{ 24 } Beches Bäche { 24 }

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26. des Sonnenhauchs| Juli, Beche;  Felyx

Es würde noch etwas Zeit dauern, bis Katha und Aristomeles weiterreisen würden und extra für uns einen Zwischenstopp in Handelskreuz einlegen. Und für dieses freundliche Angebot war es kein Problem für uns, die paar Tage noch abzuwarten. Schließlich war das um einiges leichter als den Weg zurück zu laufen. Es war ein unglaublich schönes Dorf hier und ich malte mir an den Abenden, an denen ich in meinem Bett lag und auf den Schlaf wartete aus, wie es wäre, hier zu leben. Ich hatte die Karte schon mehrmals überflogen und versucht, mir die Orte vorzustellen, habe mir durchgelesen, woher sie ihre Namen hatten und was ihre Spezialitäten waren. Allen Anscheins nach müssten wir ja hier in Munterris bleiben, was aber nicht unbedingt ein schlechter Gedanke für mich war. Doch leider konnte ich mein Buch nicht mit auf die Reise nehmen und starrte so träumerisch die Decke an, fantasierte, wo es sich wie lebte. Wie die anderen Bewohner auf mich reagieren würden, wie ich Freunde fände und vielleicht ja sogar einen Partner.
„Hey Lavendelchen.", hörte ich meinen Bruder nuscheln, der mit dem Gesicht halb im Kissen versunken war, „Wollen wir vielleicht auch mal nach draußen gehen?", doch bevor ich etwas sagen konnte hoppste Owlgamer von ihrem Bett auf und sprang in unser Sichtfeld. «Jaa, komm, wir gehen zu den Bächen! Wenns schonmal so heiß ist müssen wir das ausnutzen bevor es Herbst wird!» und hockte in ihrer üblichen Haltung vor uns. Unser aktuelles Gasthaus hatte nur zwei Nachtkemmern frei und so besetzten eines davon Igelchen und Traeder und das andere wir drei. Owl schlief auf der Couch, zumindest hatte sie das gesagt. Aber heute morgen lag sie mit Kissen und Decke auf einem der Deckenbalken. Woher auch immer dieses Kind die ganze Energie nahm. Und die Balance.
Um ihr Auslaufbedürfnis, das das eines Huskys an manchen Tagen weitaus überstieg und an manch anderen kaum vorhanden war, zu stillen begaben wir uns also nach draußen. Es war ja auch nicht so, als ob wir die letzten Sommertage nicht auch nutzen wollten. Hier in Munterris begann der Herbst schon dann, wenn bei uns eigentlich erst der Höhepunkt des Sommers anstieg- im August. Beziehungsweise Sonnennebelbeginn, wie der Monat hieß.
Nicht weit von der Pension entfernt konnten wir schon eine zusammengekugelte Gestalt erkennen, die beim Näherkommen offensichtlich auf Igelchen aufpasste, der im ruhigen Wasser spielte. Schuhe trug er sowieso nie und seine jeansblauen Latzhosen hatte er ein wenig hochgekrempelt bekommen. Meine Turnschuhe schob ich mit den Fersen von den Füßen, die Socken zog ich auch noch schnell aus und verzichtete darauf, meine enge Jeans hochzukrempeln. Dann schlitterte ich die Böschung hinunter, von den eiskalten Blicken des Babysitters verfolgt.
Owlgamer, die sich aus irgendeinem Grund komplett in ihre Pilotenklamotten geschmissen hatte, kämpfte jetzt damit, sich die Jacke auszuziehen und die Hosentaschen zu leeren. „sag mal, ist dir nicht warm in den Stiefeln?", fragte mein Bruder, der allein beim Anblick ihrer fellgefütterten Schuhe zu schwitzen begann. «Die Socken machens, Goldie, die Socken.»
„Und was trägst du für Socken..?", hakte Liam mit anscheinend merkwürdigem Gefühl nach.
«Ich trage alle Arten von Socken, kurze, dünne, dicke Wollsocken, bunt oder einfarbig, nach Belieben an Füßen, Händen oder Ohren.», antwortete sie generalisiert, doch die spezifische Antwort gab sich von selbst, als sie die Schuhe ausgezogen hatte und zwei verschiedenfarbige Söckchen, die gerade so an die Knöchel reichten sichtbar wurden, die sie auch direkt mit auszog und die Cargohose hochkrempelte. Ich plätscherte schon ein bisschen mit Igelchen im Wasser, was ihm ein fröhliches Lachen entlockte und mich dazu zwang, ebenso breit zu lächeln. Sein kurzes Fell war nass verstrubbelt und Tropfen perlten an den Stacheln auf seinem Kopf ab.
«Achtung, Mensch im Anflug!», rief Owlgamer und noch bevor Liam wusste, was los war hatte die Munterrerin ihn auf ihrer Kopfhöhe am Rücken geschubst. Er kullerte aufrufend ins kühle Nass und landete auf seinem Bauch auf dem Kieselboden, sein T-Shirt, das er noch an hatte, war hochgerutscht und hing über seinem blondgelben Kopf. „Mann über Bord..", murmelte der bei unseren früheren Spielen immer Pirat spielende Junge. Die Verräterin, die ihren Kumpanen geschubst hatte grinste schadenfroh und klatschte neben ihm ins Wasser, doch rutschte sie erstaunlich elegant den Hang hinunter. Mein Zwilling schreckte hoch, als Owl direkt neben ihm das ganze Wasser aufwirbelte und er den Schwall abbekam. Igelchen und ich konnten uns ein Lachen nicht verkneifen und selbst Traeder oben auf der Uferböschung kicherte. Vielleicht schadenfroh, aber er schien immerhin überhaupt froh.
Im selben Zug, in dem er sich aufrichtete klatschte Liam mit den Händen ins Wasser und revanchierte sich so bei Owlgamer, die die darauf folgende Wasserschlacht angefangen hatte. Es dauerte nicht lange, bis auch wir zwei Außenstehenden mit einbezogen wurden und so konnte man gefühlt in ganz Beche unser Lachen und Rufen hören, sowie das freudige Quietschen von dem kleinen Jungen, wenn er es schaffte, meinem Bruder eine ordentliche Ladung Wasser ins Gesicht zu hauen. Eilig versuchte ich der aufgekratzten Munterrerin zu entkommen, die mir hinterher war und mal nicht nur meinen Zwilling angreifen wollte. „Na Lavende, muss sich die tapfere Schwertkämpferin etwa auch mal dem Seeungeheuer stellen!", rief mir Liam scherzend zu, als Hommage an unsere Spielnamen. «Tja, wenn der Pirat Löwenkopf schon gesunken ist liegt die letzte Hoffnung wohl in ihr.», spottete Owlgamer belustigt zurück, wofür sie aber Empörung erntete: „Es heißt Pissenlit, das ist französisch für Löwenzahn! Und nicht Löwenkopf!"
«Ach, ist doch dasselbe!», und streckte dem Jungen mit der Löwenfrisur die Zunge raus, allerdings nicht um ihn zu beleidigen. Ich nutzte die Gelegenheit und stürzte mich von hinten auf sie um einen Riesenschwall Wasser über ihren Kopf zu schütten, was bei 1,41 Meter Größe nicht schwer war. „Haha, Lavende hat das Monster besiegt!", scherzte ich in der dritten Person von mir redend. Igelchen klatschte begeistert Beifall und jubelte unsere Kosenamen, woraufhin wir vier in ein gemeinsames Lachen einstimmten. Ich hatte nicht gedacht, dass ich mit dieser Gruppe so einen Spaß haben könnte.
Und so führten wir unsere Bachschlachten fort, jagten uns gegenseitig, so gut es vom Wasser gebremst nunmal ging. Igelchen war mir grade auf den Fersen, ich hatte meinen Blick über die Schultern geworfen und achtete nicht auf den Bachgrund vor mir, als ich auf einen spitzeren Stein trat und beim nächsten Schritt die übrigen Kiesel unter meinen Füßen wegrutschten, sodass ich nach vorne fiel. Der Kleine erschrak ängstlich, doch ich stützte mich mit meinen Händen ab und stieß mir bloß das Knie. Das durchsichtige Klar um uns herum färbte sich ein bisschen rot, ich setzte mich hin und ließ die leichte Strömung an mir vorbeigleiten, das kühle Nass teilte sich an meinem Sitzplatz wie bei einem der Steine. „Ist alles okay, hast du dir wehgemacht?", fragte Igelchen sofort, als er das Blut um mich herum sah. Die Beine zu mir herangezogen musterte ich meine Knie und stellte fest, dass ich mir das eine aufgeschürft hatte und ein paar Kiesel in dem kleinen Kratzer feststeckten. „Nein Igelchen, schon gut.. ist nichts schlimmes, nur eine kleine Schürfwunde.", beruhigte ich ihn beim Aufstehen, „trotzdem geh ich mal raus, ich will die Steinchen rausmachen."
Tatsächlich etwas weniger besorgt nickte mir der Kleine zu und streichelte im Vorbeigehen meine Hand, als wolle er mich trösten, wofür ich ihm ein dankendes Lächeln schenkte, das ihn noch mehr freute.

Der Rucksack, der Owlgamer gehörte stand oben an der Uferböschung neben dem sogar schmunzelnden Traeder, der die Beine angewinkelt und die Arme um die Schienbeine geschlungen hatte. Ich setzte mich die Beine auf dieselbe Art zu mir gezogen neben ihn und schaute nochmal genauer auf die kleine Wunde. Im Augenwinkel lenkte mich jedoch die ganze Zeit der Mann ab, dessen Blick hin und wieder zu mir hüpfte und zu meinem Knie.
„Was ist eigentlich deine Aufgabe? Wir sind jetzt ja da, du musst nicht mehr auf Igelchen aufpassen und Owlgamer ist auch da, also nicht nur wir Beide.", bei meiner Frage berücksichtigte ich extra, ihm klarzumachen, dass er nicht Liam und mir vertrauen müsste, sondern Owl ein Auge auf Igelchen hatte.
„Ich kann nicht gehen. Das geht nicht, ich würde damit die Pflicht verletzen, die mir auferlegt wurde. Eine höchst wichtige Aufgabe.", antwortete er mit leichtem Sarkasmus in der Stimme, als würde er doch wirklich ein lockeres Gespräch führen wollen. Ich stieg in seinen gespielt noblen Sprachstil ein, als ich weiter nachhakte: „Oh und welch wichtige Aufgabe wurde dir anvertraut?"
Er gluckste leicht auf und holte eine selbstgebastelte Puppe aus seinem Schoß hervor. Zwei Stöcke wurden mit Bandagen überkreuzt aneinander gebunden und ein kleines, undetailliertes Gesicht auf eines der vier Enden gemalt, wodurch es zu einer strichmannähnlichen Puppe wurde.
„Das ist Herr Stöckchen, Igelchens treuer Begleiter. Er muss immer dabei sein, hat aber Angst vor Wasser und Feuer, deshalb soll ich auf ihn aufpassen, während Igelchen und Owl unten spielen."
Ich konnte nicht anders als gerührt zu lächeln, wobei ich meine Mundwinkel mittlerweile deutlich angestrengt spürte. Die Schürfwunde brannte kurz auf, weswegen ich mich ihr wieder zuwand.
„Äh, Traeder, weißt du, ob Owl in ihrem Rucksack ein Taschentuch oder so hat?"
Er deutete nur auf die äußere Tasche, die eigentlich für Getränke gedacht war, aus der ich eine Taschentuchpackung herausragen sehen konnte. Seine Stimme hatte er wieder verloren.
Ebenso stumm wie der Mann nahm ich die Tücher und begann mir mit einem davon die paar Kieselchen aus der aufgeschürften Stelle zu picken.
„Gehts?", fragte die Stimme, die zu dem Mann gehörte, der den ganzen Prozess über meine Wunde angestarrt hatte. „Ja, schon gut, ich hatte schon schlimmere Verletzungen.", wobei er auch die Anspielung auf die Narbe an meiner linken Schulter verstand und nach einem kurzen Blick auf besagte Stelle sofort wegschaute, als fühlte er sich nicht angesprochen.
Ich führte meine Säuberung fort, Traeder betrachtete das ganze immer noch fasziniert und zog die Lippe etwas hoch, weshalb ich ihn fragend anschaute, „Hm?".
„Das sieht echt eklig aus, was pulst du so in der Wunde rum?"
„Ja 'tschuldigung wenn der Herr Kopfgeldjäger nicht mit dem Anblick von Schürfwunden zurecht kommt.", machte ich mich gezielt lustig, weswegen er sich gleich verteidigte:
„Ja ne, aber du pulst die ganze Zeit da drin rum!"
„Ich will doch keine Steine drin haben, das tut dann weh. Und Opeme brauch ich da auch nicht gleich, das kann ja selbst verheilen, wenn eben kein Dreck drin ist."
„Nh, mmh- ja, aber. Eh, trotzdem."
„Trotzdem was?", während ich sprach musste ich aufgrund seiner ungewohnten Art so zu stottern lachen, was er im Unterton erwiderte, als er wieder richtige Worte gefunden hat: „Ja, trotzdem sieht es nicht wirklich appetitlich aus."
Und erstaunlicherweise scherzten wir lachend noch ein wenig weiter, bis ich fertig war und er keinen Grund mehr zum weg- und wieder hinschauen hatte.
Nach kurzem Schweigen, das bald wieder eingetreten war setzte ich zu einer ernsteren Frage an:
„Ähm, mich hats mal interessiert.. Gottlieb Orgler war ja auch ein Mensch und.. naja, du schienst nichts gegen ihn zu haben, nicht so wie.. bei uns. Bei ihm hat es dich nicht gestört, dass er noch hier in Munterris lebt. Was haben Liam und ich denn gemacht, dass du uns so loshaben willst?"
Schlagartig verfinsterte sich seine Miene, sein Blick schweifte in die Ferne ab, als hätte er eine Erkenntnis oder doch nur einen Einfall gehabt, einen Grund im Kopf gefunden, der ihn anschrie uns wegzuschicken, doch er teilte ihn mir nicht mit.
Trotz dem Spaß, den wir kurz zuvor gemacht hatten stand er nur auf, die Pup- Herr Stöckchen, in der Hand haltend und drehte sich von dem Bach, der spielenden Gruppe und mir weg und lief ohne jeglichen Ansatz einer Erklärung zu seiner Nachtkemmer zurück. Irritiert folgte ich ihm mit den Augen, blieb nach hinten gedreht an meinem Platz sitzen und verstand nichts mehr -
Hab ich was falsches gesagt?

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt