{ 4 } Die Hölle wär doch schöner... { 4 }

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4. Juni, „Zuhause";  Felyx

Ich schrie wie wild. So laut ich nur konnte schrie ich um Hilfe, in der Hoffnung, Jemand würde kommen. Jeder Schrei ein stummes Gebet, dass mir Jemand helfen würde, dass Mama wiederkäme. Dass Papa wiederkäme. Doch Niemand erhörte diese Flehen, so schien es mir, als diesmal mein Hals auf das Sofa gedrückt wurde und mein Schreien in einem Japsen endete. „Du kleines Miststück, jetzt halt schon dein Maul.", aber ich konnte nicht aufhören zu wimmern. Ein Schatten, ein Fleuchen in meinem Augenwinkel. Ich hätte die Gestalt nicht wahrnehmen dürfen, so unauffällig, so gliederte er sich in die Umgebung ein, als wäre er ein Teil von ihr. Ein Häufchen Elend, das beschrieb ihn am besten, verheult und Blut auf dem einst weißen T-Shirt. Dieses Häufchen Elend, das ich so oft vor Idioten gerettet hatte, war der, der mich gehört hatte. Der mein Leiden gehört und gesehen hat. Und der nun bereit war, es zu beenden.
Liam schlich am Kamin vorbei, meine Augen huschten wieder zu dem Drecksack über mir, doch glänzte Stolz in ihnen. Das Geräusch von Metall, das an Metall streift surrte in unseren Ohren und machte Holger aufmerksam, doch ehe er aufsah traf ihn die Schaufel für die Asche an der Stirn. Er fiel mit einem Aufschrei von mir herunter auf den Boden, ließ mich verstört und wie paralysiert liegen. Mein Bruder sprang zur Couch und packte mein Handgelenk, „Komm!". Wir Beide wussten nicht wohin, nicht was zu tun. Den Feind direkt unter uns rannten wir instinktiv nach oben, in unser Zimmer. Die Tür verschlossen, Sachen davor geworfen. „Was machen wir jetzt?", fragte mich Liam panisch. „... Keine Ahnung... Ich.. Holger ist nicht KO gegangen, aber wir haben ein bisschen Zeit."
„Diesmal bringt es uns aber nichts, auf Mama zu warten. Sie wird uns wieder ignorieren und wieder und wieder. Wir können nicht ewig hier bleiben."
„Wir können jetzt nicht runter und nett fragen, ob wir ausziehen können, bringt uns auch nix!"
Liam schaute mich mit gequollenen Augen an. Sein Blick kreuzte für einen Augenblick Meinen und war stärker als ein Hieb. Er würde mich nicht allein lassen. Dieser kleine Held hatte mich gerettet und würde es wieder tun, sei es nur durch seinen Beistand. Ich konnte nicht zulassen, dass er an mir zugrunde geht, dass wir weg mussten, war uns Beiden bewusst. Keine Zeit, keine Hoffnung geschweige denn Ahnung, aber eine Idee flog einem Falken gleich durch meinen Kopf:
„Das Loch! Das Loch im Wald!"
„Was?!", platzte mein Bruder als Antwort heraus, „Wir wissen doch nicht mal, was da unten ist! Vielleicht ja gar nichts, dann hocken wir in einer erdigen Sackgasse!"
„Wer weiß, vielleicht ist da unten ja auch das Paradies! Und meinet wegen ist da unten nur Dreck, aber selbst die Hölle wär doch schöner, nicht?"
Er guckte zu Boden, traute sich nicht zuzustimmen. „Wie kommen wie dahin?"
Ich war erstaunt, dass er nachgab, was er merkte: „Selbst wenn wir in einer Sackgasse hocken, wird man uns irgendwann finden und wenn wir bei Mama sind...", er blickte an sich herab, „dann haben wir genug Beweise, dass sie etwas unternehmen muss!"
Ich nickte entschlossen, jedoch wanderte ich in Gedanken im Raum umher. Wir konnten das Risiko nicht eingehen, runterzugehen, was durch die Tür deutlich wurde. Die Klinke senkte sich und wir hörten ein energisches Rütteln, ein Klopfen, ein Brüllen: „MACHT SOFORT DIE TÜR AUF!"
Wir wechselten einen Blick. „Nicht durch die Tür.", bemerkte mein Bruder nur. „Schön und gut, dass wir sie verbarrikadiert haben, aber lange halten ihn Kissen und Decken auch nicht auf."
Meine Ideen wurden nicht besser: „Wäre es tragisch, wenn wir bei unserem Fluchtversuch sterben?", Liam wurde noch blasser, „Was..?", aber er verstand meinen Blick zum Balkon. „Nein, Felyx, wir können da nicht runter springen, das.."
„Das wäre unser Ende? Und vor der Tür steht die endlose Folter, was wählst du? Und werd nicht zu wählerisch, wir haben keine Zeit!", hetzte ich ihn. Hohl starrte er durch das Glas auf die Baumkronen hinter dem Geländer, dann ergriff er zitternd meine Hand und schaute mir ins Gesicht. Wir eilten zur durchsichtigen Tür und rissen sie auf, hinter uns versuchte Holger nun, die Holztür einzutreten und lange würde er dafür nicht mehr brauchen. Unsere Füße fegten über den leeren Balkon, von Adrenalin beflügelt, das den Schmerz übertönte. „SPRING!", zeriss ich die Luft, ein großer Schritt und wir Beide waren auf das Geländer und ein weiterer Schritt, über die jungen Bäume am Waldrand gesprungen. Wir krachten in Laub und Äste, dumpfe Schläge und tobendes Rascheln in dem Moment, in dem wir am Boden aufschlugen. Wir erlaubten uns keine Pause, nichts gebrochen, nichts zerstochen, also aufgesprungen und weitergerannt. Gehetzt, gejagt. Holger hatte mit bekommen, was wir taten und kam aus der Haustür geschossen, um einiges fitter als wir. Hand in Hand rannten wir um die Bäume, so lange nicht mehr da gewesen, aber alles war uns noch bekannt. Ein Gefühl von Zuhause, das ich schon lange verloren hatte stieg in mir auf und zog mich zu sich und mein Bruder hinterher. „DA!", rief ich und ignorierte, dass Holger es auch hören könnte. Der schwarze Schlund des Waldes kaum entfernt, ein Sprung, ein Satz ins leere Nichts und weg war ich. Die Hand meines Zwillings losgelassen, ihn hinter mir wissend. Der Tunnel durch den wir in die Tiefe rutschten war überraschend kalt, glatt, ein Tunnel mit Metall verkleidet. Er wand sich, er schien Kopf zu stehen und die Welt umzudrehen und wir schrieen wie bei einer Achterbahnfahrt. In einem Traum musste ich gefangen sein, so fiel ich wohl ewig. Doch dann wachte ich auf, nein, ich schlug auf. Unter mir war ein plattgetrampelter Erdboden, mehr sah ich nicht vom Boden aus und aufstehen wurde schwer: „UFF", entwich mir die Luft, als Liam auf mir landete. „Steh auf, du Fettsack!", danken konnte ich ihm anders für die Heldentat. Er antwortete allerdings nicht, sondern krabbelte nur von mir runter. Ich dachte, er wäre vom Schock sprachlos, doch er stotterte. Er versuchte, mir etwas mitzuteilen, doch seine Lippen bibberten, mehr als ein Stammeln schafften sie nicht: „F-F-F- Felyy-yx... d-d..".
Ich richtete mich auf und schaute ihn irritiert an. Ich wusste nicht, wo wir waren und aus seinem Gestammel wurde ich nicht schlau. „Was ist denn?", fragte ich vorsichtig. Sein Starren löste sich nicht, um mich anzuschauen, sondern fixierte etwas direkt vor ihm. Zitternd hob mein Bruder die Hand, mit der anderen stützte er sich am Boden ab. Ich saß locker da und beobachtete seine Bewegung, er zeigte nach vorne, den Mund immer noch zu einem Stottern geöffnet, mein Blick glitt über seinen Arm durch die stockdunkle Gegend, nur ein einziges Licht. Ein grelles Leuchten. Zwei unnatürlich große Augen starrten uns mit ihrem krassgelben Schein an, die Pupillen rechteckig. Ich hätte es für einen Scheinwerfer gehalten, wäre das Gelb nicht für eine Sekunde im Schwarz versunken und nach dem Blinzeln wieder aufgetaucht. Es starrte mich an. Gelbe Augen starrten in angsterfüllte Grüne.

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt