6. des Sonnennebelbeginns| August, Traeders Haus; Liam
„Was ist eigentlich los mit dir Liam?", schnauzte mich meine Schwester sofort an, nachdem sie mir angekündigt hatte, dass sie reden möchte. „Wie?", erwiderte ich nur ahnungslos, „was soll denn los sein?".
„Was hast du eigentlich für ein Problem mit Traeder? Du benimmst dich schon vom ersten Moment an so feindselig ihm gegenüber, also was is los?"
Ich schnaubte nur missbilligend, die Frage sollte sie gar nicht erst stellen müssen, sie hatte ja alles miterlebt:
„Achso, du willst wissen, was mein Problem mit Traeder ist? Um dir auf die Sprünge zu helfen: Er hat uns bei unserer Ankunft einfach rausgeschmissen, obwohl er wusste, dass wir keine Ahnung oder schlechte Absichten hatten, er wollte uns da das erste mal aufspießen, er wollte es nochmal, als wir trainiert haben, hat uns behandelt wie Militärsklaven, er hat eindeutig was gegen uns und dann ist da noch die Sache mit Rikse."
„Rikse? Der hat damit also auch was zu tun? Ist Traeder jetzt der Arsch, weil er uns die Wahrheit gesagt hat, die uns unsere Eltern verschwiegen haben? Ich versteh ja, was du meinst, anfangs war Traeder wirklich... schlecht auf uns zu sprechen, aber es hat sich do schon einiges gebessert! Er hat uns schließlich aufgenommen, mittlerweile essen wir ganz normal mit ihm und den anderen am Tisch und er bezahlt uns alles. Er ist mit uns über die Moosebene hinaus gereist und möchte uns jetzt die Möglichkeit geben, mit Papa,äääh, Rikse zu sprechen, obwohl das anscheinend ja ziemlich mies für ihn ausgehen könnte. Findest du nicht auch, dass deine Abneigung nicht etwas übertrieben ist? Liam, du hast ihn verjagt, du weißt doch wie mies es ist, wenn man zu Unrecht so.. ja schon gehasst wird!", verteidigte sie den Kerl auch noch. Ich sah in allem, was sie aufzählte längst nicht so viel gutes wie sie. „ja, zum Glück ist er endlich weg..", grummelte ich nur, es war kein Problem für mich gewesen, dass ich ihn "verjagt" hatte.
„Liam, mal abgesehen von Traeder, das sieht dir nicht ähnlich! Du bist sonst nie so feindselig, zu niemandem!"
Ich wusste nicht ganz recht, ob mir meine Schwester eigentlich zugehört hatte, als ich all meine Gründe aufgezählt hatte, aber allen Anscheins nach hatte es ja nicht genügt: „Felyx, ich habs dir doch grade schon aufgelistet! Der Kerl ist ein Arschloch, das uns nicht leiden kann, der ist nicht einfach nur wie einer unserer dummen Klassenkameraden, denen es Spaß macht sich aufzuspielen, indem sie andere mobben. Der Kerl wollte uns mehr als einmal übelst verletzen und ALTER FELYX, SCHAU DOCH EINFACH DEINE VERDAMMTE SCHULTER AN!", verlor ich mitten im Satz die Fassung und brüllte sie an, wie sie auch nur auf die Idee kam, diesen Vollidioten in Schutz zu nehmen.
„Reg dich ab, Liam, und bitte, Traeder hat einen Namen und ist ein.. ne Person wie du und ich auch, hör doch endlich mal auf, immer "der Kerl" oder "der Typ" zu sagen, als wäre er irgend so ein.. keine Ahnung, jedenfalls musst du nicht immer so abwertend von ihm reden."
Ihre Stimme klang sanft, ruhig und auch ich hielt meine Wut wieder im Zaun, als ich sie zur Rede stellte: „Warum verteidigst du ihn überhaupt so, warum ist es dir so wichtig, ihn gut da stehen zu lassen?"
Ihre Antwort brach meine eingezäunte Wut jedoch wieder frei:
„Was, äh- Ich finde einfach, du bist zu Unrecht so gemein zu ihm, wobei das deiner Großherzigkeit auch gar nicht ähnlich sieht. Traeder ist wirklich kein schlechtes Wesen, er hat viel schlechtes erlebt und zwar auch ganz sicher im Zusammenhang mit unserem Vater. Er hat es nicht verdient, so gehasst zu werden, so wie es niemand verdient hat. Außerdem.. er ist gar nicht so schlimm, eigentlich... finde ich ihn sogar ganz süß."
Sie fand ihn süß. SÜß?! Mein Mund stand ungläubig offen, ich lehnte eben noch mit verschränkten Armen an meinem Bett. Meine Schwester stand noch immer mitten im Raum, hatte ihren Blick aber leicht zu Boden gewandt, als bereute sie es, sich mir anvertraut zu haben.
„Spinnst du eigentlich?! Du findest Traeder süß?! Wie um alles in der Welt kannst du so einen Dreckskerl toll finden, er ist auf so vielen Ebenen unwürdig für-"
„Liam, ich hab gesagt, dass ich ihn süß finde und nicht, dass ich ihn heiraten will! Ich bin nicht in ihn verliebt, wenn du das denkst, er ist einfach mehr als du zulässt in ihm zu sehen!"
„Ich seh es nicht? Verdammt, Felyx mach deine Augen auf, der Kerl ist ein Mistkerl, egal wie man ihn betrachtet, er hat NICHTS für uns getan, alles, was du da aufgezählt hast, hat der doch nur gemacht, weil es ihm am besten passt! Wir sind ihm doch egal, ALSO WAS SOLL ICH MICH EINEN DRECK UM IHN SCHEREN! ICH WILL EINFACH PAPA WIEDERSEHEN, GANZ EGAL WAS AUS DIESEM MUNTERRER WIRD!"
Wir beide hatten uns noch nie wirklich gestritten. Immerzu allein gelassen, außer einander hatten wir nie wirklich was und so konnten wir uns Streite nicht leisten. Zumal es nicht wirklich etwas gab, was unsere Meinungen spaltete und wenn doch, hatten wir einander damit halt unterstützt. Es nagte an mir, sie mit vor Wut funkelnden Augen vor mir stehen zu sehen, die Arme kampfbereit neben sich. Sich mit meiner Zwillingsschwester so zu zoffen, war unangenehm und ein wenig Sorgen bereitete mir der Gedanke, in einer praktisch fremden Welt meine sicherste Verbündete zu vergraulen, Magenschmerzen. Ein Zucken durchfuhr mich, als sie mit dem giftigen Grün ihrer Augen ihre letzten Worte schrill rausbrüllte:
„WEIßT DU WAS LIAM, FREU DU DICH SCHÖN AUF RIKSE! GEH RUHIG ZU DEM WAHREN, ZU DEM RICHTIGEN VERRÄTER, BLEIB EINFACH BEI UNSEREM VATER, WENN DU SO EINEN SCHEIß ABZIEHST!"
Angepisst warf sie die Tür auf und sich selbst hindurch, mit einem noch energischeren Hieb als ihrem Brüllen, zog sie das grüne Holz hinter sich zu. Mir fiel nichts ein, was ich sagen sollte und so hallte nur noch ein letzter Satz nach draußen, der meinen Schreck trotzig wie ein kleines Kind verbergen sollte:
„Ja, dann geh doch zu deinem Traeder!"
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Im Auge des Juwels - Verborgene Welt
FantasyKatzen mit der Statur eines Menschen, Drachen mit Pferdekopf und junge wie vor Alter graue Magier schlendern über den Dorfplatz, den man durch die Fenster erkennt. In einem der Räume des kleinen unterirdischen Hauses hängt eine grüne, weiß bestaubte...