Kapitel 17

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Erstarrt saß ich im Sitz. Wie viel Pech konnte ich eigentlich haben? Ein zweites Mal hatten wir uns fast geküsst. Fast, fast, fast. FAST! Vielleicht würde ich nie wieder diese Chance haben. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Mara ließ das Fenster runter und räusperte sich. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie und man spürte, wie nervös sie war. Ihre Stimme zitterte und sie knetete ihre Hände. Der Mann sah einmal ins Auto. »Die Frage ist eher: Kann ich Ihnen helfen? Der Baumarkt hat bereits längere Zeit geschlossen.« Mit einem aufmerksamen Blick beobachtete er uns. »Oh, ja. Wir haben uns nur unterhalten. Wir sind schon weg.« Er nickte und Mara schnallte sich an. Dann ließ sie die Kupplung kommen und trat auf das Gaspedal. Sie ließ die Reifen kurz quietschen, dann fuhren wir vom Parkplatz. Ihre Bewegungen waren unnatürlich. Ich merkte, dass etwas nicht in Ordnung war und ich konnte mir natürlich denken, dass es etwas mit dem Kuss zu tun hatte.

»Wir können das wieder vergessen«, sagte ich leise und sie fuhr plötzlich noch schneller. Ich wollte nicht, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam. Sie sah etwas mitgenommen aus, doch trotzdem konnte ich nur daran denken, wie schön sie war. Mara antwortete nicht. »Hast du gehört?«, fragte ich eine Minute später zaghaft nach. Wieder krallte sie die Finger um das Lenkrad. Keine Antwort. »Es tut mir leid. Wirklich.« Mit einem Ruck stand das Auto. Sie hatte einfach mitten auf der Straße gebremst und der Gurt hatte sich leicht in meine Haut geschnitten. »Poah«, entfuhr es mir entsetzt und ich hustete. Es tat ein wenig weh. »Was sollte das denn? Bist du verrückt?« Ich sah in den Seitenspiegel. Zum Glück war hinter uns kein Auto. Plötzlich hämmerte sie wild auf das Lenkrad ein. So hatte ich sie noch nie gesehen. So verzweifelt. Ich berührte ihren Arm. Wollte etwas sagen. Fand aber nicht die richtigen Worte. Sie fing an zu weinen. Was hatte ich angestellt?

Ihre Schluchzer wurden immer lauter. Ich schaltete die Warnblinkanlage an und rührte mich dann nicht. Sollte ich noch etwas sagen? Ich grübelte, doch mir wurde die Entscheidung abgenommen. Sie hob den Kopf, sah mir in die Augen und murmelte: »Ach, Ella. Entschuldige dich doch nicht. Das war mein Fehler. Ich hätte es nicht schon wieder tun dürfen.« Mit einer Sache hatte sie recht. SIE hatte es schon wieder getan. SIE wollte MICH küssen. Ich wollte sie natürlich auch küssen, hätte mich aber niemals getraut, weil ich Angst hatte vor der Zurückweisung. »Tut mir leid für die Bremsung. Mir wurde gerade alles zu viel.« Sie lenkte das Auto auf eine Haltestelle für Busse. Immerhin standen wir da sicherer als auf der Straße. Jetzt fuhren hier sowieso keine Busse mehr.

Mara lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ich wollte sie berühren. Hatte großes Verlangen danach. Alles an ihr sah besonders aus. Aber ich traute mich mal wieder nicht. Manchmal war ich ein Feigling. »Es ist in Ordnung«, sagte ich einfach nur. Dabei war nichts in Ordnung. Ich war verwirrt. Was sollte ich von der ganzen Sache halten? In diesem Moment vibrierte mein Handy wieder. Einfach nur unpassend, dachte ich. Ich drückte Emilia weg und schaltete das Handy komplett auf lautlos. Ich wollte nicht mit ihr sprechen. Ich nahm stattdessen Maras Hand. Ich spürte, wie ihr gesamter Körper sich versteifte und sie auf den Körperkontakt reagierte. »Mache das nicht«, flüsterte sie, aber wehrte sich nicht. »Mache es mir doch nicht so schwer.« Ich machte es ihr schwer? Was sollte das bedeuten? »Was meinst du?« Sie öffnete die Augen und dann ging alles ganz schnell. Sie beugte sich zu mir und endlich fanden unsere Lippen zueinander. Der Kuss kam überraschend. Ihre Lippen legten sich sanft auf meine. Noch nie in meinem Leben hatte ich so etwas gefühlt. Noch nie. Es war schöner als in meinen Träumen. Unvergleichbar. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände. Ich wollte die Zeit anhalten und sie ewig küssen. Als wir uns dann schließlich doch voneinander lösten, vergrub sie ihr Gesicht in meinen Haaren und atmete durch. Dann blickten wir uns in die Augen. Noch nie hatte ich sie so sehr funkeln sehen.

Ich nahm ihre Hand und legte sie auf meinen Oberkörper, der sich heftig auf und ab bewegte. Sie riss sie Augen auf, als sie meinen Herzschlag spürte. »Sage jetzt nichts, Mara. Mache den Moment nicht kaputt.« Sie nickte nur und ich war ihr unglaublich dankbar. Eine gefühlte Ewigkeit blieben wir sitzen und sahen uns einfach nur an. Ich konnte mein Glück nicht fassen, aber war mir sicher, dass es bald wieder zerplatzen würde. Das konnte nicht gut ausgehen für mich. Ich musste mutig sein. Nur fünf Sekunden. Zärtlich zog ich ihr Gesicht wieder zu mir und ich sah in ihren Augen, dass sie sich auch nach einem Kuss sehnte. Jedenfalls bildete ich mir das ein. Ob es wirklich so war konnte ich nicht sagen. Wieder küssten wir uns und mein Körper schüttete sämtliche Glückshormone aus. Nie wieder wollte ich andere Lippen schmecken. Es tat mir wahnsinnig leid, aber wieder einmal verglich ich Mara mit Emilia. Emilias Küsse waren auch schön gewesen, aber nie so wie diese. Sie schmeckten nach Liebe. Nach endloser und bedingungsloser Liebe. Der Kuss hatte mir gezeigt, dass wenn man einmal geflogen war, hüpfen nicht mehr ausreichte.

»Was machst du nur mit mir?« Maras Stimme war etwas rau und sie flüsterte die Worte in den Kuss hinein. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. »Das könnte ich dich fragen.« Unsere Lippen verschmolzen miteinander, dann lehnte sie sich zurück und sah mich nachdenklich an. »Ella, was machen wir hier nur?« Es war eine rhetorische Frage, aber ich antwortete trotzdem: »Sage du es mir.« Seufzend blickte sie mich an. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich die Küsse sehr genossen habe«, gab sie offen und ehrlich zu. Aber war ich wirklich so? Konnte ich eine Beziehung kaputt machen? Max war so ein netter Kerl. Automatisch musste ich ihn mit mir vergleichen. Warum riskierte sie das? Er war toll. Er hatte alles, was eine Frau sich wünschen konnte. Doch trotzdem hatte sie mich geküsst. Ich konnte ihr nicht vollkommen egal sein, oder?

»Ich fahre dich jetzt nach Hause. Ich brauche ein wenig Zeit.« Ich konnte sie verstehen. Ich wusste selbst, wie das war. Die Zeit, die sie brauchte, wollte ich ihr geben. Sie startete den Motor und fuhr los. Immer wieder wagte ich einen Blick in ihr Gesicht. Sie kaute auf ihrer Lippe umher. Mal wieder. Mara dachte nach. Ich konnte es sehen. Mit der Zeit hatte ich gelernt, ihren Gesichtsausdruck zu analysieren und es klappte meistens ziemlich gut. Ich wollte nichts Falsches sagen, deshalb hielt ich einfach den Mund. Heimlich beobachtete ich sie weiter. Ich hatte noch nicht realisiert, dass sie wirklich real war. Dass das, was zwischen uns passiert war, real war. Unauffällig zwickte ich mich, aber sie bekam es komischerweise mit. »Du träumst nicht«, schmunzelte sie und ein Lächeln zog sich über ihr Gesicht. So mochte ich sie am liebsten. Mit einem Lächeln auf den Lippen.

Mir war es etwas peinlich, dass sie mich dabei erwischt hatte. »Weißt du, früher habe ich sehr oft davon geträumt. Aber da können die Träume nicht mithalten«, stellte ich fest und sie wurde rot. Ich hatte es geschafft, dass sie errötete. Wow. Etwas entspannter lehnte ich mich zurück. Die wenigen Zentimeter, die uns voneinander trennten, machten mich wahnsinnig. Ihre Hand lag auf dem Schaltknüppel und würde ich meine Hand etwas nach links bewegen, würden wir uns berühren. Aber ich wollte sie nicht überrumpeln. Ich hatte keine Lust auf eine zweite Vollbremsung. Dann kam mir die Idee. Ich wühlte in meiner Tasche. Dann fand ich einen Zettel und einen Kugelschreiber. Ich schrieb ihr meine Nummer auf. Ich übergab den Ball an sie. Sie sollte sich melden, wenn sie mich sehen wollte. Dann bogen wir auch schon in meine Straße ein.

Sie hielt am Anfang der Straße an. Die wenigen Meter konnte ich dann noch laufen. Ich drückte ihr den Zettel in die Hand und sagte mit fester Stimme: »Wenn du mich sehen möchtest, melde dich. Ich bin noch ein paar Tage in der Stadt.« Sie nahm den Zettel entgegen und nickte leicht. Als ich ausstieg, wendete sie in der Auffahrt und fuhr in die Richtung davon, aus der wir gerade gekommen waren. Ich sah ihren Rücklichtern noch nach, doch dann war sie verschwunden. Gedankenverloren ging ich die Straße entlang. Plötzlich sah ich eine Bewegung. Jemand kam auf mich zu. Meine Schritte wurden schneller. Ich konnte die Person nicht erkennen. Auch die Person wurde schneller. Panik stieg in mir auf. Nun fing ich an zu laufen. Dann erhellte die Straßenlaterne das Gesicht der Person. Es war Emilia. Einige Sekunden später stand sie vor mir. Vor Schreck blieb ich ebenfalls stehen. Ihre Augen waren verweint. Mein Herz rutschte in die Hose. Was tat sie hier? »Was... was machst du hier?«, brachte ich hervor und musste schlucken. »Ella, ich kann nicht ohne dich leben. Gib uns noch eine Chance. Bitte. Das, was ich gesagt habe, meinte ich nicht so. Ich habe vorhin den Zug genommen und warte seit einer Weile hier. Du bist nicht ans Handy gegangen. Ich habe mir Sorgen gemacht, wollte aber auch nicht einfach klingeln.« Flehend sah sie mich an. Sie war mir extra nach Stralsund gefolgt. Scheiße, dachte ich. Was sollte ich tun?

Remember me || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt