{ 11 } Schwein gehabt { 11 }

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26. des Sonnenfrischenwuchs/ Juni;  Felyx

Ein Schrei riss mich aus meinem Schlaf. „Was war das?", fragte Liam schnell atmend. Ich schüttelte den Kopf, um ihm damit zu sagen, dass ich es nicht wüsste. Ein kleines Trappeln war auf dem Holz des Wagens zu hören, Katha war vom Kutschbock, wo er schlief, zu uns gekommen.
„Fein, bei euch scheint alles in bester Ordnung zu sein.", doch bevor er sich wieder hinlegen konnte hakte mein Bruder ein: „Katha, weißt du, was das war?"
„Ich vermute wohl eher wer.", verbesserte er Liam, der seine Antwort am Ende von Aristomeles bekam: „Das klang wie Igor!". Die Farbe verschwand aus unseren Gesichtern, als wir das hörten. Reflexartig sprang Liam auf, ich hinterher, aus dem Planwagen heraus. Katha streckte nur die Pfote aus, als wollte er uns festhalten. Es war richtig, was Aristomeles gemeint hatte, wir Beide konnten Igor sehen, der panisch über das Gras rannte. Ein großer Wolf mit zwei Schweifen schnappte nach ihm, verfolgte ihn. Ein weiterer Schrei kam von dem Munterrer. „Katha, er braucht Hilfe!"
„Wir können nichts tun! Er wird von einem Blutgeist gejagt, der lässt nicht einfach so locker!"
Ich schaute zu meinem Zwilling, der meinen ernsten Blick erst nicht bemerkte. Als dann aber doch, riss er die Augen auf: „Was hast du vor, Felyx?"
Ich war entschlossen, meine Hände hatte ich zu Fäusten geballt. „Der Geist lässt vielleicht nicht einfach so locker. Aber wenn er ein anderes Opfer hat, dann hat er auch einen Grund."
Ich ließ Liam nicht widersprechen und sprintete los, direkt auf den Jäger zu und blieb vor seiner Schnauze stehen, als Igor grade vorbeigehuscht war. „Jag doch Jemanden, der besser wegrennen kann!", rief ich dem Wolf ins Gesicht, der mich nun ins Fixier nahm und als weiter raste. Kurz bevor er bei mir angekommen war wich ich zur Seite aus und rannte weiter, mein Plan ging auf: Der Blutgeist ließ von Igor ab und war mir jetzt auf den Fersen. Meine Lunge brannte, meine Füße flogen über den Boden und ich musste aufpassen, nicht hinzufallen, in dem Wissen, dass es das dann war. Ich machte eine scharfe Kurve, rutschte aus, blieb aber keine Sekunde liegen, sondern stützte mich auf meine Hände und rannte mit aller Kraft weiter. Meine Seite stach heftig und ich bekam kaum noch Luft, meine Handflächen brannten, sie waren aufgeschürft und dreckig. Flüchtig lugte ich über die Schulter und erkannte das Tier dicht hinter mir, sah den schwarzen Schleim, der es komplett überzog auf den Boden tropfen, genauso wie sein Sabber. Die Zunge hing ihm aus dem Rachen und es konnte seinen Erfolg, seine Beute schon riechen, als ich in dem Moment, als ich mich wieder auf das Feld vor mir konzentrieren wollte, mit dem Gesicht auf dem Boden aufschlug. Ich zuckte zusammen, alles brannte, meine Muskeln zogen sich krampfhaft zusammen und meine Lunge knüllte sich wie ein Blatt Papier, doch konnte ich nicht richtig Luft holen, ich schnappte nach Luft, ohne sie einzuatmen. Ich zitterte, meine Arme waren zu schwach um mich wieder auf die Füße hieven zu können.

Ein Quieken drückte mir aufs Ohr, wie ein Schlag, so laut. Mein Bruder war von der Seite angerannt gekommen und dem Blutgeist scheinbar in die Seite gesprungen. Ich drehte mich auf den Rücken, fiel wieder zusammen, bei dem Versuch ihm zu Hilfe zu kommen. Doch das war vollkommen unnötig. Die Beiden lagen ein Stück weiter auf der Seite, der Wolf atmete schwer, Liam daneben setzte sich gerade auf. Er kniete, schaute dem Jäger in die dunklen Augen und stach die beiden Krummdolche, die ihm im Hals steckten tiefer hinein. Mit einem weiteren Aufquieken sackte das verdorbene Wesen zusammen und rührte sich nicht mehr. Kein Atemzug. Kein Herzschlag. Liam schaute ungläubig, ängstlich und schloss die Augen, ehe er dasselbe bei dem Leichnam machte. Er zog die Klingen wieder heraus und ließ sie auf den Boden fallen, um zu mir zu treten. Ich ergriff seine Hände und er half mir auf, meine Wangen und Knöchel waren aufgeschürft, doch ich bekam wieder Luft, wenn wir auch Beide schwer atmeten. Wir wussten nicht, was wir sagen sollten.
Igor kam grunzend angelaufen. „Geht es euch gut?", fragte er, „Oh bei Kreāt, ihr habt mich gerettet, wie kann ich euch das nur danken!", rief er schon von einiger Entfernung aus. „Dieser Wölf war schon die ganze Zeit hinter mir her, das war der Blutgeist, der mich einfach nicht in Ruhe gelassen hat!". Ich verstand, das war, wovon er geredet hatte, als wir in Handelskreuz waren. Aber was war mit Traeder? Warum hatte der ihm nicht geholfen, ich dachte, das war seine Aufgabe?
„Was stellt ihr Beiden denn immer an! Ihr legt es echt darauf an, euch in Gefahr zu begeben!", schimpfte Katha, der auch dazu gerannt kam. Wir konnten nichts sagen, da antwortete Igor schon für uns: „Die Beiden haben mir das Leben gerettet, Katha! Sie haben den Wölf abgelenkt und getötet, das hättest du sehen müssen! Der Junge ist einfach von der Seite in ihn reingesprungen und hat dabei die zwei Dolche so vorgehalten und ist damit mitten in den Hals von dem Biest gekracht. Ich hab so ein Schwein gehabt, dass die Beiden zur Stelle waren!", der Wortwitz in seiner Aussage war unüberhörbar. Bei seiner Ausführung wedelte er mit den Armen und versuchte so, das Ganze zu veranschaulichen. Dem Kater stand untypischer Weise der Mund ein wenig offen. „Oh, das ist..", nuschelte er kaum verständlich, „Ihr habt tatsächlich einen blutigen Wölf besiegt..". Schon wieder. Bei Igor dachte ich noch, es sei ein Dialekt, doch Katha sagte auch „Wölf". „Ich weiß wirklich nicht, wie ich euch das danken kann, wenn ihr jemals etwas braucht, dann werd ich versuchen euch behilflich zu sein!"
Liam schmunzelte peinlich berührt: „Eheh, äh... das ist doch nicht notwendig."
„Wir hätten dich ja nicht einfach sterben lassen können..", fügte ich noch an.
„Doch doch, normalerweise machen Leute sowas gegen Bezahlung! Dafür gibt es ja auch Kopfgeldjäger, wie Traeder!", wieder fragte ich mich, warum der dann nichts getan hatte, „Wisst ihr was, fürs erste kann ich euch eine kleine Bezahlung geben! Ich habe nicht viel dabei, aber reicht das fürs erste?". Igor hielt uns ein kleines Säckchen hin. Ich nahm es entgegen und schaute kurz hinein, nachdem ich das Bändchen gelöst hatte. Einige Münzen waren darin, was ich mir schon hätte denken können. Es waren keine Euro, aber das war eigentlich genauso klar. Mein Bruder schielte auch rein. „Teilt es gerecht untereinander auf, es müssten 50 Kroken für jeden sein." Kroken hieß also die Währung hier. Nachdem Igor uns noch ein paar mal dankte und wir versuchten ihm klarzumachen, dass das selbstverständlich für uns war, verabschiedeten wir uns auch wieder, da die Sonne langsam unterging.
„Schläfst du schon?", flüsterte ich, jedoch bekam ich keine Antwort, woraus ich schloss, dass dem schon so war. Um meinen Zwillingsbruder nicht zu stören schlich ich aus dem Planwagen und ging zu Katha, der im Gegensatz zu Aristomeles noch wach war. Er saß auf einem Stein nicht weit weg und schaute die Monde an, sein Schwanz schlug immer wieder gegen seine Sitzgelegenheit. War das bei Katzen nicht so, wenn sie aufgebracht waren? Ich setzte mich vorsichtig neben ihn. „Ähm.. Ich wollte mich nur mal entschuldigen und auch bedanken.."
Der Kater wurde auf mich aufmerksam, seine Schnurrhaare zuckten als einzige Antwort, eine Ausführung erwartend schaute er hoch in mein Gesicht. Ich schluckte und fuhr dann wie angekündigt fort: „Es tut mir leid, wenn wir dir, also euch, auch Aristomeles, solche Umstände bereiten. Wir lassen uns von euch durchfüttern und leben bei euch, obwohl ihr uns nicht mal kanntet, als ihr uns aufgenommen habt. Und es tut mir leid, wenn wir immer davonrennen und... im nächsten Moment dann gleich irgendeinen riskanten Kram anstellen."
Es dauerte einige Sekunden, dann antwortete er ruhig: „Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen. Ihr habt damit schlussendlich einem unschuldigen Munterrer das Leben gerettet, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten. Und dass wir uns um euch kümmern.. ihr meintet vorhin selbst, ihr habt selbstverständlich gehandelt. Ihr seid hier gelandet, ohne den Ort zu kennen und ohne zu wissen, dass unsere Welt existiert. Was hättet ihr sonst tun können? Außerdem helft ihr gut mit dem Laden aus.". Ich musste grinsen, so gute Aushilfen waren wir auch nicht. „Ich will so viel wie möglich lernen, aber es ist einfach so viel. Mich überfordert das alles, mit den unterschiedlichen Namen für die Monate, dem Geld und generell... es ist so anders zur Erde."
„Was ist es denn diesmal?", fragte er geduldig. „Wölf. Wir haben ein Tier namens „Wolf", das eigentlich genauso aussieht, wie ein Wölf, nur eben mit einem Schwanz und sie sind kleiner."
„Das war auch schon der Unterschied. Wolfs sind eine munterrische Spezies. Es gibt praktisch keine Wölfe wie auf der Erde hier, außer... naja der ist nicht so wichtig, hoffe ich stark für euch."
Das warf zwar nur noch ein Rätsel auf, doch ich fragte nicht weiter nach. „Ah. Okay.."
„Das war nicht sonderlich schwer, oder?"
Ich nickte hohl, mein Blick verschwand irgendwo in der Ferne. „Trotzdem.. Ich bin neugierig. Ich will alles wissen, was es zu wissen gibt. Und bestenfalls will ich mir das auch merken können, aber ich kann nicht jedes mal nochmal nachfragen."
Katha schien nachdenklich, eines seiner Ohren, das aus einem Schlitz seines Zylinders rausschaute, zuckte, sein Schwanz hatte sich beruhigt. „Warte kurz hier.", mit diesen Worten stand er auf und ging zum Planwagen. Er versank in dem Gerümpelkorb und kam kurz darauf wieder zurück, ein Buch in schwarzem Einbund unter den Arm geklemmt. „Dann kann ich dir jetzt mal beibringen, wie so die Verhältnisse mit unserem Geld sind. Wir haben nur eine Währung hier, die Kroken. Es gibt bloß Münzen, von verschiedenem Wert.". Ich schaute zu dem kleinen Beutel in meiner Hosentasche. Liam und ich hatten wie gewünscht geteilt und noch ein zweites Säckchen von Aristomeles bekommen. Er meinte, er bräuchte sein Geldsäckchen eh nicht, da Katha es für Beide aufbewahrte. „Dieses Buch habe ich einst gefunden, als ich in den Wäldern unterwegs war. Jemand hat darin alle möglichen Sachen notiert, die Munterris mit Vergleichen und Zeichnungen für Erdlinge erklärt. Wenn du willst, kannst du es haben. Für zehn Kroken."
Der Händlergeiz sprach aus ihm. Ich durfte das Buch kurz nehmen und reinschauen. Es war kein mir bekanntes Format, es wär länger als hoch und der Einbund war aus dem gleichen Material, wie die Hardcover auf der Erde. Die Seiten waren nicht bedruckt, aber so wie Katha sagte wurde mit einer geraden, lockeren Schrift ein Haufen Zeug reingeschrieben, Vergleiche zwischen Munterris und der Erde, Zeichnungen und weitere Grafiken. Ich kramte zwei Münzen aus dem Beutel, jeweils fünf Kroken wert. Sie verschwanden von der Pfote sofort in einer der inneren Taschen des Smokings. Katha lächelte fröhlich und ich schnippte ihm einmal gegen das zuckende Ohr. Ich hatte es die ganze Zeit im Augenwinkel und es war einfach so verlockend. „EY!", maunzte er und hielt beide Pfoten auf besagtes Ohr. Ich kicherte als er begann zu schnurren.
„Bald seid ihr einen Monat bei uns.", warf er in den Raum. Wir starrten Beide abwesend in die Sterne. „Schon einen Monat...", murmelte ich. Schon einen Monat. „Vielleicht kommt ja bald mal etwas frischer Wind in euer Abenteuer hier.", miaute der Kater. Ich senkte meinen Blick auf das Buch in meinem Schoß. Ein Kribbeln durchfuhr mich bei dem Gedanken, dass egal was auf uns zukommen würde, ich im Dunkeln tappte. Wir im Dunkeln tappten. Weil alles, was ich wusste war, dass mein Bruder und ich beisammen bleiben würden, was auch immer auf uns zu kommen würde.

Im Auge des Juwels - Verborgene Welt  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt