Schweißgebadet erwachte ich, setzte mich panisch auf und schlug die Decke weg. Mein Herz schlug unglaublich heftig, ich konnte es hören und wunderte mich, dass davon nicht die ganze Straße wach war. Ich wischte mir über die Stirn und meine Hand wanderte zu meinem Rücken. Alles nass. Was hatte ich geträumt? Ich konnte mich nicht mehr erinnern, aber zurück blieb dieses ganz merkwürdige Gefühl, das man verspürte, wenn sich ein Traum real anfühlte. Ich sah auf mein Handy und tippte es an. Der Bildschirm blendete mich. Ich schaltete das Display dunkler, doch auch die niedrigste Stufe war mir noch zu hell. Ich blinzelte und endlich gewöhnten sich meine Augen an das Licht. 04:26 Uhr. Ich ließ das Handy auf das Bett fallen. Ich war hellwach. Die Müdigkeit war wie weggeblasen. Wieder musste ich an den letzten Satz denken, den Mara mir geschrieben hatte. Er fühlte sich gut an. Doch trotzdem musste ich daran denken, wie Max nun in ihrem Bett lag, sich an sie kuschelte. Sofort bildete sich ein Kloß in meinem Hals.
Ich stand auf und riss das Fenster auf. Ein kühler Luftzug streifte mein Gesicht. Ja, das war angenehm. Ich schloss die Augen und dachte nach. Wie sollte es nur weitergehen? Die Ungewissheit war kaum zu ertragen. Ich war traurig und glücklich zugleich. Irgendwie. Genau in dem Moment, in dem ich die Augen wieder öffnete, flog ein Vogel so dicht am Fenster vorbei, dass ich rückwärts stolperte vor Schreck. Ich wollte mich festhalten, doch meine Hände fanden keinen Halt und ich landete schließlich auf dem Hintern. Leise fluchte ich. Das würde ein blauer Fleck werden. Ganz toll. Ich blieb sitzen und langsam kroch ich zum Bett. Ich fasste die Matratze an und hob sie ein Stück hoch, um Maras Bild wenige Sekunden später in der Hand zu halten. Ich angelte mir mein Handy, welches noch immer auf dem Bett lag und leuchtete es an. Ich konnte nicht fassen, dass wir uns wirklich geküsst hatten. Oder hatte ich das nur geträumt? Nein, das war Quatsch.
Bei ihrem Anblick überkam mich eine Sehnsucht, die mir so verdammt vertraut war. Ich wollte bei ihr sein. Es ging mir dabei nicht darum, sie zu küssen oder ihr anders körperlich nah zu sein, auch wenn ich mich natürlich auch danach sehnte. Viel mehr ging es mir darum, mit ihr gemeinsam zu lachen, mit ihr über ganz banale Dinge zu reden, mehr über sie zu erfahren und ihr Lächeln zu sehen. Das wunderschönste Lächeln der Welt. So viel stand fest. Ich wollte sie kennenlernen, alles über sie wissen. Denn wenn ich ehrlich war, wusste ich kaum etwas Privates von ihr. Doch trotzdem hatte ich mich in ihre Art verliebt. In ihr Lachen. Wie sie mit Menschen umging. Ich wusste, dass ich sie kein zweites Mal »vergessen« konnte. Es hatte beim ersten Versuch auch nur temporär geklappt. Wieder plagten mich meine Gedanken. Was sollte ich tun, wenn sie sich nicht meldete? Was sollte ich mit Emilia machen? Wie sollte ich das Richtige tun? Was war das Richtige?
Am liebsten hätte ich sie angerufen. Ich hatte plötzlich das starke Bedürfnis danach. Wollte ihre Stimme hören. Nur für zwei Sekunden. Aber ich konnte sie nicht mitten in der Nacht anrufen. Das war zu krass. Was sollte ich ihr auch sagen? »Hey Mara. Ich weiß, ich habe dich gerade geweckt, aber ich wollte dir nur mal eben sagen, dass ich dich ganz schön vermisse.« Ich würde mich nur lächerlich machen und außerdem war Max bei ihr. Er würde es mitbekommen und dann? Nein. Das war falsch. Ich musste ihr Zeit geben. Sie sollte bestimmen, wie unsere Geschichte weitergehen würde. Ich zog mich hoch ins Bett. Mein Hintern brannte höllisch. Zum Glück schwitzte ich nicht mehr so. Ich ließ mich zurück ins Kissen fallen. Ich starrte an die dunkle Decke. Ich konnte doch jetzt nicht mehr schlafen. Doch kurze Zeit später schlief ich wieder ein und wachte erst am späten Vormittag auf.
Es war warm im Zimmer und mein Kopf brummte. Ich nahm mein Handy in die Hand und stöhnte auf. »Können wir uns bitte sehen?« Mittlerweile war ich total genervt von Emilia. Ich wollte es nicht, aber ich konnte es nicht ändern. Ich antwortete nicht, aber ich wusste, dass wir uns sehen mussten. Es ging nicht anders, es war unumgänglich. Ich seufzte. Deshalb schrieb ich ihr doch. »Um 17 Uhr an der Bank an der Schule?« Sofort erhielt ich die Antwort, dass es ihr passte. Dann ging ich nach unten in die Küche. Meine Eltern waren nicht da. Ich machte mir Cornflakes, denn ich musste etwas in den Magen bekommen. Danach ging ich duschen. Ich fühlte mich direkt frischer. Ich vertrieb mir den Nachmittag auf der Terrasse. Ich las mein Buch, aber immer wieder schielte ich auf das Handy, ob Mara sich nicht doch meldete. Aber es blieb stumm. Als es kurz vor 17 Uhr war, ging ich los zur Schule. Ich brauchte für den Weg nicht mal zehn Minuten. Emilia saß schon da. Sie sah niedergeschlagen aus. Doch trotzdem sah ich, dass sie sich Mühe mit ihrem Outfit gegeben hatte. Ich schluckte. Sie trug mein Lieblingsoutfit an ihr, aber auch das brachte uns nicht mehr zusammen.
»Hey Ella«, sagte sie leise und klopfte auf die weiße Bank. »Hey«, murmelte ich zurück und setzte mich. Ich hielt etwas Abstand zwischen uns. Fast wäre mir ein »gut siehst du aus« über die Lippen gerutscht, aber ich konnte es mir im letzten Moment verkneifen. Ich wollte nicht, dass sie sich falsche Hoffnungen machte. »Konntest du noch einmal eine Nacht über die Sache schlafen?«, fragte sie und sah mich nicht an. »Emilia«, sagte ich traurig, aber bestimmt. »Das zwischen uns ist vorbei. Ich bin dir wirklich dankbar. Für alles. Aber ich kann das so nicht mehr. Ich weiß, dass es scheiße ist und ich möchte dir auch gar nicht weh tun, aber ich habe Gefühle für eine andere Frau. Es wäre unfair von mir, wenn ich nicht ehrlich zu dir wäre.« Nun sah sie mich mit leeren Augen an, die sich mit Tränen füllten. »Du hast mich nie geliebt, oder?« Sie sprach so leise, dass ich sie kaum verstand. »Doch, das habe ich. Wirklich. Du bist mir auch jetzt nicht egal. Vielleicht können wir irgendwann Freunde werden, wenn Gras über die Sache gewachsen ist.« Bitter lachte sie auf. »Wenn Gras über die Sache gewachsen ist? Ernsthaft?« Ich zuckte nur mit den Schultern. »Ich denke nicht, dass ich mit dir befreundet sein kann. Ich liebe dich. Meine Gefühle sind noch immer da und sie werden nicht einfach verschwinden.«
Dann sagte niemand ein Wort. Sie hatte vielleicht recht. Vielleicht konnten wir wirklich nicht befreundet sein. Es verletzte mich. Ich hatte sie gern. Ich wollte sie nicht komplett aus meinem Leben streichen. Dann ging alles ganz schnell. Sie nahm meinen Kopf in ihre Hände und zog mich zu sich heran. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da lagen ihre Lippen schon auf meinen Lippen. Ich spürte, wie sie all ihre Liebe in den Kuss steckte, doch ich fühlte nichts mehr. Unbewusst musste ich an die Küsse mit Mara denken. An dieses Feuerwerk, welches sie in mir entfachten. Bei Emilia fühlte ich nur noch eine leichte Glut. Die Gefühle waren erloschen. Ich stieß sie von mir weg. »Mache das nie wieder.« Meine Stimme war gefährlich scharf geworden. Erschrocken sah sie mich an. Diesen Tonfall kannte sie von mir nicht. »Das meine ich ernst. Bitte mach es nicht schlimmer als es ist. Es tut mir alles wahnsinnig leid und ich hoffe, du kannst das irgendwann verstehen. Fahre bitte zurück nach Berlin und vergiss mich. Ich packe deine Sachen zusammen, die noch bei mir in der Wohnung sind. Ich werde sie dir zukommen lassen. Akzeptiere meine Entscheidung. Es ist endgültig vorbei. Mehr kann und möchte ich nicht mehr sagen.« Regungslos saß sie da. Ich sprang auf und drehte mich nicht mehr um.
Mit gemischten Gefühlen machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich wollte nicht, dass Emilia mich küsste. Der Kuss hatte gezeigt, dass Mara die Richtige war. Vielleicht war meine Liebe einseitig, aber ich wollte die Gefühle nicht wieder verdrängen und dadurch andere Menschen verletzen. So wie Emilia. Hätte ich mir nur eingestanden, dass ich noch immer Gefühle für Mara hatte, hätte ich ihr jetzt nicht das Herz brechen müssen. Aber auf der anderen Seite bereute ich die Zeit mit Emilia nicht. Sie hatte mir viele Dinge gezeigt und wir hatten eine tolle Zeit gehabt. Und außerdem war sie die erste Frau, mit der ich geschlafen hatte. Der Schock saß auch bei mir tief und ich wollte nicht daran denken, wie es ihr erging. Sie hatte mir ihr Herz geschenkt und ich hatte es mit Füßen getreten. Das Vibrieren in meiner Hosentasche riss mich aus den Gedanken. Ich stöhnte auf. Was wollte Emilia denn jetzt noch? Ich ignorierte die Nachricht. Ich wollte momentan nichts mehr von ihr hören. Erst als ich zu Hause war, zog ich mein Handy hervor und starrte geschockt die Worte an, die nicht von Emilia kamen, sondern von Mara: »Ich habe euch heute gesehen. Auf der Bank. Wie ihr euch geküsst habt. Anscheinend ist sie dir doch noch nicht so egal. Wir vergessen das von gestern am besten.«
Ich war total verletzt, aber auch irgendwie wütend. Hätte sie nachgefragt, dann wüsste sie, dass ich den Kuss abgeblockt hatte. Dass er von Emilia ausgegangen war. Und warum hörte sich ihre Nachricht wie ein Vorwurf an? Lag ihr vielleicht doch etwas mehr an mir? Außerdem wusste sie, dass ich mich von Emilia getrennt hatte. Sie war die, die in einer Beziehung war. Und sie küsste Max wahrscheinlich auch. Ich war fuchsteufelswild und schrieb zurück: »Wenn du richtig hingesehen hättest, dann hättest du gesehen, dass sie mich geküsst hat und ich den Kuss nicht erwidert habe. Und sag mir, küsst du Max nicht auch?« Meine Antwort klang total kindisch, wie ich im Nachhinein merkte. Sollte ich noch eine Nachricht schicken? Ich entschied mich dafür: »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so blöd anfahren. Ich möchte das von gestern nicht vergessen. Ich könnte es gar nicht vergessen.« Ich wartete auf eine Antwort, doch sie kam an diesem Tag nicht mehr.
DU LIEST GERADE
Remember me || gxg
RomanceAls Ella ihren Eltern ihre Freundin Emilia vorstellen möchte, ist ihre Welt noch völlig in Ordnung. Doch kaum ist sie zurück in der Heimatstadt, holen sie die Erinnerungen an ihre erste große Liebe wieder ein. Über drei Jahre lang hatte sie diesen O...