17. Juni, Moosebene; Liam
Zwei Wochen. Was Mama wohl denkt? Was Holger ihr wohl erzählt hat? Oder war es ihr letztlich egal? Es machte mich kaum traurig daran zu denken, dass ich sie vielleicht nie wieder sehen würde. Die Mama, die wir geliebt hatten, war eh schon lange nicht mehr da gewesen.
Zwei Wochen. Wir hatten bei der ein oder anderen Farm Halt gemacht, die meiste Zeit waren wir jedoch unterwegs. Wir hatten schon recht viel von der Moosebene gesehen, wobei es nicht viel gab. immerzu die gleichen Felsvorsprünge und außer Handelskreuz hatten wir kein Dorf mehr besucht, höchstens eines in der Ferne erspähen können. Mehrere Häuschen standen auf einer auffällig großen Klippe, größer als alle anderen die es gab.
Zwei Wochen. Und ich wusste nicht, wie es Igor ergangen war. Ich sorgte mich um ihn, er wirkte so ängstlich als er mit uns redete. „Lavendelchen, was glaubst du, wie es Igor geht?", fragte ich meine Schwester. „Du sorgst dich schon die ganze Zeit um ihn, dabei kennen wir ihn doch gar nicht. Ich bin sicher, sein Problem ist schon längst gelöst.". Die Antwort überzeugte mich wenig, doch ich kaute nur zermürbt auf meiner Lippe. Felyx atmete aus und redete weiter: „Aber ja, ich frag mich auch, wie es ihm geht. Du hast mich schon damit angesteckt.."
„Lasst die Köpfe nicht hängen, es dauert bloß noch circa zwei Wochen bis wir wieder in Handelskreuz vorbeikommen, dann könnt ihr euch ja nach ihm erkundigen!", maunzte es mal wieder von außerhalb. Katha half uns so gut es ging, genauso Aristomeles. Aber Vieles von der Erde war ihnen fremd. Auch das Essen, was immer wieder interessant wurde. Ich habe schon mindestens 17 Mahlzeiten gehabt, die ich nicht mal kannte.
Der Planwagen stoppte bei einer größeren Farm, die Tiere sahen wir nicht, da die Weideflächen hinter dem Gebäude waren, nur ein Muhen drang zu uns durch. Nicht alles schien sich von unserem Planeten abzuheben. Nach der langen Fahrt waren meine Knochen steif und ich musste mich erst einmal strecken, nachdem ich aus dem Wagen gehopst war. Meine Schwester blieb noch sitzen. „Mhh, ich will nicht aufstehen..", murrte sie faul. Sie konnte nie gut schlafen, da wir manchmal auch nachts weiterfuhren und sie das Gerüttel zu sehr störte. Ich lachte leicht und streckte mich nochmal ausgiebig, „Meinet wegen... aber ich muss mich ein wenig bewegen.". Sie nickte nur und wedelte mit der Hand, als Zeichen, dass ich nur gehen sollte.
Mir gefielen die Spaziergänge in dem hellgrünen Gras, die Halme kitzelten mir die Schienbeine, wenn ein Lüftlein ging. Weit entfernte ich mich dennoch nie von den Anderen, verirren wollte ich mich hier auf keinen Fall. Doch diesmal musste ich nicht weit gehen, als mich mein Gefühl zu einem kleinen Haufen schwarzen Schleims zog. Ich blieb einen Schritt Abstand stehen und betrachtete den Glibber. „Pass auf, das ist Blutrausch.", mahnte Aristomeles kühl. „Blutrausch?", fragte ich nur irritiert. „Hat das was mit diesen Blutgeistern zu tun?"
„Exakt. Blutrausch ist das, was diese armen Herzen befällt, wenn sie zu Blutgeistern werden. Es ist einfach nur der Glibber. Es steckt einen an sich zwar nicht durch bloße Berührung an, aber wenn man viel Schmerz erleben musste und gebrochen ist, dann reicht auch das schon aus, um einen zu befallen."
Ich dachte an Zuhause. An Holger. An Mama.. und Papa. An alles, was uns dazu brachte, hier zu landen. Ich konnte die Gedanken nicht steuern, sie schossen einfach in meinen Kopf. Tränen bildeten sich in meinen Augen während ich weiter den Klumpen vor mir anschaut. Mein Kopf gesenkt, meine Augen feucht, als sich eine Träne löste und gerade nach unten fiel, als wäre ihre Bahn mit dem Lineal gezogen. Als sie den Grund erreicht haben müsste fügte sie sich in das Schwarz unter mir ein.
Ein Klopfen. Ein Pochen. Der Schleimklumpen hatte bei der Berührung mit der Träne gepocht und mich aus meinen Gedanken gerissen. Nun pochte er laut weiter, sodass das Geräusch in meinen Ohren weiter schlug. Auch Aristomeles bemerkte die plötzliche Reaktion des Gebildes: „Es pocht wie ein Herz! Aber das dürfte nicht möglich sein, eigentlich ist Blutrausch nicht lebendig. Warte kurz hier, ich gehe und sage Katha Bescheid." und schon trabte er zurück. Ich blieb wie erstarrt stehen. „Dann heißt das doch...", ich hockte mich hin, „..dass da was Lebendes drin sein muss..".
Es war wie ein Ruf, etwas zog mich zu sich. Etwas wollte gerettet werden aus den Qualen dieses Blutrausches. Ohne wirklich nachzudenken streckte ich meine Hand aus.
„LIAM!", hörte ich Felyx über die Wiese schreien, doch es war zu spät. Meine Hand war bereits in den warmen Glibber eingetaucht. Es fraß sich an mir fest wie Piranhas und stach wie Moskitos, doch ich griff weiter hinein, bis ich tatsächlich etwas zu fassen bekam. Ich packte zu, so stark wie ich konnte hielt ich es fest, der Schmerz des Blutrausches war wie verflogen, ich spürte nur noch die Wärme, die Hitze dieses Hass und dieser Wut, die diese Infektion erst verursacht hatten.
Mit einem Ruck zerrte ich meine Beute aus dem Glibber, wobei ich nach hinten umfiel.
Katha und Felyx schauten auf mich herab, „Ist alles in Ordnung? Oh Gott, Liam was machst du denn für einen Schwachsinn!", quoll es aus meiner Schwester heraus. Die Luft um die Beiden war von Sorgen getrübt, wie ein Schleier legte er sich um mich, doch verschwand dann wieder.
Mein Blick huschte sofort zu meiner Hand, in der ich zwei Krummdolche hielt. Sie waren beide leicht gelblich und hatten schimmernde Verzierungen auf der Klinge, der Griff war aus Holz, mit Leder umwickelt. „Ein Dolch?", fragte meine Schwester ungläubig. „Zwei. Zwei Dolche.", verbesserte ich sie bloß. Doch ich wusste, was sie ausdrücken wollte. Mich verwirrte ebenso, dass diese Dolche das Lebendige darin waren. Das Pochen war nämlich so plötzlich verschwunden, wie es erschien. Der Glibber verfloss und sickerte ins Nichts, er löste sich einfach nur auf, bis nichts mehr übrig war. „Aristomeles hat mir von deiner Entdeckung berichtet", fing Katha an, „ich hatte schon so eine Ahnung, dass du auf so eine unüberlegte Idee kommst. Lass sowas in Zukunft bleiben, ich hab mir Sorgen gemacht."
Ich nickte, „Ja.. aber es gibt keinen Grund zur Sorge.."
Zwei Fremde. Katha und Aristomeles. Sie hatten sich um mich gesorgt, wegen diesem Blutrausch.
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Im Auge des Juwels - Verborgene Welt
FantasyKatzen mit der Statur eines Menschen, Drachen mit Pferdekopf und junge wie vor Alter graue Magier schlendern über den Dorfplatz, den man durch die Fenster erkennt. In einem der Räume des kleinen unterirdischen Hauses hängt eine grüne, weiß bestaubte...