3. des Sonnennebelbeginns| August, Himelis; Liam
Der Aufzug bewegte sich für meinen Geschmack viel zu langsam in seinem zuckeligen Knarren wieder in Richtung Boden, und während die Leute bei einer Achterbahn meistens den Looping ersehnen, konnte ich vor Vorfreude auf den Boden kaum an mich halten. Nunja, ich will nicht ganz übertreiben, es war schon ein atemberaubender Anblick, morgens aus dem Fenster zu blicken und durch eine rötliche Wolkendecke kein Stück Boden, höchstens dunkle Baumspitzen zu erkennen, die einen durch ihr Versteck zu beobachten schienen und nur auf den richtigen Moment warteten, einem im frühen Tiefschlaf zu überfallen. Nicht wie die beiden Schatten, die auf den Moment gewartet hatten, wo unsere Owl der Schlaf der Ohnmacht heimgesucht hatte. Mittlerweile trug sie Traeder nicht mehr vor seiner Brust, sondern hatte sie neben sich auf der Holzbank liegen, ihr Kopf auf seinen Knien. Ihre Füße auf meinem Schoß. Vermutlich war das trotz ihrem Zustand sicherer für sie, als bei Bewusstsein runterzufahren, sie war schon bei der Auffahrt vor Staunen und Gucken fast hinausgefallen. Dennoch: Ihre eigentlich leicht sonnengebräunte Haut wirkte blass wie unsere bei unserer Ankunft noch war, die Ruhe von ihrer kratzig kecken Stimme fehlte und sorgte für eine unangenehme Stille, die selbst der pfeifende Wind nicht nehmen konnte und ohne das stechende Gelb ihrer eigenartigen Augen mit den rechteckigen Pupillen wirkte der Grauwald noch grauer. Mir war vorher noch nie aufgefallen, wie sehr sie die Stimmung gehoben hatte, mit ihrem Sarkasmus und generell.. ihrer Art halt. Traeder sagte nichts. Meine Schwester sagte nichts, musste sie ja auch nicht, da Igelchen auch nichts sagte und ohne Regung neben ihr saß, nur zwei ihrer Finger umklammert haltend. Und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Wow Liam, du hast deine Angst ja echt gut im Griff grade.", unterbrach meine Schwester schließlich das Flüstern des Windes. „Hm- Oh, ja.. mhm. Es ist ein bisschen besser, ich hab mich.. schon etwas gewöhnen können.. Außerdem ist grade kein guter Moment für Panik.."
„Schön, dass du immerhin schonmal Situationen einschätzen kannst. Macht das Zusammenleben um einiges angenehmer.", merkte Traeder scheinbar scherzend an, da ein Lächeln über seine Mundwinkel zuckte und er leicht in sich hinein gluckste. Ich hatte keine große Lust auf ein gemeinsames Zusammenleben mit dem Kerl. Egal, wie lang wir schon bei ihm waren, ich sah nicht wirklich, was er eigentlich für uns getan haben will, was nicht auch mindestens zum Teil zu seinen Gunsten geschehen ist. Oder eher, das meiste scheint zu seinen Gunsten gewesen zu sein, weil er uns loswerden wollte von "seiner Welt", obwohl wir keinen Platz auf "unserer Welt" hatten, wie er immer sagte.
„HUÄÄH!", schrie ich auf, als der Aufzug mit einem knarzenden Schlag das Ende der Schienen erreichte. Die Holztür wurde von dem fuchsartigen Wärter geöffnet und wir Passagiere konnten der Reihe nach aussteigen. Ohne auf den Rucksack zu achten, der ja eigentlich meine Aufgabe war, stürzte ich von dem wackligen Fahrstuhlgestell und warf mich auf den Boden.
„Aah, endlich wieder fester Untergrund, hach, guter alter Boden, ich hab dich so vermisst..", murmelte ich doch etwas lauter, als Felyx, die das Gepäck für mich genommen hatte, ihren Kommentar dazu gab: „Ich will dich nicht enttäuschen Brüderchen, aber da oben sind wir auch nicht auf Wolken gelaufen."
„Ach was, ehrlich? Aber hier muss ich keine Angst haben, dass ich bei einem falschen Schritt in den Tod falle!", raunzte ich zurück, „Aber was ist jetzt mit Owl?", lenkte sie sofort meine Aufmerksamkeit zu sich. Igelchen war von alleine aus dem Aufzug gehüpft und beäugte Traeder mit dem Mädchen auf dem Arm. „Sie atmet schon wieder besser.. Sie müsste bald aufwachen... hoffe ich..", seine Augen waren besorgt halb zugefallen und als er sie auf den moosbedeckten Boden der Lichtung ablegte hatte ich nicht genug Zeit für Hass übrig und rutschte neben ihn, ebenso meine Schwester. „Wird es ihr bald wieder gut gehen?", fragte Igelchen mit noch größeren Knopfaugen als eh schon. „Bestimmt Kleiner, ganz sicher. Du musst wissen, wie klein sie auch ist, der Terra ist kein Berg gewachsen.", lächelte Traeder dem Kind zu, wandte sich dann uns zu: „Er hat Owl noch nicht ohnmächtig erlebt müsst ihr wissen, früher, als wir noch mehr unterwegs waren mit.. naja, da kam es ständig vor, dass sie irgendwo raufgeklettert ist und doch schneller runterkam als geplant. Aber in den letzten Jahren waren wir eigentlich kaum noch außerhalb der Moosebene..".
„Also ist das nicht schlimm, also dass Owl ohnmächtig ist? Wenn das schon öfter vorkam kann es doch nicht schlimm sein, oder?", fragte auch Felyx besorgt, eine Hoffnung aussprechend, die ich im Inneren ebenfalls pflegte. Bevor Traeder wieder aufklären, oder Pessimismus streuen konnte, gab die Terra schon ganz von selbst erste antwortende Laute von sich.
«Eeh..», knurrte sie, als hätte man ein Grizzly-Junges aus dem Winterschlaf geweckt und drehte sich ähnlich auf die Seite. „Nein, es is nicht schlimm.", entgegnete der Mann trocken, „Abgesehen
davon, dass sie sich benimmt als wär es 4 Uhr morgens. Samstags. In der Arbeitsphase."
Sie arbeitete?
„Und dabei arbeitet sie nicht mal, sondern tut nur so, als würde sie mir dabei helfen."
Achso, na dann. Es war schön, wenn die Fragen schon beantwortet wurden, bevor man sie überhaupt gestellt hatte.
«Mmmh... ich..»
„Aber es stimmt schon, so lange war sie noch nie weg...", nuschelte Traeder zu sich selbst.
Doch glücklicherweise richtete sich die Terra allmählich auf, ein gelbes Flackern drang durch ihre Wimpern, die schlaftrunken auf und zu flatterten, bis sie die Augen ganz öffnen konnte. Traeder legte ihr eine Hand an den Rücken, um ihr beim Aufsetzen zu helfen, was nach einigen Sekunden ganz gut funktionierte. «Sind wir.. schon wi- HUARGH.», doch bei dem Versuch, ob sie alleine sitzen konnte, fiel sie rückwärts wieder auf den Boden, sobald er seine Hand weggenommen hatte und nicht schnell genug wieder reagierte. Diesmal schaffte sie es selbstständig, sich aufzurichten. Eine Hand löste sie vom Boden und rieb sich die Stirn, suchte ihren Kopf ab, bis sie sicher ihre Fliegerbrille auf der Pilotenmütze ertasten konnte und nahm die Hand wieder stützend an ihre Seite. Unser Begleiter hatte die ganze Zeit seinen Arm sicherheitshalber neben sie gehalten, falls sie wieder umkippen sollte, bis sie das Signal gab, das uns von unserem Luftanhalten befreite: «Uff. Mir gehts wieder gut Leute, passt schon.. danke.»
Mit einem Ruck fielen wir zu dritt über sie her. Igelchen, Felyx und ich zogen sie in eine Umarmung und drückten sie fest. Dabei wippten wir ein wenig von einer Seite zur anderen, unsere Erleichterung in durcheinander geplappertem Gesäusel ausgedrückt: „Owl, dir gehts gut"„Aach, ich hab mir solche Sorgen gemacht, pass verdammt nochmal auf nächstes mal!"„Ooooowl, du bist wieder wach, ich hab Angst um dich gehabt! Du darfst nicht einfach so umfallen, was, wenn du nächstes mal nicht wieder aufwachst!"„Oh Mann, Owl ey, du solltest doch vorsichtig sein, du weißt doch, was passieren kannst, was wenn wirklich mal was passiert!"
Und allem voran ganz oft, „Owl, du bist wieder wach!", was sie nicht unkommentiert ließ:
«Ach echt, hätt ich gar nicht mitbekommen, wenn ich nicht, naja, wach wär!», endlich brach wieder einmal ihr freches Auflachen nach ihren sarkastischen Sprüchen das Knistern des Grauwaldes. Traeder blieb fern von unserem Haufen, sein Atem zitterte allerdings auch unter leichtem Auflachen: „Owl ey.. war doch klar, dass du ausgerechnet dann in Ohnmacht fallen musstest."
Unsere große Erleichterung gab ihr wohl kleine Bedenken, als sie immer noch mit scherzendem Unterton fragte: «Was ist denn passiert, dass ihr so aufatmet?»
Wir, die sich mittlerweile aus der Gruppenumarmung gelöst hatten und einfach freudig strahlend um sie rumsaßen, was sie wohl noch mehr irritierte, wussten nicht, wo wir anfangen sollten. Im Gegensatz zu dem Außensitzenden, der seine Ruhe wieder gefasst hatte: „Gerade als du dich entschieden hast, wegzutreten, haben sich zwei Blutgeister gedacht, hinzutreten zu müssen. Und sagen wirs so, ich hatte mit dir alle Hände voll zu tun, weshalb ich nichts tun konnte."
Owlgamer blinzelte nur verwundert, bemerkte dann aber auch das Blut an Felyx Shirt und deutete nur mit stummer Frage darauf. „Ja, die Zwillinge haben für mich gekämpft."
„Jaa, du hättest sie sehen müssen, Owl! Sie sind die ganze Zeit rumgesprungen, ich konnte sie kaum sehen! Ich hab natürlich auch auf dich aufgepasst, dass sie dir nichts tun, wenn sie Traeder erwischt hätten! Aber das war gar nicht der Fall, weil Liam hat dem einen Wölf seinen Dolch mitten ins Maul geschmissen und dann, dann war da noch so einer, der wollte sich auf uns stürzen, nachdem er Felyx weggehauen hat und-", doch Traeder unterbrach Igelchens aufbrausende Erzählung, indem er ihm den Rücken streichelte. „Jedenfalls hat Felyx mir mal wieder den Degen gestohlen und feststellen können, dass Glaive tatsächlich zu mehr als dem Kratzer an ihrer Schulter fähig ist."
«Ääh..», formulierte die von Informationen überwältigte Owl eine weitere wichtige Frage.
„Schepper, depper, klepper, Rolle, roll war das passendste. Hey, wir könnten doch schauen, ob der Kopf irgendwo hier unten liegt, als Erinnerung an deine erste Enthauptung.", ärgerte ich meine Schwester noch einmal mit ihrer Gewalttat von unserem Kampf.
«Moment mal, du hast einen Wölf geköpft? Oh Mann, nächstes mal muss ich wach sein, so einen Kommentar darf ich mir doch nicht einfach so von Liam klauen lassen!», befahl sich die quirlige Munterrerin selbst. «Aber Sekunde mal, wie lange war ich bitteschön ausgeknockt!?»
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Im Auge des Juwels - Verborgene Welt
FantastikKatzen mit der Statur eines Menschen, Drachen mit Pferdekopf und junge wie vor Alter graue Magier schlendern über den Dorfplatz, den man durch die Fenster erkennt. In einem der Räume des kleinen unterirdischen Hauses hängt eine grüne, weiß bestaubte...