8. des Sonnennebelbeginns| August, Ruhenbruch; Liam
Wir wären keine zwei Minuten gestanden, hätten wir tatsächlich versucht, zu kämpfen. So hetzten meine Schwester und ich eine gefühlte Ewigkeit über den unter unseren Füßen kratzenden Asphalt, sahen die Spuren, die unser Gegner in rot auf dem Boden hinterließ bei jedem Schritt, den er machte. Seine Pfotenballen waren aufgeschürft, den schwarzen Schleim auf seinem Fell färbte Blut und die silbrigen Haare waren verklebt. Dennoch waren wir zwei die eindeutig erschöpfteren dieses Gefechts.
„Wie lang-", versuchte ich Felyx mit Worten zu erreichen, pausierte für einen weiteren Sprung beiseite, „Wie lang willst du das noch machen?!", doch mehr als ein ratloses Kopfschütteln bekam ich nicht. Auf ein Ende zu hoffen wirkte albern, hochmütig und wäre unser sicheres Verderben gewesen, aber keiner von uns traute es sich, einen Schlag zu landen oder auch nur vorzupreschen um sein Glück zu versuchen.
Eine Gänsehaut rollte sich meinen Rücken hinab, als Blizzer seinen Kopf in meine Richtung schlug und mir mitten ins Gesicht starrte. Während meinem Zögern regte er sich kein Stück weit, wieso sollte er sich auch beeilen. Einen Moment abgelenkt von dem Körper hinter ihren Füßen, der damit kämpfte sich aufzuraffen, bemerkte mein Zwilling ihre Gelegenheit nicht.
Die Luft zitterte unter dem Knurren des Wolfes und rüttelte mich aus meiner Starre, ein Zucken durchfuhr meinen Körper und eine weitere Welle von Gänsehaut schwappte über mich. Aus meinem Schreck heraus warf ich reflexartig meinen Dolch nach vorne, solange mein Ziel noch still stand- bis es quiekend zurückfuhr.
Mit einem dumpfen Klirren klackte die Klinge neben dem Halbgeist auf den Boden, rot benetzt von der Furche, die sie auf der schwarzen Schnauze hinterlassen hatte.
Kurz erfassten meine Augen noch die meines Gegenüber, doch sofort warf ich mich aufkreischend zur Seite, ächzte wie ich spürte, dass meine Ellbogen aufrissen und den Dreck der Straße auffingen.
Was Felyx und ich die ganze Zeit über versucht hatten, zu vermeiden war passiert. Hinter uns lag der bereits besiegte Traeder, der es bis auf seine Unterarme gestützt geschafft hatte und mit uns beiden gemeinsam dem Angreifer entgegen kauerten.
Wir drei waren auf einem Haufen versammelt, saßen im Fokus, im freien Weg, sodass Blizzer nur eine Bewegung gebraucht hätte, uns alle auf einmal zu erreichen. Wenige Meter trennten uns voneinander, trennten mich von meiner zweiten Waffe und auch der heilige Degen, den Felyx so locker hielt, dass er beinahe runter fiel, konnte nicht genug ausrichten, um uns zu retten. Wie offensichtlich wir auch selbst an unserer Situation Schuld waren, konnte mein Kopf mir in dem Augenblick nichts besseres dauernd wiederholt eintrichtern, als dass wir deutlich leichteres Spiel gehabt hätten, wäre Ruhenbruch nicht wie ein Linealstrich an einer langen, breiten Straße gebaut worden, ohne jegliche Gassen oder Abzweigungen.
Eben diese offene Lage machte sich der Blutgeist zu Nutze, fühlte den Halt unter seinen Hinterpfoten, spreizte die Zehen und rannte mit auf Stein schleifenden Krallen auf uns zu.
Einzeln abgehackte Paukenschläge gab mein Herz von sich, im Takt zu jedem mal, wenn eine der Pranken auf den Boden aufschlug, alles was geschah, dieser eine Moment, verging als wären es dutzende eigene gewesen. Nicht viele Schritte benötigte er, nicht viele Sekunden vergingen, bis er nur eine weitere Länge seiner selbst vor uns ankam und einen Satz in die Luft machte. Mir stand der Mund offen und ich wünschte, mir wären noch ein paar letzte Worte eingefallen, doch sowohl meine Schwester als auch ich konnten nur unsere Waffen fallen lassen und die Hände schützend über unsere Köpfe heben, als hätte es irgendwas gegen den aufgerissen Kiefer des Wolfs gebracht.
Mit einem mal verwischte etwas die Sekundenschläge, rot getränkt und schwarz-weiß gekleidet huschten drei Farben zwischen Felyx und mir voran, doch alles schien blau. Mir war, als würden an einer Uhr die Zeiger wild gedreht werden, wie es der Mechanismus selbst gar nicht konnte, und dann schlagartig festgehalten, als Traeder aufrecht zwischen Blizzer und uns stand, die Hand ausgestreckt, bereit ihn wie eine Mücke zu fangen. Und sobald die zwei Kämpfer aufeinander krachten war es plötzlich eiskalt.Silbern glänzte das Metall vor dem gleichfarbigen Pelz, schwarz traf auf schwarz und beide blutbesprenkelt. Die nadelfeine Klinge bohrte sich in den Rachen des Wolf. Mit einem dumpfen Pochen setzte die Klarheit wieder ein, mit einem dumpfen Pochen stürzten Traeder und Blizzer zu Boden. Verwirrt warf ich meinen Kopf in alle Winkel, die mein Nacken zuließ, meine Schwester stand wacker neben mir am Rand, bei Igelchen und seiner Beschützerin. „eh-Wa- äh, wie sind-", stammelte Felyx, jedoch glotzte Owlgamer uns zwei mit einem Ausdruck an, der die gleiche Ahnungslosigkeit verriet. «Wie seid ihr hierhergekommen? Ihr- ihr standet grade doch noch da- aber- wie..», formulierte die Terra unsere Frage. „Traeder!", rief ich wie einen Geistesblitz aus, womit ich die Aufmerksamkeit von uns vieren wieder nach vorne lenkte.
Als wollte er ein lästiges Halsband loswerden, schüttelte Blizzer würgend seinen Kopf, spuckte Glaive mit einem Schwall Blut aus. Taumelnd wankte er ein Stück nach vorne, röchelte und hustete einige ehemals weiße Stofffetzen aus seinem Gebiss heraus. Weit kam er nicht, schaute zurück und fing uns ungeachtet den Blick Traeders auf, ehe er in wenigen voreilenden Hinken mit einem Lufthauch verschwand.
Der zu Boden gestürzte Munterrer verlor seinen ernsten Gesichtsausdruck und zeigte das erleichterte Lachen dahinter. Schnappartig japste er nach Luft und bei jedem Atemstoß bildete sich eine kleine Dunstwolke vor seinem Mund. Nun fiel auch mir auf, dass die Härchen an meinem Arm vor Kälte gesträubt waren, die Regenpfützen von letzter Nacht waren spiegelnd gefroren und zeigten mir mein blasses Gesicht, die Tropfen an den Hecken kugelten sich an den Spitzen der Blätter und zerbrachen wie Glaskugeln auf dem Steinpflaster.
„Traeder!", rief nun auch Igelchen nochmal seinem Freund zu und wie auf Kommando rannten wir vier auf den Mann zu. Die Stofffetzen, die nicht weit weg bei der Waffe lagen, waren allen Anscheins nach aus seinem Hemd rausgerissen, das zu seiner Brust hin einen großen Riss aufwies. „Uff- Igelchen, au!", stöhnte er, als sich der Sechsjährige in einer Umarmung auf ihn warf. „Traeder, ist alles in Ordnung?", fragte Felyx, merkte aber selbst, wie blöd die Frage angesichts seines Zustands war.
«Viel wichtiger finde ich grade die Frage, WAS du GEMACHT hast?!», platzte Owlgamer in seine Zeit zu antworten. Wir widersprachen ihr in unserer Neugier ausnahmsweise mal nicht.
„Ich-", hob er an und nahm sein Jackett an, das die Terra ihm hinhielt. Obwohl er es mitten im Kampf an den Rand geschmissen hatte, war es erstaunlich unbefleckt. Kaum berührte seine Fingerspitze den Stoff ließ das Mädchen los, erschrocken von dem hellblauen Schimmer.
Einer der vier Steine, die wir von Hii'rimi erhalten hatten fiel entgegen sämtlicher physikalischer Gesetze aus der Jackentasche und kullerte immer stärker leuchtend über den Asphalt. Traeder warf einen skeptischen Blick in die Runde, bückte sich ohne Rückmeldung zu erwarten nach dem Juwel und hob es auf. Aus seiner Hand formten sich grelle Striche auf dem eisblauen Stein, bildeten die Form einer zusammengerollten Schlange.
Sie schien zu wachsen und als sie von der Handfläche hinunter quoll, schlängelte sich die leuchtende Linie ihren Weg, uns umkreisend. Das weißgrelle Leuchten blätterte ab und entblößte Schuppen, graublau wie der wolkig geflockte Himmel. Mit einem Schütteln sträubte das Wesen einen weißlichen Flaum über seinen Augen weg, die an den Seiten eines Drachenkopfes blinzelten. Am Rande der Stirn bildeten sich aus dem weißen Schäumen ein Federkranz, die von dem hellen Ansatz in blaue Spitzen flossen, von der Farbe wie die Augen des Munterrers, auf den die Kreatur reagierte. Zwei Flügel überschirmten unsere Gruppe, bestückt von den gleichen Federn, wie sie sich an Kopfspitze und dem Fächer an der Schwanzspitze des schlangenförmigen Drachen spreizten. Mit großen Augen folgten wir dem Glänzen, das sich zu dem Drachen formte, bis zum letzten Moment, als er auf uns herabschauend den Schnabel gähnend klappern ließ und seine vier klauenartigen Füße auf dem Untergrund absetzte.
«Ääh..», stotterte Owl, den Mund genauso wie alle von uns zu einem Erstaunen geöffnet, «Jetzt musst du echt mal was erklären, Kumpel.»
„Alles was ich sagen kann, ist, dass die Zeit angehalten war.", nuschelte Traeder, nicht weniger beeindruckt als wir.
Wir zuckten allesamt zusammen bei dem Klang der tiefen Stimme, mit der der Drache sprach: „Die Zeit war nicht einfach angehalten. Sie wurde eingefroren."
„Die Zeit wurde.. eingefroren?", fragte ich verdutzt, wobei ich mich umschaute und in der immer noch leeren Umgebung die gefrorenen Pfützen ausmachte, die in der zurückgekehrten Hitze des ausklinkenden Sommers auftauten. „Die Zeit wurde eingefroren und wieder aufgetaut, zusammen mit allem, was sie umfasst. Das ist es, was der blaue Juwel macht."
„Blauer Juwel, wie- Was, ne-"
„Was, Traeder?", unterbrach ihn der Drache, fuhr dann aber ohne weitere Beachtung der Verwunderung fort: „Ich sollte mich besser ausdrücken, der blaue Juwel ist nichts weiter als meine Gestalt, über die Zeit, in der ich ohne Herren war. Und ich war es nicht, der die Zeit eingefroren hat."
«Is gut, Zeit eingefroren, aber jetzt sag doch einfach mal, was los is!», schnauzte Owlgamer den Drachen ungeduldig an, was dieser belustigt hinnahm: „Heh, du kannst mir nicht sagen, dass einer aufmerksamen Terra wie dir entgangen sein soll, was ich sagen will? Aber ja, ich sollte mich vielleicht doch lieber vorstellen. Ich heiße Novisse. Meine Aufgabe ist es, dir beiseite zu stehen, wann immer du mich rufen solltest."
Überfordert blinzelte Traeder, verarbeitet wohl etwas schneller als wir Beide die Informationen und kam selbst auf die Idee, was sein neuer Begleiter klarmachen wollte: „Heißt das.. das mit der Zeit.. war ich?", was Novisse nur schnaubend benickte, „aber das heißt dann auch, dass ich das... blaue..Juwelauge.."
Es war ein schöner Anblick, dass sich unser eitler, allwissender Begleiter endlich mal so ahnungslos wie wir fühlen musste. Doch eitel genug, um sich selbst als Juwelauge anzuerkennen schien er nicht zu sein.
„Viel Zeit zum Reden bleibt nicht.. Blizzer ist zwar fürs erste anderweitig beschäftigt, aber die Blutgeister kennen dich und sie werden nicht gnädiger, weil du eines der Juwelaugen bist. Eure Reise hat ein Ziel und ihr könnt einen weiteren Schritt in dessen Richtung machen. Der blaue Tempel ist geöffnet, sucht ihn in den Wäldern. Du musst lernen, mit deiner Fähigkeit umzugehen, wenn ihr vorankommen wollt. Ich werde dir gerne jeder Zeit zu Seite stehen, sobald du weißt, wie du mich rufst."
Die Blutgeister kennen Traeder? Was meinte Novisse damit? Er hatte uns seine Kampfkünste bereits bewiesen, ebenso wie seine Anziehung auf diese armen Geschöpfe, doch wieso sollten gebrochene Herzen ausgerechnet ihn kennen?
Ohne eine weitere Antwort geben zu wollen beugte sich der um uns geschlängelte Drache vor, legte behutsam seine federgezierte Stirn an die des frischen Juwelauges und öffnete den Schnabel zu einem Flüstern, ein Hauchen, ehe er sich in ein eben solches auflöste und nicht mehr als ein helles Glänzen in den eisblauen Augen des Munterrers zurückließ.
Mit einem prustenden Auflachen ließ dieser sich auf die Knie fallen und rieb sich das Gesicht. „Haa, ich fass es nicht! Was- Juwelauge, ich soll ein Juwelauge sein?!" und irgendwie war ich nicht sicher, ob er kurz vorm weinen stand, weil er verzweifelt war oder weil er sich freute. „Kann es sein, dass Novisse gerne "Zeit" sagt?", quiekste Igelchen irritiert, doch ohne es erst sacken zu lassen konnte von uns keiner zu diesem Zeitpunkt wirklich klar denken.
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Im Auge des Juwels - Verborgene Welt
FantasyKatzen mit der Statur eines Menschen, Drachen mit Pferdekopf und junge wie vor Alter graue Magier schlendern über den Dorfplatz, den man durch die Fenster erkennt. In einem der Räume des kleinen unterirdischen Hauses hängt eine grüne, weiß bestaubte...