder wieder seine Stimme erhob: „Wenn ich gebrochen irgendwo im Schatten eines Blutgeistes da lieg, dann lass mich zurück. Wenn ich nicht mehr zum Beschützen tauge, dann lauf mit den anderen weg und lass mich allein, du darfst auf keinen Fall den Anschein erwecken, dass du zu mir irgendeine Bindung hast. Hass mich. Hass mich am besten einfach, wenn ich nichts mehr tauge und euch in Probleme, derartige Probleme bringe."
Wie eine Faust ins Gesicht trafen mich seine Worte, aus meiner Bedrücktheit heraus wurde ich direkt in ein Entsetzen geschmissen:
„Äh, wa. wä- Was, ich kann dich doch nicht einfach so zurücklassen, wenn wir angegriffen werden. Wir kamen bisher doch auch schon mit den Blutgeistern klar, ja sogar mit Clairy, also jetzt mach mal halblang!"
Seinen Blick hatte er abgewendet, all wagte er es nicht, diese Bitte wie eine Beleidigung in mein Gesicht zu spucken. „Doch, du musst das tun. Es geht nicht um so einen einfachen Aufstand, du wirst selbst merken, wenn es.. naja, soweit ist. Ich will dich nicht jetzt schon vergraulen, aber bitte, Owl und Igelchen haben es nicht gepackt, also bitte versprich mir, dass du die Zwei mitnimmst und mich liegen lässt."
„Okay. Ich verspreche es dir.", seine Augen schloss er für einen Moment, atmete tief durch, als wägte er ab, ob er diese Entscheidung bereuen sollte oder ob er richtig gehandelt hatte. Doch mit meinem Satz war ich noch nicht fertig:
„Ich kann dir aber nicht versprechen, dass ich danach nicht umdrehen werde um dich zu retten."
Er wandte seinen Blick von der Ferne ab und zurück, mir zu. Mit einem erleichtert wirkenden Schmunzeln schaute er mir in die Augen. Ich erwiderte den Blick in ein Gesicht, das ich nicht hassen könnte.

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt