Kapitel 13

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Die nächsten fünf Tage zogen sich hin wie Kaugummi. Ich hatte damit gerechnet, dass der Alltag mich wieder einholen würde, aber das tat er nicht. Ganz im Gegenteil. Meine Gedanken kreisten um Mara. Ich vermisste sie. Irgendwie. Jedenfalls dachte ich das. Aber ich wollte Emilia nicht unglücklich machen. Es war verzwickt. Was war richtig? Was war falsch? Was sollte ich tun? Wir waren in den letzten Tagen shoppen gewesen, waren am See baden und hatten Freunde getroffen. Alles war ganz normal. Wenn man mich von außen betrachtete. Innerlich war ich zerrissen. Anders konnte man es nicht sagen. Das Gefühl wurde nicht besser. Ganz egal, wie sehr ich dagegen ankämpfte. Auch die Ablenkung half nicht mehr. Ich fühlte mich unvollkommen. Konnte man zwei Frauen lieben? Oder hatte ich Mara nie ganz vergessen? Hatte ich die Gefühle all die Jahre über nur verdrängt? Und waren sie jetzt wieder da? Oder bildete ich mir das alles nur ein? Ein Klingeln riss mich aus den Gedanken. Es war mein Handy. Ich lag auf meinem Bett und griff danach. Es war Emilia. Ich nahm das Gespräch an.

»Hallo mein Schatz. Was machen wir heute Nachmittag? Wollen wir wieder zum See fahren?«, fragte sie munter. »Ich weiß nicht«, sagte ich etwas unsicher. Sie holte tief Luft am anderen Ende der Leitung. »Stimmt etwas nicht?« Ich erwiderte schnell: »Es ist alles in Ordnung. Ich weiß nur nicht, ob ich Lust habe.« Sie schlug vor: »Dann komme ich gleich erst einmal bei dir vorbei und dann sehen wir weiter. Mein Bikini liegt sogar noch bei dir. Hast du schon etwas gegessen?« Ich schüttelte den Kopf, aber dann fiel mir auf, dass sie das natürlich nicht sehen konnte. »Noch nicht. Aber ich habe auch keinen Appetit. Trotzdem lieb von dir, dass du fragst.« Dann legten wir auf. Eigentlich wollte ich nicht, dass sie zu mir kam. Ich wollte lieber alleine sein. Wie viel sich innerhalb einiger Tage verändern konnte. Unglaublich.

Ich stand auf und ging duschen. Mitten beim Einschäumen hielt ich inne. Es war nur ein kurzer Gedankengang, der völlig verrückt war, aber ich versteifte mich völlig darauf und fantasierte. Was wäre, wenn ich nach Stralsund fuhr? Mara suchte? Die Schule hatte mittlerweile wieder begonnen. Ich konnte hinfahren und das Gespräch suchen. Wollte sie das überhaupt? Würde sie mich für verrückt halten? Würde sie mit mir reden oder mich wegschicken? Es gab viele Risiken, aber ich musste es probieren. Nur so bekam ich Gewissheit, was ich noch für sie fühlte. Es war ein unausgereifter Plan, aber wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann bekam ich es da auch nur schlecht wieder heraus. Ich hatte einen Entschluss gefasst. Doch was sagte ich Emilia? War die Entscheidung nicht vielleicht etwas voreilig? Sollte ich noch einmal eine Nacht darüber schlafen? Aber das tat ich doch bereits. Ich schlug mir die Nächte um die Ohren und fand einfach keine Lösung für mein Problem.

Ich stieg aus der Dusche, trocknete mich ab und zog mich an. Zum Glück war Marvin mit einem Kumpel in den Urlaub geflogen und ich hatte die Wohnung für mich alleine. Ich huschte in mein Zimmer, griff unter mein Bett und zog meinen Koffer heraus, den ich vor einigen Tag erst ausgepackt hatte. Ich musste meine Eltern informieren. Ich konnte nicht einfach dort aufkreuzen. Vielleicht waren sie gar nicht da. Ich schnappte mir mein Handy und rief meine Mama an. »Hey Ella, ist alles in Ordnung?« Ihre Stimme klang besorgt. Nicht ohne Grund. Sie hatte meine Stimmungsschwankungen auch etwas mitbekommen. »Ja, ich wollte dich nur etwas fragen.« Ich hörte, wie sie sich entspannte. »Schieß los«, forderte sie mich auf und ich erwiderte: »Wäre es für euch in Ordnung, wenn ich wieder nach Stralsund komme? Für ein paar Tage? Höchstens ja für zwei Wochen.« Sie dachte wahrscheinlich, ich wollte sie auf den Arm nehmen. »Wie jetzt? Ihr wollt wieder zurückkommen?« Sie war irritiert. »Fast. Ich werde alleine kommen. Ich muss vor Ort etwas klären.« Sie antwortete: »Ja, natürlich. Du bist immer willkommen. Aber sag, was ist mit Emilia? Warum kommt sie nicht mit?« Ich log: »Sie ist momentan bei ihrer Familie und hilft beim Renovieren.« Ich hoffte, sie fragte nicht weiter nach. Ich hörte nur, wie sie meinte: »Aha.« Dann fügte sie hinzu: »Wann kommst du denn?« Ich sah auf die Uhr. Ich hatte mir meine Bahn bereits ausgesucht. »Ich wäre gegen 15:50 Uhr da. Ich komme dann mit dem Bus nach Hause.« Sie widersprach: »Nein, nein. Ich mache um 15:30 Uhr Feierabend, dann kann ich dich am Bahnhof abholen.« Dann legten wir auf.

Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Es war Emilia. Ich ließ sie in die Wohnung und ging zurück in mein Zimmer. Sie folgte mir. Ich packte meinen Koffer in Windeseile. »Was wird das?«, fragte Emilia irritiert und lehnte sich am Türrahmen an. Ich erstarrte. Was sollte ich ihr sagen? Ich musste endlich ehrlich zu ihr sein. Und zu mir selbst auch. »Ich fahre nach Stralsund«, brachte ich über die Lippen und sie runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht«, sagte sie langsam. »Erst willst du unbedingt zurück und jetzt wieder dahin? Was ist mit mir? Du hast mich gar nicht gefragt.« Ich wusste, dass ich sie mit den folgenden Worten verletzen würde, aber ich erwiderte: »Es tut mir leid, aber du kommst nicht mit. Ich fahre alleine.« Ich konnte sehen, dass sie überhaupt nichts mehr verstand. Was war ich nur für ein schlechter Mensch? Wie konnte ich ihr so etwas antun? Dann brachte sie hervor: »Wie bitte?« Ich schaute ihr in die Augen. »Emilia, ich muss alleine fahren.« Misstrauisch sah sie mich an, aber ich wusste, dass sie den Grund bereits kannte. »Ich kann das so nicht länger. Du weißt, warum ich das tun muss.« Ihr Blick wurde leer. »Ist es wegen ihr?« Zaghaft nickte ich.

»Du liebst sie immer noch?« Ihre Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Unentschlossen stand ich da. »Nein, so ist es nicht. Ich habe nur einfach gemerkt, dass sie die ganze Zeit in meinen Gedanken ist und ich glaube, dass von ihrer Seite auch etwas sein könnte. Ich muss mit ihr reden und das klären. Ich finde keine Ruhe mehr.« Sie wurde ganz blass. »Und dafür musst du nach Stralsund fahren? Rufe sie doch einfach an? Und plötzlich denkst du auch, dass sie etwas für dich empfindet?« Bestimmt schüttelte ich den Kopf. »Du glaubst nicht, wie wahnsinnig leid mir das tut. Ich dachte, ich hätte meine Gefühle unter Kontrolle, aber ich breche unter der Last zusammen. Es kann sein. Ich bin mir nicht sicher.« Ich erzählte ihr nichts von unserer Begegnung auf der Toilette. Leise fragte sie: »Liebst du mich nicht mehr?« Was sollte ich darauf antworten? »Das versuche ich gerade herauszufinden.« Sie schloss die Augen. »Wären wir bloß nie nach Stralsund gefahren.« Ihre Stimme zitterte.

»Ella, überlege es dir. Ich liebe dich. So sehr.« Ich antwortete: »Das weiß ich. Aber es funktioniert so nicht mehr. Ich weiß, es ist scheiße und ich hätte nie damit gerechnet, aber die Begegnung mit ihr hat mich verdammt verunsichert.« Sie lachte bitter auf. »Das ist auch kein Wunder.« Ich fragte: »Wie meinst du das?« Sie zog ihren Augenbrauen nach oben. »Wie soll ich gegen sie irgendeine Chance haben? An dieser Frau ist alles perfekt. War ich nur deine Ablenkung?« Sie wurde lauter und kam auf mich zu. Tränen liefen an ihrer Wange hinunter. Ich hätte sie so gern in den Arm genommen. »Nein, du warst keine Ablenkung. Und vielleicht ist es auch nur eine Phase. Ich weiß es nicht. Nur ich muss irgendetwas tun. Und bitte vergleiche dich nicht mit ihr. Du bist auf einer anderen Art und Weise toll.« Anscheinend wollte sie das nicht hören. Sie stand nun direkt vor mir und weinte hemmungslos. »Wie kannst du mir das nur antun?«, schrie sie mich plötzlich an und schluchzte.

»Glaube mir, das war nie meine Absicht. Ich fahre nach Stralsund und vielleicht interpretiere ich auch zu viel in die Sache hinein. Du bist mir immer noch wichtig, Emilia. Und du bist eine wunderschöne Frau und ich konnte mein Glück nicht fassen, als du mich nach einem Date gefragt hast. Aber irgendetwas ist anders und das muss ich erst in Ordnung bringen. Es ist dir überlassen, ob du noch hier bist, wenn ich wiederkomme. Wenn nicht, dann könnte ich das auch verstehen. Es ist eine scheiß Aktion, aber ich muss jetzt auf mein Herz hören. Ich möchte fair bleiben, deshalb sage ich es dir.« Sie schnaubte. »Erzähle mir keinen Scheiß. Entweder liebt man einen Menschen oder nicht. Es ist also deine Entscheidung.« Sie hatte aufgehört zu weinen.

Ich nahm meinen Koffer und ging in Richtung Tür. Sie lief ebenfalls zur Tür, stellte sich wieder in den Türrahmen und versperrte mir den Weg. »Wenn du jetzt fährst, dann war es das, Ella Degermann. Das schwöre ich dir.« Ihre Worte waren knallhart, aber gleichzeitig klangen sie todunglücklich. Ich drängte mich an Emilia vorbei und ließ sie zurück. Wütend, enttäuscht, traurig. Ich wusste, ich hatte ihr damit das Herz gebrochen. Aber ich konnte so nicht leben. Ich sprang in die Bahn, die fast vor meiner Haustür hielt, und fuhr zum Hauptbahnhof. Ich konnte endlich wieder atmen.

Remember me || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt